Streifzug durch Berlins Tierschutz-Geschichte: Hinterhof-Tölen, Hundeschlächter und ein Hühner-Hochhaus
Sie entrüsteten sich über "Karrenhunde" und geprügelte Pferde, wurden von Zille humorvoll gezeichnet, legten sich mit Polizisten an: 175 Jahre Tierschutz in Berlin: Ein Rückblick.
Mit einem geschundenen Pferd fing am 29. Juni 1841 die Geschichte des Berliner Tierschutzes an. Als ein Kutscher in Mitte auf sein Tier eindrosch, entrüsteten sich Passanten – und einer von ihnen, der Prediger C.J. Gerlach, beschloss, einen „Verein gegen Tierquälerei“ ins Leben zu rufen. Im Oktober 1841 wurde dieser gegründet und 1872 in „Deutscher Tierschutzverein zu Berlin“ umbenannt. Erst 1938 erhielt der Verein seinen bis heute gültigen Namen: Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corporation“.
Die Omnibus-Rösser sollten nicht frieren
Besonders gegen den Missbrauch von Pferden, die einst auch Omnibusse zogen, und gegen „die Unsitte, Hunde vor Marktkarren zu spannen“, protestierten die Tierschützer im 19. Jahrhundert. So liefen sie beispielsweise 1907 Sturm gegen eine Entscheidung der „Berliner Omnibus-Aktiengesellschaft“, nach der Omnibuspferde an den Stopps nicht mehr mit umgehängten Decken stehen durften.
Die Tiere sollten dadurch „abgehärtet“ werden, so die offizielle Begründung. Auch der „Schwindel erregende Dienst“ der Karussellpferde, die ständig im Kreis rennen mussten, rügte der Verein. Und die Möbelwagen nahm er gleichfalls ins Visier. „Ihre Belastung mit Umzugsgut stehe vielfach nicht im richtigen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gespanne“, hieß es. Hundekarren wiederum missfielen den Tierschützern, weil der Hund „als Zehengänger von Natur aus“ nicht zum Ziehen geboren sei. Veterinäre konterten, Hunde seien von ihrer Anatomie her durchaus zum Ziehen geeignet. Letztlich verdrängte erst der Erfolg des Motors den Hund aus allen Gespannen.
Eine empfindsame Beziehung zu Hund und Katz'
Berlin wuchs seit Mitte des 19. Jahrhunderts so stürmisch wie nie zuvor. Mietskasernen mit vielen Hinterhöfen entstanden. Das war die Geburtsstunde der Großstadt-Töle, die kläffend hinter den Kindern über Straßen und Plätze wetzte. Dadurch verloren ihre zweibeinigen Spielgefährten nicht ganz die Nähe zur Natur.
Stadthunde, einst als Bewacher und Karrenschlepper hilfreich, waren für die Berliner nun keine wirtschaftlich nützlichen Haustiere mehr wie Kuh und Schwein. Sie zogen als Freizeitkumpel in die Mietshäuser und Villen ein. Es entwickelte sich eine empfindsame Beziehung zum Hund, aber auch zur Katze oder zum Kanarienvogel, umso inniger, je stärker Berlin wuchs.
„Vater bestellt die Weißen oder Braunen, Onkel sitzt verquer auf der Bank und betrachtet verliebt sein Gläschen und Großmutter gibt dem Hündchen.“ So schildert Hans Ostwald (1873-1940) in seiner „Kultur- und Sittengeschichte Berlins“ 1910 das Treiben in den Ausflugslokalen. Die Tölen waren immer mittenmang. Das zeigen auch die Ansichten aus dem Berliner Kleinbürgertum des Illustrators Theodor Hosemann (1807-1875). Zum Beispiel sein Bild „Kaffeeklatsch mit Schnauzer auf dem Windmühlenberg“ oder „Laubenidyll mit Pinscher“. Auch Heinrich Zille zeichnete die Welt des Großstadthundes höchst humorvoll. Im Kaffeegarten schlecken schleifchengeschmückte Dackel am abgestürzten Babyfläschchen, im Weddinger Hinterhof setzen Kinder ihrer Promenadenmischung die Kaspermütze auf, und ein Terrier-Zwerg vor dem Kinderwagen auf dem Weg „ins Jrüne“ flitzt so schnell, als würden am Ziel die Würstchen für ihn gegrillt.
