Tierfriedhöfe in Deutschland: Zu Besuch im Tierhimmel
Der letzte Gang: Wenn Hund oder Katze sterben, werden sie geschreddert. Oder finden Platz auf einem Tierfriedhof. Schon jedes zehnte Haustier wird dort begraben. Ein Besuch.
Im Tierhimmel ist sonntags Bereitschaftsdienst. Wenn das Telefon klingelt, will der Mann in Schwarz wissen: Wie groß? Wie schwer? Dann fährt er mit einem breiten Weidenkorb im Kofferraum los, um den Leichnam abzuholen.
Am Montag um halb elf sieht der Verstorbene aus, als schliefe er. Die Vorderbeine unter der Brust angewinkelt, den Kopf in das weiße Kissen geschmiegt. Eine rote Rose liegt auf der Baumwolldecke. Leise Klaviermusik spielt, während nebenan der Ofen warmläuft.
Toulouse war ein zugänglicher Hund. Er hatte keine Probleme mit anderen Rüden, war zärtlich zu seinen Menschen. Er behütete sie wie eine Herde, zog gern Kreise um sie. Es steckte ihm im Blut: Sein Großvater hatte in den Pyrenäen noch Schafe gehütet.
Als er zu ihnen kam, wenige Wochen alt, da nahmen die Krugs* den Atlas und ließen den Finger über dem Gebirge kreisen. Sie landeten etwas zu weit nördlich. Von da an hieß er Toulouse.
Kamen die Söhne aus der Schule, fragten sie zuerst: Wo ist er? Herr Krug machte morgens um fünf den ersten Gang mit ihm, Frau Krug traute sich an seiner Seite spät abends raus. Toulouse war alt, aber er schnüffelte noch mit der Neugier eines Welpen, sobald er eine Fährte aufnahm.
Anfang der Woche waren sie noch spazieren gewesen
Am Mittwoch lief Blut aus seiner Nase. Ein Nierentumor, nicht operabel. Die Krugs fütterten den schwächer werdenden Hund aus der Hand, trugen ihn hinaus ins Gras. Am Freitag hob er ein letztes Mal das Bein.
Als er nicht mehr auf ihre Stimmen reagierte, riefen sie die Ärztin. „Mit Toulouse starb ein Familienmitglied“, sagt Frau Krug.
Ralf Hendrichs weiß, wie die Krugs sich fühlen. Sein erster Hund wurde durch Rattengift getötet. Damals ging alles sehr schnell. Der leblose Körper des Dobermanns blieb in der Tierarztpraxis. „Zu Hause krochen meine Frau und ich auf dem Teppich herum, um ein paar Haare als Andenken zusammenzuklauben“, erzählt er. Da sei ihr die Idee mit dem Tierfriedhof gekommen.
Heute, 14 Jahre später, erstreckt sich das Gelände des Tierbestattungszentrums Tierhimmel in Teltow über 10 000 Quadratmeter. Als Immobilienmakler kam Hendrichs günstig an ein Grundstück, kaufte nach und nach angrenzende dazu. Ehe er aber die Genehmigung hatte, vergingen fünf Jahre. „Damals war das kein verbreitetes Geschäftsmodell“, sagt er. Inzwischen gibt es sechs Tierfriedhöfe im Raum Berlin.
450 Millionen registrierte Haustiere leben in Deutschland. Jedes Jahr sterben rund viereinhalb Millionen. Während die klassischen Friedhöfe wirtschaftlich in Nöte kommen, weil die Hinterbliebenen es möglichst kostengünstig und pflegeleicht haben wollen, verzeichnen Tierfriedhöfe wachsenden Zulauf. „Den ungeliebten Onkel muss, das Haustier will man bestatten“, sagt Hendrichs. Er ist zugleich zweiter Vorsitzender des Bundesverbands der Tierbestatter. 150 Tierfriedhöfe zählt der bundesweit.
3000 Tiere bestattet Hendrichs im Jahr
Schon jedes zehnte Haustier findet auf einem von ihnen Platz. Immer mehr Menschen wünschen sich einen würdevollen Abschied für ihr Tier. Mit 120 Toten im Jahr hat der Tierhimmel angefangen, jetzt sind es fast 3000.
Während Toulouse am Montagmorgen im „Raum der Stille“ aufgebahrt wird, herrscht draußen reger Betrieb. Eine Frau mittleren Alters pflanzt Heidekraut. Auf dem Grabstein steht: „In Liebe und Dankbarkeit. Lissy“. Die Felder sind nach Größe geordnet. Vorne rechts liegen die Kleintiere, Yorkshire-Terrier und Katzen, gegenüber, wo ein älteres Paar mit einer Harke zugange ist, die Neufundländer.
Auf öffentlichen Grünflächen ist es nicht erlaubt, sein Tier zu verscharren. Nicht jeder hat einen Garten. Im Verwaltungsgebäude des Tierhimmels informieren die Helfer über die Möglichkeiten. Die Erdbestattung für einen Hund und ein zweijähriger Pachtvertrags kosten je nach Größe zwischen 240 und 300 Euro. Ein Hamstergrab, das meist Kindern zuliebe angeschafft wird, nur 50 Euro – „da zahlen wir drauf.“ Die Schiffchen für die Seebestattung bastelt ein Mann aus Papyrus mit wasserlöslichem Kleber.
