Saleh statt Müller bei den Jusos: "Wir müssen Tacheles reden, wohin wir wollen"
Michael Müller hatte kurzfristig keine Zeit, deshalb kam Raed Saleh zu den Jusos. Er ging offen und kritisch mit der SPD um. Dann erzählte er eine Geschichte über Chef-Lobbyist Peter Strieder.
Der Seitenhieb saß. „Wenn die Jusos rufen, hat man zu kommen.“ Das sagte SPD-Fraktionschef Raed Saleh am Sonntag auf der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Jusos. Angefragt hatten die Jusos eigentlich den Regierenden Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller. Er hatte Samstagabend kurzfristig abgesagt. Juso-Landeschefin Annika Klose fragte dann per SMS Raed Saleh an, ob dieser Zeit hätte, mit den Jungsozialisten über das Wahlergebnis und ein rot-rot-grünes Bündnis zu sprechen. Saleh hatte Zeit und kam ins Turn- und Freizeitzentrum „Wulle“ in Moabit. Er ging sehr offen und kritisch mit der SPD und Lobbyisten um, namentlich mit Peter Strieder. Das kam bei den rund 100 Delegierten gut an.
Die meisten Jusos bedauerten es, dass Müller als Landesvorsitzender nicht erschien. „Das ist sehr schade. Trotz Koalitionsverhandlungen hätte er ein paar Tage vorher absagen können. Den Seitenhieb auf Michael Müller hat sich Raed Saleh verdient, weil er da war. Damit muss Michael leben“, sagte Paul Wolter, stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos aus Mitte. „Dass Michael nicht da ist, ist schon ärgerlich. Das hätten wir erwartet. Aber Raed war da, und das war sehr gut“, sagte Juso-Delegierte Joelle Schulz. Die Juso-Vorsitzende Klose wies darauf hin, Müller habe schon bei ihrer Anfrage betont, es könne zeitlich für ihn sehr eng werden. SPD-Parteisprecherin Marisa Strobel wies auf „Terminschwierigkeiten“ hin.
Saleh: "Wir müssen Tacheles reden"
Dass sich Müller einer Debatte der radikalen Jungsozialisten über den schlechten Wahlausgang zu diesem Zeitpunkt nicht stellen wollte, mutmaßten einige Jusos. Denn am Dienstag berät der SPD-Landesvorstand ab 16.30 Uhr open end: Die parteiinterne AG Wahlanalyse will ihre Ergebnisse vorstellen und darüber diskutieren. Raed Saleh hatte mit seiner eigenen Analyse über die SPD „von der Volkspartei zur Staatspartei“ im Tagesspiegel eine heftige Diskussion in seiner Partei ausgelöst. Bildungsstaatssekretär und SPD-Landesvize Mark Rackles, der auch die Wahlanalyse-AG leitet, warf Saleh vor, dessen Analyse sei eine „Kampfansage“ mit Stoßrichtung gegen Michael Müller, auch wenn dieser ihn nicht direkt genannt habe. Rackles gab der SPD-Fraktion eine erhebliche Mitschuld an dem schlechten Wahlergebnis von 21,6 Prozent.
Bei den Jusos ging Raed Saleh zunächst hart mit der Bundes-SPD ins Gericht. Diese habe ein „Glaubwürdigkeitsproblem. Wir müssen Tacheles reden, wohin wir mit unserer Partei wollen“. In Berlin habe man vieles gemacht, um die soziale Spaltung zu verhindern. „Wenn Rot-Rot-Grün hoffentlich gelingt, wünsche ich mir ein menschliches Berlin“, rief Saleh. Ein sozial gerechtes Berlin sei die Aufgabe für die nächsten Jahre.
Kritik an Müllers Kommunikationsberater
Er verteidigte seine eigene Wahlanalyse. „Es ist richtig, Themen anzusprechen.“ Das Wahlergebnis von 21,6 Prozent sei ein „Warnsignal, ein blauer Brief mit dem Hinweis Versetzung gefährdet“. So ein blauer Brief könne Wunder bewirken. „Man macht seine Hausaufgaben.“ Der Fraktionschef wandte sich scharf gegen „schlaue Kommunikationsberater“ der SPD, die auf Facebook posten würden, AfD-Wähler nicht für die SPD zurückgewinnen zu wollen. Damit meinte er Robert Drewnicki, Kommunikationsberater von Michael Müller, der in einem Facebook-Post den Versuch für vergeblich erklärte, AfD-Wähler wieder für die SPD gewinnen zu wollen. „Diejenigen, die Angst haben, die fragen, wo die SPD bleibt, will ich sehr wohl zurück“, sagte Saleh.
Er forderte im Kampf gegen Lobbyisten mutiger zu sein. Hier ging er voran und erzählte: Nachdem er 2011 als Fraktionschef gewählt worden war, besuchte ihn Chef-Lobbyist Peter Strieder. Saleh schilderte detailliert dann eine launige Geschichte, die bisher nur in Hintergrundrunden bekannt war. Die Jusos applaudierten lautstark.
Jusos sprechen sich einstimmig für Rot-Rot-Grün aus
Die Junggenossen wiederum kritisierten Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) mehrfach heftig. „Fast jede Woche hat es im Wahlkampf wieder einen Skandal mit Geisel gegeben“, sagte ein Jungsozialist. „Die Bürger bekommen das doch alles mit. Und mit diesen Politikern machen wir noch fünf Jahre weiter?“, fragte ein Genosse und erhielt lauten Beifall. Viel zu spät habe die SPD vom strikten Sparkurs umgesteuert, sagte Klose. Die soziale Gerechtigkeit als SPD-Markenkern sei nicht mehr glaubwürdig gewesen. Ein Weiter so dürfe es nicht geben.
Einstimmig sprachen sich die Jusos für Rot-Rot-Grün aus. Tradition bei den Jusos ist es, einen absurden Antrag einzubringen. Am Sonntag hieß der: „Duzi Duzi du Opfer – für eine Koalition mit der Partei Berlin“ in Anlehnung an ein Wahlplakat-Slogan der Satirepartei. Übrigens: Raed Saleh betonte, er habe den Seitenhieb gegen Müller natürlich nur ironisch gemeint.
Der Text wurde am 02.11.2016 um 14 Uhr geändert.