Architekten kamen damals gleichfalls vergnüglich auf Hund und Katz’. Beispielsweise Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (1852-1932). Er mochte die preußisch-strengen Backsteinfassaden vieler Schulen nicht und entwarf stattdessen um die Jahrhundertwende Schulen mit freundlichem Gesicht. Verspielte Außenansichten setzte er bei seinen Reformbauten beispielsweise in der damaligen Arbeitervorstadt Friedrichshain durch. Tier- und Kinderskulpturen schmücken Portale und Mauern.
Sie schauen mit wilhelminischem Lächeln hinab. Wer genau hinsieht, entdeckte einige junge Hundchen, wie sie Hoffmann offenbar liebte. Auch am Märchenbrunnen im nahen Volkspark Friedrichshain , den er ebenfalls entwarf, schauen Welpen über den Rand großer Steinschalen.
An der Jannowitzbrücke gab es schon eine Tierklinik
1886 entstand das erste Tierheim in Britz, es wurde bis 1901 betrieben. Aber schon neun Jahre vorher zog der Verein in die ausgebauten, größeren Stadtbahnbögen an der Jannowitzbrücke in Mitte um. Dort, an der Schicklerstraße 4, gab es bereits eine Tierklinik mit Veterinär-OP. Das Heim bestand in der DDR bis zur Wende fort.
Doch bereits um 1900 hatte es für ganz Berlin nicht mehr ausgereicht, weshalb im selben Jahr der Grundstein für das dritte, spätere West-Berliner Tierheim in Lankwitz gelegt wurde. Es existierte bis zur Eröffnung des Neubaus in Hohenschönhausen-Falkenberg im Jahr 2001.
Schon 1908 ratterten Tierschutz-Inspektoren des Vereins in offenen Kraftwagen durch Berlin und gingen tausenden Hinweisen auf schlechte Tierhaltung nach. In den Zwanziger Jahren protestierten die Tierschützer vor dem Heim an der Schicklerstraße gegen drastische Erhöhungen der Hundesteuer. „Das können wir uns nicht leisten, wir müssen uns von unserem Tier trennen!“ lautete der Schlachtruf „verzweifelter Hundehalter“, wie die Presse damals schrieb. Während der NS-Zeit wurde auch der Tierschutz dem Diktat der Ideologie unterworfen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten Berlins Tierschützer wieder selbstständig handeln und sich mit Behörden anlegen. So Anfang Dezember 1950.
Die Polizei durfte nicht ins Tierheim
Um eine drohende Ausbreitung der Tollwut zu bekämpfen, ordnete das Gesundheitsamt an, alle eingefangenen streunenden Hunde müssten in der Quarantänestation des Tierheimes Lankwitz vergiftet werden. Der Vorschlag des Tierschutzvereines, erstmal abzuklären, ob sie tatsächlich infiziert seien, solange könne man sie auch in isolierten Boxen unterbringen, wurde abgelehnt. Was danach geschah, stand am 2. Dezember 1950 im Tagesspiegel: „Um 8 Uhr erschien die beauftragte Tierärztin mit drei Polizisten vor dem Tierheim. Sie warteten vergeblich, der Tierschutzverein hatte von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht und ihnen den Eintritt verwehrt. Schließlich kletterte ein Polizist über den Zaun und öffnete eine der Seitentüren. Dann begann die Ärztin, die Hunde zu vergiften ... Mit dem Tierschutz zusammenarbeitende Veterinäre hatten es zuvor kategorisch abgelehnt, die Tiere zu töten.“
Zu dieser Zeit war das stark kriegszerstörte Tierheim Lankwitz schon wieder voll im Aufbau. Vor allem dank der Initiative von Erna Graff. 1906 als Tochter jüdischer Eltern in Prenzlauer Berg geboren, machte sie später als junge Frau bis zu Hitlers Machtergreifung eine steile Opernkarriere. Die Nazis verwehrten ihr jedoch weitere Auftritte, sie blieb zwar in Berlin und überlebte den Holocaust, lebte in dieser Zeit aber stark zurückgezogen in ärmlichen Verhältnissen.
