Berliner AfD-Fraktion droht Finanzdebakel: Wirtschaftsprüfer sieht „nicht unerhebliches Risiko“ für Rückforderung
Ein Gutachten zu den Finanzen der Berliner AfD-Fraktion kommt zu einem für den Vorstand unangenehmen Ergebnis. Auch der Rechnungshof schaltet sich ein.
Der Berliner AfD-Fraktion drohen im Fall einer Überprüfung ihrer Finanzen durch den Rechnungshof des Landes Rückforderungen des Abgeordnetenhauspräsidenten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Ende April fertiggestelltes Wirtschaftsgutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt.
Anlass für das aus Sicht des Prüfers "nicht unerhebliche Risiko" von Rückforderungen ist dessen Angaben zufolge die "fehlende Bereitschaft" zur konsequenten Anwendung und Umsetzung bestehender Regelungen durch einzelne Beteiligte. Diese würden Vorgaben "offenbar nicht anerkennen und befolgen" und damit die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Finanzbuchhaltung verletzen. Ein Sprecher des Rechnungshofes kündigte daraufhin an: "Wir werden das Thema im Zuge der laufenden Prüfungen aufgreifen."
Konkret kritisiert der vom Ende Juli fristlos entlassenen Fraktionsgeschäftsführer Andreas Einfinger im Auftrag der Fraktion engagierte Wirtschaftsprüfer, dass die von der Fraktion eingesetzte Buchhaltungssoftware nicht ausreichend zertifiziert sei. Das System der Buchführung sei nicht dokumentiert, Eingangsrechnungen würden händisch erfasst, eine revisionsfähige Dokumentation könne nicht nachgewiesen werden, heißt es im Gutachten.
Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, welcher Wirtschaftsprüfer in den vergangenen Jahren mit der Prüfung der Verwendungsnachweise der Fraktion beauftragt worden war und warum dem Gutachten zufolge über Monate Posteingangsstempel mit der Prägung "Genehmigt" oder "Zur Zahlung freigegeben" in der Fraktion kursierten. Diese waren offenbar selbstständig angefertigt und schließlich vom ehemaligen Fraktionsgeschäftsführer einkassiert worden, erklärt der Gutachter weiter.
Weitere Kritikpunkte: Eine "stichprobenartige Prüfung" von Belegen habe ergeben, "dass zahlreiche Mittelverwendungen nicht den Anforderungen des Fraktionsgesetzes entsprechen." Beantragungen fehlten ebenso wie Leistungsnachweise von Unternehmen, mit denen Rahmenverträge geschlossen worden waren. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit sei möglicherweise nicht ausreichend gewürdigt worden und teilweise sei unklar, ob Fraktionsmittel ausschließlich für fraktionsinterne Zwecke verwendet wurden.
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Das Bekanntwerden des Gutachtens dürfte die zuletzt ein zerrüttetes Bild abgebende AfD-Fraktion weiter entzweien und vor allem den amtierenden Fraktionsvorsitzenden Georg Pazderski sowie dessen Vertrauten Frank-Christian Hansel, Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, weiter unter Druck setzen. Hansel wird von Teilen der Fraktion vorgeworfen, sich unbefugt und ohne Einhaltung rechtlicher Vorgaben in die Finanzverwaltung der Fraktion eingeschaltet zu haben. Ein auch damit begründeter Beschluss der Fraktion, diese an einen externen Dienstleister zu übergeben, fiel Mitte Mai. Damals war den Mitgliedern der Fraktion das Gutachten bereits bekannt.
Hansel hält das Gutachten für manipuliert
Am Dienstagabend und damit in der ersten Fraktionssitzung nach der Sommerpause revidierte die Fraktion ihre im Mai mit knapper Mehrheit getroffene Entscheidung. AfD-Haushaltsexpertin und Pazderski-Kontrahentin Kristin Brinker legte daraufhin ihren Ko-Fraktionsvorsitz nieder. Von "versprochenen Listenplätzen" ist intern die Rede und davon, dass vor allem die vom Abgeordnetenhausmandat abhängigen Fraktionsmitglieder an der Seite Pazderskis stünden.
Den vom Fraktionsvorsitzenden und Hansel infolge des Brinker-Rücktritts erhobenen Vorwurf, das Gutachten sei "gezielt manipuliert" worden und Brinker habe davon gewusst, wies ein hochrangiger Vertreter des in Hamburg beheimateten und von der AfD beauftragten Wirtschaftsprüfungsunternehmens am Donnerstag wiederholt zurück.
Die Darstellung sei "vollkommener Quatsch", das Unternehmen habe sich "überhaupt nichts vorzuwerfen", hieß es aus der Firmenzentrale. Das Unternehmen kündigte an, "gegen jeden vorzugehen, der unseren Ruf schädigen will." Tags zuvor hatte der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann die Darstellung Pazderskis mit den Worten "Fake news und Lügen!" kommentiert.