Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt: "Wir kämpfen täglich mit den Folgen der Sparpolitik"
Zu wenig Personal, marode Schießstände, Vorwürfe gegen Polizeischüler: Berlins Polizeipräsident Kandt spricht im Interview über gefährliche Sparpolitik und neue Brennpunkte.
Herr Kandt, in den vergangenen Tagen wurden von Polizisten, aber auch aus der Politik heftige Vorwürfe erhoben: Es ging um Disziplinlosigkeit in der Polizeiakademie und mögliche Kontakte zwischen Schülern und kriminellen Clans.
Ja, es gab Ärger an der Akademie. Fast alle Vorwürfe aber beziehen sich auf Gerüchte, ohne Belege. Wir hatten in diesem Jahr 33 Disziplinarverfahren gegen Schüler und Studenten der Berliner Polizei – 33 bei 3000 jungen Männern und Frauen! Und immer wenn es konkret wird, wenn wir Kollegen nach Details fragen, kommt wenig. Richtig ist, dass sich einige Kollegen ärgern, weil die Ausbildung umstrukturiert wurde. Und während innerhalb der Polizei einige alles beim Alten belassen wollen, setzen wir insgesamt auf Modernisierung.
Ausgelöst hat die Debatte ein Polizeisanitäter, der von einer Klasse berichtete, in der ihm die pöbelnden Polizeischüler aus arabischen und türkischen Familien offenbar Angst machten. Nehmen sie das ernst?
Ja, und ich habe mit dem Kollegen gesprochen. Er war in dieser Klasse an diesem Tag überfordert und frustriert. Allerdings hatte er die Nachricht nicht für die Öffentlichkeit verfasst, sondern einem Freund geschickt. Wir diskutieren an der Akademie nun, wie wir Disziplin besser durchsetzen und Ausbilder besser vorbereiten können.
Sind Anwärter heute schlechter als noch vor einigen Jahren?
Ich habe 1979 mit 19 Jahren in Bayern beim Bundesgrenzschutz mit der Ausbildung angefangen. Da haben wir auch viel Quatsch gemacht – kann man heute gar nicht alles erzählen. Aus uns wurden trotzdem gute Polizisten.
Wurden die Anforderungen gesenkt – auch um mehr Männer und Frauen aus Einwandererfamilien in die Truppe zu bekommen?
Seit 2010 sind die Anforderungen praktisch gleichgeblieben. Polizei ist überall wichtig, in dieser Stadt vielleicht sogar noch ein bisschen wichtiger. Wir sollten aufhören, alles klein und kaputt zu reden. Und eines steht fest: Wir brauchen Beamte mit Migrationshintergrund. Die allermeisten von ihnen leisten einwandfreie Arbeit.
Der 27-jährige Polizeischüler, den ihre Kollegen im September bei einer Kontrolle in einer Shisha-Bar mit vorbestraften Männern eines arabischen Clans getroffen haben – was passiert mit dem?
Wir prüfen den Fall. Ich habe allergrößtes Interesse daran, dass wir uns von Azubis trennen, die für den Beruf ungeeignet sind.
Fühlen Sie sich vom Senat allein gelassen?
Die Politik hat über Jahre massiv gespart, wir kämpfen täglich mit den Folgen: zu wenig Personal, marode Schießstände, alte Ausrüstung. Und wir werden auch noch lange mit einer Art Mangelwirtschaft leben. In den nächsten Monaten gehen zum Beispiel zahlreiche Kollegen in Rente. Aber seit zwei, drei Jahren hat sich schon viel geändert.
Beispielsweise?
Schon unter dem Vorgänger-Senat gab es mehr Mittel, nun wird noch mal aufgestockt – wobei das die Lage auch erfordert. Der Ausbau des so oft kritisierten Digitalfunks läuft gerade, es werden mehr Sendemasten in der Stadt gebaut.