Nach dem Krieg wollte sie nicht mehr auf die Bühne, stattdessen setzte sie sich mit vollem Herzen für den Tierschutz ein, organisierte Vorträge und die populäre Wohltätigkeitsveranstaltung „Künstler helfen Tieren“, warb Spenden ein und bat sogar die Alliierten hartnäckig und erfolgreich um finanzielle Hilfen. Schließlich gelang es ihr, das Tierheim Lankwitz für 16 Millionen Mark bis in die Fünfziger Jahre hinein wieder aufzubauen.
Schon kurz nach dem Friedensschluss hatten die Tierschützer aber auch anderweitig viel zu tun. Sie wetterten gegen Hundeschlächter, denn in diesen Hungerjahren landeten selbst die geliebten Schnauzen auf dem Teller. Blättern wir wieder im Tagesspiegel. diesmal in der Ausgabe vom 7. Dezember 1945. Darin steht: „Eine ernste Mahnung richtet der Tierschutzverein an alle Hundebesitzer.
Lasst Eure Tiere nicht ohne Aufsicht auf die Straße! Immer häufiger werden Hunde gefangen und geschlachtet. Sogar auf dem Schwarzen Markt handelt man mit Hundefleisch, und für einen Schenkel werden hundert Mark geboten.“ In einer Nacht, so ein weiterer Bericht, verschwanden damals in einem Bezirk 30 Hunde spurlos.
Nur ein dreibeiniger schwarzer Kater wohnte 1046 im Katzenhaus
Heute ist Berlins Tierheim nahezu überfüllt. 1946 war hingegen noch viel Platz. „Der einzige Bewohner des Katzenhauses ist ein dreibeiniger schwarzer Kater“, notierte der Tagesspiegel im August ’46. Doch schon in den Fünfziger Jahren betreute man mehrere hundert Schützlinge und war bestens ausgestattet. Es gab sogar Spezialstaubsauger zum Entflohen.
Dass der Protest gegen die Massentierhaltung geradezu Tradition hat, zeigt ein weiterer Blick ins Tagesspiegel-Archiv. Bereits zu seinem 125-jährigen Bestehen verkündete der Tierschutzverein : „Die grausame Haltung von Hühnern in Legebatterien, die qualvolle Unterbringung der Kälbchen in engen Marterkisten (den sogenannten Mastboxen), die quälerische Aufzucht von Schweinen in Dunkelställen gehören zu den Tierquälereien, die in den Tierfabriken aus Gewinnsucht begangen werden.“
Und im November 1966 protestierte der Verein gegen ein heftig umstrittenes Vorhaben in Neukölln, das heute skurril anmutet: Ein geplantes „Hühner-Hochhaus“ am Boschweg. Es sollte nach der Vollendung 250.000 Hennen aufnehmen, wurde auch gebaut – bestand aber nicht allzu lange.
Ein Wachhund der Vopos sprang über die Mauer
Und noch ein letzter Blick zurück: In den Sechziger Jahren kamen immer mal wieder vierbeinige Grenzgänger ins Tierheim Lankwitz. Beispielsweise am 14. Juni 1965. Da sprang am Checkpoint Charlie ein Wachhund der DDR-Grenzposten über die Mauer. Nachdem sie das Tier gefüttert hatten, wollten es US-Militärpolizisten zurückgeben. „Hier ist Euer Hund!“ Antwort der Vopos: „Bedaure, wir haben keine Anweisung!“ Der Grenzgänger kam dann ins Tierheim – und fand alsbald ein friedliches West-Berliner Zuhause.
Was geschieht aktuell in Sachen Tierschutz in Berlin?
Einen Bericht über Europas größtes Tierheim in Hohenschönhausen zum Jubiläum des Tierschutzvereins finden Sie hier.
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