Tiere, die in einer Tierarztpraxis zurückbleiben, werden in Sammelstellen überführt, von wo aus die Kadaver containerweise zu Tierkörperbeseitigungsanstalten gekarrt werden. Von großen Maschinen werden sie dort zusammen mit Schlachtabfällen zerkleinert. Aus den Fetten, die so gewonnen werden, stellt die chemische Industrie Seifen her. Man muss keine alte Dame mit Kätzchengardinen sein, um diesen Gedanken unangenehm zu finden.
Zweieinhalb Millionen Euro hat der Friedhof gekostet
Herr und Frau Krug sind beide Akademiker, Anfang fünfzig. Als sie das Friedhofsgebäude an diesem Montag betreten, hat er gerötete Augen, ihre Hand sucht seine. Es ist nicht kalt im Raum. Trotzdem lassen die beiden Schal und Mantel an.
Zweieinhalb Millionen Euro haben Ralf Hendrichs und seine Unterstützer in das Tierbestattungszentrum investiert. 15 bis 20 Jahre, rechnet der 62-Jährige, braucht es, ehe das wieder drin ist. Hendrichs ist froh, dass er in Dirk Daßler einen jüngeren Geschäftspartner gefunden hat, der den Friedhof einmal weiterführen wird. Sonst hätte sich die Anschaffung des Ofens nicht gelohnt: Der Tierhimmel ist Deutschlands erster Tierfriedhof mit angeschlossenem Krematorium. Das Stahlgehäuse haben Hendrichs himmelblau lackiert und weiße Wolken daraufgesprüht.
Es gibt Urnen in Mopsform, mit echten Swarovski-Kristallen und Fotodruck. Für 129 Euro bekommen Kunden ein Amulett, in das Tierhaar oder Asche gefüllt wird. Für 1700 Euro wird es zum Diamanten gepresst. Nicht jedem gefällt das. Andere sind „in einem derart emotionalen Ausnahmezustand, die wollen gleich das ganze Paket“, sagt Hendrichs.
Einer wollte sich das Leben nehmen
Es gibt Besucher, die kommen täglich: Mit Gerbera, Grablichtern – und den immer gleichen Geschichten. Im Tierhimmel ist jeder Angestellte Sozialarbeiter. Einmal fuhren zwei nach Marzahn, um einen toten Hund zu holen. Eine gepflegte Zweizimmerwohnung, sechster Stock. Der Besitzer bestand darauf, sofort zu bezahlen. Und lief, als alles geregelt war, zum Fenster, um hinauszuspringen.
In einer Gesellschaft, in der es immer mehr Singles gibt, immer weniger stabile familiäre Bindungen, gewinnt das Tier als Lebenspartner an Bedeutung.
„Ich sehe junge Männer, die hemmungslos um ihre Katze weinen“, sagt Hendrichs. Und hat eine neue Geschäftsidee entwickelt. Auf einem Feld etwas abseits will er Menschen und Tiere gemeinsam bestatten. Der Antrag läuft.
Die Krugs haben sich entschieden, Toulouse einäschern zu lassen. Doch vorher wollen sie in Ruhe Abschied nehmen. Frau Krug hat Fotos mitgebracht. Eine Aufnahme von Toulouse mit vom Wind zerzaustem Haar am Nordseestrand. Eine andere zeigt ihn mit kurzem, dichten Fell. „Da hatten wir ihn geschoren, weil es so heiß war.“ Damals hielten alle ihn für einen Riesen-Welpen. Sie muss lachen.
Jetzt ist das Haar sorgfältig von Mitarbeitern zurechtgekämmt. Um elf Uhr 51 streicheln Herr und Frau Krug es zum letzten Mal.
Hendrichs hat einen Film drehen lassen
Dann folgen sie zwei schwarz gekleideten Korbträgern in den Einfuhrraum. Sie decken den Hundekörper zu und heben das Bündel auf die Bahre. Kurz darauf öffnet sich der Ofen, man hört lautes Getöse, ein Strom warmer Luft schlägt den Krugs entgegen. Ein kräftiger Stoß, und die Bahre ist leer.
Auf der Wand erscheint in dem Moment ein Regenbogen. Stück für Stück wächst die Brücke hin zu einer satten Blumenwiese, auf der Hunde, Katzen, Hasen gesund und friedvoll miteinander existieren. Ralf Hendrichs hat dieses Filmchen in Babelsberg produzieren lassen. Die Darstellung entspreche zwar nicht unbedingt ihrem Geschmack, sagt Frau Krug. „Aber sie hat etwas Tröstliches.“
Hinter der Wand verbrennt Toulouse bei 800 Grad. Zwei Stunden wird es dauern, bis von dem 18 Kilo schweren Tier nur noch Ascheflocken und Knochensplitter übrig sind. 808 Gramm, und die Erinnerungen an ein erfülltes Hundeleben.
Die Krugs werden kein Ascheamulett kaufen, nicht mal einen Pfötchenabdruck mitnehmen. Nur die schlichte Urne aus sandfarbenem Ton. Sie wollen Toulouse' Asche an einem Ort verstreuen, an dem er gerne spazieren ging.
So schön die Anlage sei: Zu diesem Friedhof und Teltow, sagen sie, hatte er ja gar keinen Bezug.
Toulouse wurde 15 Jahre alt.
*Familienname geändert
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