Abschied von Kaiser's: Wo sind all die Joghurts hin?
Das Leben unseres Autors ist aus den Fugen, seitdem sein Stamm-Kaiser’s von Edeka-Produkten unterwandert wird. Nun fragt er sich: Was bringt ein Kapitalismus, der die Menschen in solche Identitätskrisen stürzt?
Erst am Kühlregal bemerke ich’s: Mein Kaiser’s ist kein Kaiser’s mehr. Statt meiner Lieblingsjoghurts von Naturkind stehen da nun welche von Edeka, es gibt die Vanille- und Naturjoghurts der Bio-Handelsmarke von Kaiser’s-Tengelmann nicht mehr. Wie viele Jahre habe ich sie gekauft und gelöffelt, oft abends spät, während ich auf den Küchencomputer glotzte, das Vanillejoghurt immer mit einer Prise frisch gemahlenen Espressopulvers verfeinert, das Naturjoghurt morgens mit Müsli und Honig?
Nun stehe ich hier in diesem Supermarkt, in dessen Nähe ich seit über zwölf Jahren wohne, er trägt den Kaiser’s-Schriftzug und das Kaiser’s-Logo (auf dem ich lange Jahre keine Kaffeekanne erkannte, weil Kaffeekannen einfach nicht mehr so aussehen) noch auf dem Flachdach, über meinem Arm hängt noch einer der alten, leicht angestoßenen Kaiser’s- Einkaufskörbe aus Kunststoff – und ich weiß nicht, was ich kaufen soll. An den Kassen, ich habe sie Kaiser’s-rot leuchten sehen, liegen, wie zum Hohn, Kaiser’s-Einkaufstüten, die gewohnten Produkte jedoch fehlen. Neben den Naturkind-Joghurts vermisse ich die Naturkind-Bio-Vollmilch, den Naturkind-Frischkäse, die Butter und das Sauerkraut. Und vieles mehr.
Bin ich nicht das Produkt der Produkte, die ich esse?
Traurig – wie war das noch mit dem Glücksversprechen des Kapitalismus? – bewege ich mich durch die Gänge meines Kaiser’s, der nun nicht mehr mein Kaiser’s ist, ich finde nicht mehr, was ich suche. Wie soll ich mich daran gewöhnen? Was sonst mit schlafwandlerischer Sicherheit in meinen Korb wanderte, ist aus dem Sortiment verschwunden. Und es kommt mir vor, als wäre damit etwas von mir verschwunden – denn bin ich nicht eigentlich das, was ich kaufe? Bin ich nicht das Produkt all der Produkte, die ich über die Jahre nach Hause getragen und gegessen habe? Muss ich nun, mit neuen, ungewohnten Produkten, nicht ein anderer werden? Möchte ich das überhaupt? Womit habe ich das verdient? Ist der Verlust meines Lieblingsjoghurts vielleicht die Strafe dafür, dass ich in den letzten Jahren viel supermarktfremdgegangen bin, in Berlin und anderswo, und hin und wieder bei Rewe oder, gerade in der letzten Zeit, öfter im Denn’s-Biomarkt eingekauft habe? Habe ich Kaiser’s vernachlässigt?
Als ich mit den lieblos gestalteten Edeka-Bio-Joghurts an der Kasse stehe, fällt mir ein, dass ich nun wohl nie wieder die Kaiser’s-Frage nach den Herzen hören werde. „Sammeln Sie Herzen?“ – wie oft hat eine Kassiererin das zu mir gesagt? Ich habe fast immer Ja gesagt, ja, ich sammle Herzen, ein Hobby, und meine Tochter liebte es, sie in die Sammelbroschüre zu kleben. Stammt nicht unsere halbe, ach was, die ganze Ausstattung unserer Küche von Kaiser’s-Rabattaktionen? Der große Bräter, die Wok-Pfanne, zwei Stielkasserollen, mindestens drei Töpfe? Und die Teelöffel, mit denen ich die Vanille-Joghurts aß, kamen die nicht auch von Kaiser’s?
Früher war hier eine Kaufhalle
Von meiner Lieblingskassiererin – ich kenne und verehre sie seit Jahren, sie kennt mich und weiß wahrscheinlich, was ich sonst immer kaufe – erfahre ich nicht nur, dass es Naturkind nicht mehr geben wird, sondern darüber hinaus, dass dieser unser Kaiser’s, in dessen Hülle nun ein Edeka steckt, noch im laufenden Jahr abgerissen werden soll. Statt des Flachbaus mit der asphaltierten Rampe – die Architektur verrät es, dieses Gebäude stand einst in einem anderen Land und beherbergte eine Ost-Berliner Kaufhalle, auch wenn die Nachbarn, die diesen Kaiser’s noch „Kaufhalle“ nannten, hier schon lange nicht mehr wohnen – soll eine weitere Luxus-Wohnanlage entstehen. Ob sie „Kaiser’s Hofgarten“ heißen wird?
Zu Hause, als ich den kargen Einkauf verstaue, finde ich weit hinten im Kühlschrank einen vergessenen Becher Naturkind-Vanillejoghurt, sein Mindesthaltbarkeitsdatum ist leider schon eine Weile überschritten. Ich werde ihn im Kühlschrank stehen lassen. Zur Erinnerung.
Von David Wagner erschien 2016 „Ein Zimmer im Hotel“ (Rowohlt). Den Roman „Vier Äpfel“ (Rowohlt 2009) schrieb der Berliner Schriftsteller über seine nun verschwindende Kaiser’s-Filiale in der Fürstenwalder Straße.
Dieser Text erschien am 11. Februar 2017 als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.