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Kiddy Citny steht für der East Side Gallery
© privat

East Side Gallery: Mauerkünstler Kiddy Citny im Interview: "Wir müssen die Lücke zumauern"

Die East Side Gallery muss stehen bleiben, und zwar lückenlos: Das fordert zumindest der Mauerkünstler Kiddy Citny. Statt nach der erneuten Durchlöcherung am Mittwochmorgen weiter zu demonstrieren, denkt er nun über ein radikaleres Vorgehen nach.

Weltbekannt wurde Kiddy Citny durch seine kronentragenden Herzköpfe, die er als Symbol der Einheit Mitte der 1980er Jahre an die Berliner Mauer malte. Teile davon stehen heute unter anderem im New Yorker Museum of Modern Art und vor dem Märkischen Museum in Berlin. Auch an der East Sidy Gallery ist ein Gemälde des Künstlers zu finden. Es trägt den Titel „qui baise qui“, zu deutsch „wer fickt wen“. Cinty ist 1957 in Stuttgart geboren, 1977 zog er nach West-Berlin.

Herr Citny, als einer der Künstler, der die East Side Gallery bemalt hat, beobachten Sie seit Tagen die Entwicklungen. Was stört Sie am meisten?
Die East Side Gallery ist das einzige noch zusammenhängende Stück Mauer in Berlin. Wenn es durchlöchert wird, macht es keinen Sinn mehr.

Warum?
Weil die Mauer damals auch nicht durchlöchert war. Die Ganzheit, die Unversehrtheit ist das wichtigste. Ohne Kompromisse. Dass für den Bootsanleger der O2-Arena eine 100-Meter-Öffnung geschaffen wurde, fand ich schon daneben. Man würde ja auch nicht vom Brandenburger Tor zwei Säulen wegnehmen, damit LKWs durchfahren können.

Der Investor versichert immerhin, die Mauerstücke, die am Mittwoch entnommen wurden, wieder einzusetzen. Es handle sich um eine vorübergehende Notwendigkeit um eine Baustellenzufahrt zu schaffen…
Und irgendwann wird es ganz normal sein, dass etwa während einer Veranstaltung kurzerhand fünfzig Mauerstücke für einen Monat weggenommen werden. Dadurch wird das Denkmal entwürdigt. Das finde ich wirklich traurig. Dort sind damals Kinder ertrunken! Jetzt wird die East Side Gallery zu einer Disney-Mauer.

Wie meinen Sie das?
Es fehlen nur noch alle zehn Meter ein Currystand und ein Kinderspielplatz dahinter. Das wird so verniedlicht, einfach absurd. Und erst vor fünf Jahren wurde die gesamte East Side Gallery für insgesamt zwei Millionen Euro saniert. Jetzt kommt ein millionenschwerer Investor und das arme Bezirksamt knickt ein. Das ist nicht korrekt. Und vor allem ist es unglaubwürdig: Die East Side Gallery wurde zum Denkmal erklärt. Trotzdem werden Baugrundstücke verkauft. Das ist peinlich.

Für den Mauerteil, den sie bemalt haben, haben Sie den etwas brachialen Titel „qui baise qui“, „wer fickt wen“ gewählt. Was wollen Sie damit ausdrücken?
Thierry Noir erzählte mir in den 90er Jahren von der East Side Gallery und fragte mich, ob ich sie mit bemalen würde. Mir gefiel die Idee. Ich wollte die Geschichte der Widervereinigung erzählen, die Stimmung nach dem Mauerfall beschreiben – nämlich dass der Westen der Sieger der Widervereinigung ist. Auf meinem Bild sieht man daher Ruderknechte, die von der Galeere gestoßen werden. Deswegen auch der Titel „qui baise qui“.

"Eigentlich müsste man etwas Radikaleres machen"

Mit Thierry Noir, einem französischen Künstler, hatten Sie schon Mitte der 80er Jahre die Berliner Mauer in Mitte bemalt.
Genau. Das war immer ein ziemliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns und den Grenzsoldaten. Wir haben uns an die Mauer herangeschlichen, denn wenn wir erstmal dran waren, konnten uns die Grenzsoldaten nicht mehr sehen. Es war etwas völlig Neues, Kunst statt der immer gleichen Parolen „Die Mauer ist scheiße“ und „Honecker, geh’ nach Hause.“ Mit der Malerei wollte ich die Mauer ad absurdum führen. Ich wollte Ostberlin letztlich mit Kunst einschließen, es zu einem großen Museum erklären. Als Motiv habe ich kronentragende Herzköpfe gewählt.

Ihre berühmten Herzköpfe wollten Sie auch 2011 auf einem Stück Mauer am Griebnitzsee verewigen und lösten damit eine hitzige Diskussion aus…
Ja, ich fand die Idee und das Motiv gut. Die Mauer am Griebnitzsee sollte die Ostdeutschen daran hindern, zu flüchten. Ich habe dann im September mit der Bemalung begonnen. Es fing leider an zu regnen, und ich wollte ein paar Tage später weitermachen. Da kamen aber schon die ersten Pressemeldungen und die Aktion ist zu einer Provinzposse ausgeartet. Ich wurde dann nach Potsdam diktiert und musste dem Denkmal- und Kulturamt erklären, warum ich das gemacht habe. Sie sagten schließlich, die Idee sei eigentlich nicht schlecht, aber dass es nun mal verboten ist.

…zumal dieses Mauerstück ein Mahnmal war.
Das wusste ich damals nicht. Wir einigten uns jedenfalls darauf, im Frühjahr nach einer Lösung zu suchen. Doch dazu kam es nicht. Man ließ das Gemälde weiß übertünchen.

Informiert hatte Sie darüber niemand?
Nein. Ich war schockiert über die kunstzerstörerische Handlungsweise. Das war Kunst, es kam zu Diskussionen, da hat man es lieber schnell weggemacht. Ohne sich an unsere Vereinbarung zu halten.

Das erinnert etwas an die aktuelle Situation an der East Side Gallery.
Absolut. Die Politik agiert, wie sie will. Man kann nicht einfach Stücke aus einer denkmalgeschützten Mauer reißen! Deswegen unterstützte ich auch die Proteste voll und ganz. Wobei ich die David Hasselhoff-Nummer etwas albern finden.

Warum?
Es ist irgendwie schade, dass ein „Baywatch“-Star aus Amerika kommen muss, um den Berlinern zu sagen, was sie mit ihrer Mauer machen sollen. Ich denke, die Nummer ist gut für Hasselhoff, der ein Konzert spielen will. Vielleicht ist er auch größenwahnsinnig und denkt, durch seinen Song sei die Mauer eingestützt.

Was müsste denn getan werden?
Tja. (überlegt) Jetzt, wo Sie mich fragen: Eigentlich müsste man etwas Radikales machen. Wir müssen die Lücke zumauern und wieder bemalen, ohne Wenn und Aber. Ich werde mal Thierry Noir anrufen.

Das Interview führte Jana Illhardt.

Jana Illhardt

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