Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Wo die Hunde Herzen brechen
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 17: Falkenberg.
Selten sind mir bei meinen Ausflügen so gastfreundliche Menschen begegnet wie in Falkenberg. Es fing mit der mütterlichen Dame an, die ich um Rat fragte, nachdem ich den sehr dörflichen Ortsteil erfolglos nach etwas Essbarem abgesucht hatte – das einzige Café hatte Ruhetag, die Bäckerei war geschlossen. Mehr gebe es leider nicht, sagte die Dame bedauernd – und schmierte mir in ihrer Küche ein Käsebrötchen.
Dann kam ich mit einem pensionierten Volkspolizisten ins Gespräch, der mich spontan auf seine Datsche mitnahm. Er zeigte mir alles – sogar die Fäkalgrube. „Drei Kubik. Reicht fürs ganze Jahr, Besuch mitgerechnet.“
Auf der Terrasse philosophierte er über den Unterschied zwischen West- und Ostberlinern. Nach der Wende, sagte er, habe er kaum fassen können, dass man in den West-Baumärkten einfach alles kaufen konnte, was Heimwerker so brauchen. Trotzdem habe die Mangelwirtschaft der DDR ihr Gutes gehabt, weil sie die Leute dazu erzog, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen – und damit sei es im Westen nicht weit her.
Hier befindet sich das größte Tierheim Europas
Ich bat ihn um ein Beispiel. Er erzählte von der Neuköllner Familie, die in seine Nachbarschaft gezogen war. „Als ich denen mal spontan einen Lichtschalter reparierte, haben die sich nicht mal bedankt, weil sie mich automatisch für den Hausmeister hielten. Dass ich einfach so helfe, konnten die sich nicht vorstellen.“ Lieber sei ihm da der russische Familienvater aus der Nachbar-Datsche, obwohl der kaum Deutsch spreche. Seitdem er dessen Dach ausgebessert habe, reiche der ihm beim Grillen immer wortlos lächelnd eine Wurst über die Hecke.
Hinter den Datschen liegt das Berliner Tierheim, angeblich das größte in Europa, ein Ortsteil im Ortsteil, wo übers Jahr gerechnet weit mehr Tiere wohnen (etwa 12.000) als in Falkenberg Menschen (1600). Ein irres Gezwitscher und Gekläffe und Gemaunze hallt durch das weitläufige Betonareal, man muss das gehört haben, um es zu glauben. Es gibt hier ein Schweinchen namens Bärchen, das herrenlos in Tegel aufgegriffen wurde, oder den Grünen Leguan Max, der seit dem Tod seines Halters alleine ist, oder die arme Katze Miezi, die schon zum zweiten Mal im Tierheim lebt, weil sie sich, wie es auf dem Pappschild an ihrem Käfig heißt, „gegenüber ihren Besitzern unausgeglichen verhalten hat“.
„Dein Lächeln hat mich verändert“
Am meisten beeindruckt aber hat mich der stille Tierfriedhof hinter dem Heim, weshalb ich diese Kolumne mit einer epischen Grabinschrift für einen Hund ausklingen lassen möchte.
„Unser Herzchen Chibi Pickron (1995–2012): Ich vermisse Deinen Blick, Deine Art, wie Du mich berührt hast. Zielstrebig, vorsichtig, aber immer wieder liebevoll. Ich vermisse, wie Du mich begrüßt hast, wie glücklich Du warst, wenn ich vor der Tür stand, wie Deine Augen einfach nur strahlten. Ich weiß, dass ich viel zu oft geweint und gejammert habe, und ich hab immer viel zu früh aufgegeben. Meine Güte, wie oft bin ich hinter Dir hergerannt. Ich wollte bei Dir sein, ich wollte immer einfach nur in Deiner Nähe sein, weißt Du? Du hast mir so viel Kraft gegeben, Dein Lächeln hat mich verändert und mir Zuversicht gegeben. Ich hab Dir immer vertraut, und dafür gibt es nur einen einzigen Grund. Chibi, ich liebe Dich.“
Fläche: 3,06 (Platz 84 von 96)
Einwohner: 1599 (Platz 94 von 96)
Durchschnittsalter: 40,0 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Marie-Elisabeth von Humboldt (Gelehrtenmutter)
Gefühlte Mitte: Dorfstraße
Diese Kolumne erschien am 1. Juli 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.
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