Vergangenes Jahr konnten sich Einsatzkräfte im Benjamin-Franklin-Klinikum nicht per Funk erreichen – kurz zuvor hatte dort ein Mann einen Arzt erschossen.
Ja, es gibt Mauern, die blockieren unseren Funk. Auch in Tunneln klappt es zuweilen nicht. Wir kooperieren dazu nun mit der BVG. In den nächsten drei Jahren werden in Berlin rund 20 Millionen Euro investiert, damit 2021 dann 47 neue Sendemasten in der Stadt stehen. Bis dahin werden auch unsere Beamten so viel verdienen wie im Bundesschnitt.
Noch erhalten Polizisten in Berlin oft hunderte Euro weniger im Monat als Kollegen in Brandenburg. Hat Innensenator Andreas Geisel, SPD, erkannt, was zu tun ist?
Ja, und wir haben hart mit ihm verhandelt. Senator Geisel weiß, dass sich neue Lagen ergeben haben, dass die Stadt eine modernisierte Polizei braucht.
Inwiefern?
Es gibt deutlich mehr Ermittlungen und Einsätze gegen mutmaßliche Terroristen. Wir brauchen enorm viel Personal, um die steigende Zahl islamistischer Gefährder zu beobachten. Dazu gehören Observationen, Telefonüberwachungen, Übersetzungen. Aber auch Brennpunkte der Alltagskriminalität etwa am RAW-Gelände oder auf dem Alexanderplatz kamen in den vergangenen zwei, drei Jahren dazu. Gerade am Alex werden mehr Straftaten gezählt als zuvor. Deshalb die neue Alex-Wache.
Am Alexanderplatz werden nach Schlägereien und Übergriffen, berichten Beamte, auffallend oft Männer aus Pakistan, Syrien, Irak und Afghanistan festgenommen.
Und so einfach wird sich die Lage dort nicht verbessern. Viele Probleme kann die Polizei gar nicht lösen – da ist die Bildungs- und Sozialpolitik gefordert.
Zwischen Ihnen, Herr Kandt, und Vizechefin Margarete Koppers soll es Spannungen, wenn nicht Streit gegeben haben?
Frau Koppers und ich führen Debatten. Was nützen mir Jasager? Außerdem ist die Zeit harter, autarker Einzelkämpfer vorbei, die Welt ist viel zu komplex geworden.
Haben Sie selbst Fehler gemacht?
Am Anfang, also 2013, auch noch 2014 dachte ich, mit den gegebenen Ressourcen werde ich mit viel Mühe wohl auskommen. Mit dem Wissen von heute hätte ich gleich mehr Druck auf die Politik machen sollen, um Personal und Ausrüstung aufzustocken.
In den vergangenen Wochen haben Unbekannte auf dem Polizeihof in der Belziger Straße einen beschlagnahmten Wagen geöffnet, womöglich um Spuren zu beseitigen. Einige vermuten, dass die Täter einem arabischen Clan angehören.
Völlig unbestritten, es wäre besser, wir hätten überall abgeschlossene Hallen. Aber wie gesagt, lange war die Berliner Polizei eine runtergesparte Behörde. Und wenn sichergestellte Wagen nur von einer alten Mauer umgeben sind, nutzen das versierte Kriminelle. Ich mache Druck, dass der Senat endlich auch in die Gebäude investiert.
Gibt es aus Ihrer Sicht im kommenden Jahr gute Nachrichten?
2018 werden alle Einsatzkräfte mit neuen Schutzwesten ausgestattet. Die neuen Westen sind wie die alten stich- und schusssicher. Verschärft sich die Lage bei einem Einsatz, lassen sich die neuen Westen mit Halsschutz und Zusatzplatten verstärken. Dann kann im Fall der Fälle sogar die Munition aus Kalaschnikows abgehalten werden.
Klaus Kandt, 57, ist seit 2012 Chef aller 23.000 Berliner Polizisten. Zuvor war er bei der GSG 9 und Leiter der Bundespolizei in Berlin.
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