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Am vergangenen Wochenende fanden wegen der aktuellen Lage im Nahen Osten in Berlin pro-palästinensischen Proteste statt.
© Stefanie Loos/AFP

Jüdischer Sicherheitsexperte aus Berlin: „Wir Juden sind das halt irgendwie gewohnt“

Die Proteste der vergangenen Tage haben gezeigt: Der Nahost-Konflikt hat auch Auswirkungen in Berlin. Ein Interview mit Sicherheitsfachmann Oliver Hoffmann.

Herr Hoffmann, Sie betreiben die Streetwise Academy in Berlin-Wilmersdorf, in der das israelische Nahkampfsystem Krav Maga unterrichtet wird. Sie sind Jude, machen das auch öffentlich. Wie war es in den vergangenen Tagen für Sie?
Wir haben keine Angst, falls Sie darauf anspielen. Seit dem aktuellen Konflikt gab es bei uns in der Academy auch keine Vorkommnisse, anders als davor. Da gab es sehr wohl hier und da Schmierereien, Versuche unsere Scheiben einzuwerfen und so weiter. Was sich allerdings bemerkbar macht, ist dass Eltern aus jüdischen Familien zum Teil seit Beginn des aktuellen Konflikts darauf verzichten, ihre Kinder zu uns zu bringen.

Diesen Familien ist es zu gefährlich, im Rahmen unserer als jüdisch und israelisch bekannten Academy ungeschützt draußen zu trainieren. In diesem Zusammenhang wird Training im geschützten Umfeld drinnen zur Bedingung gemacht. Bei den jüdischen Schülerinnen und Schülern betrifft das etwa 30 bis 40 Prozent.

Wie ist es für Ihre Trainer?
In den Teammeetings ist Sicherheit natürlich ein Thema. Fragen wie „Kann noch ein Trainer allein mit den Kindern ohne Gefahr Outdoor-Training machen?“ stehen im Raum. Wir tragen zum Beispiel T-Shirts mit hebräischen Schriftzeichen und zum Teil israelischen Flaggen drauf. Auch haben wir in der Academy selbst die Sicherheitsmaßnahmen verschärft und sind auf alle Eventualitäten vorbereitet, ohne dass ich hier Details dazu preisgeben kann. Bestimmte Szenarien regelmäßig und eben auch aktuell verstärkt zu trainieren, gehört dazu.

Raten Sie Ihren Schülerinnen und Schülern irgendetwas Bestimmtes in dieser Situation? Trainieren Sie gerade etwas Spezielles?
Nein. Wir trainieren derzeit durch den Konflikt nicht anders als sonst – alles was derzeit trainiert wird, wurde auch vor der aktuellen Eskalation trainiert. Wir fangen ja nicht erst an uns vorzubereiten, wenn es zu spät ist.

Sie sind in der jüdischen Community in Berlin gut vernetzt. Wenden sich gerade Leute an Sie und fragen Sie um Rat, wie Sie sich in dieser Situation verhalten sollen?
Ja, viele wenden sich an mich und meine Kolleginnen und Kollegen – aber wir besprechen bestimmte Maßnahmen ohnehin immer und nicht nur, wenn die Situation angespannt ist. Viele gehen gerade wenig raus und tragen keine offenen Symbole, die zeigen, dass sie jüdisch sind. Man wartet jetzt so ein bisschen, bis das Gröbste vorbei ist. Das ist ganz klar zu bemerken.

Oliver Hoffmann.
Oliver Hoffmann.
© Streetwise Academy

[Oliver Hoffmann (45) ist Krav-Maga-Trainer, Bodyguard und Sicherheitsfachmann. Krav Maga ist ein Nahkampfsystem, das im israelischen Militär entwickelt wurde. Aus dem Hebräischen übersetzt heißt es „Kontaktkampf“.]

Was raten Sie Jüdinnen und Juden in Berlin in der derzeitigen Lage?
Nicht dumm zu sein. Nicht aus Prinzip oder wegen eines zu starken Egos die eigene Gesundheit zu gefährden. Man muss im Augenblick einfach nicht mit einer Kippa auf dem Kopf über den Hermannplatz laufen. Auch ohne ein Prophet zu sein, kann man den Ausgang vorhersagen. Es gibt einfach Bereiche, in denen man sich als Jude nicht so sicher bewegen kann wie in anderen. Welche das sind, haben wir gelernt und nutzen dieses Wissen für uns.

Wie sehen Sie denn die Arbeit der Behörden derzeit? Wird genug für den Schutz von Jüdinnen und Juden getan?
In den höheren Ebenen der Sicherheitsbehörden oder im Innensenat ist der gute Wille sicherlich da – aber es scheitert leider oft an der Umsetzung. Für den Schutz von jüdischen Gebäuden, in denen sich auch Menschen befinden, müssen sich Jüdinnen und Juden oft selbst behelfen. Dafür werden meine Mitarbeiter und ich aktuell stark gebucht. Wir müssen oft ersetzen, was der Staat zurzeit noch nicht leistet.

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Wie empfinden Sie denn die Solidaritätsbekundungen, das Aufhängen von Flaggen beispielsweise?
An einem Rathaus hier in der Nähe wurde eine Flagge aufgehängt, die war aber ein paar Stunden später schon wieder weg. Ich schätze den Bezirksbürgermeister dort sehr, aber die wissen natürlich, was passiert, wenn die Flagge da länger und unbeaufsichtigt hängen bleibt. Dieses Phänomen habe ich auch an anderen Objekten festgestellt. Man sieht das Problem des Antisemitismus, stellt sich diesem aber nicht. Wir müssen aber jeden Tag damit leben.

Ihre Kinder gehen auf ein jüdisches Gymnasium. Gibt es da Sorgen, dass etwas passiert?
Meine Kinder haben mir erzählt, dass ein Teil Ihrer Freunde nicht zur Schule kommt, weil die Eltern es wegen des aktuellen Konflikts nicht sicher genug finden. Meine Kinder dürfen aber zur Schule gehen, weil ich überzeugt bin, dass sie in der Schule sicher sind. Wobei ausgeschlossen ist, dass sie eigenständig dorthin oder nach Hause gehen, das übernehmen derzeit wir als Eltern.

[Lesen Sie hier die Reportage mit Tagesspiegel Plus: Wie Berliner Juden lernen, sich selbst zu verteidigen]

Hatten Sie Kontakt nach Israel in den letzten Tagen?
Jeden Tag. Eine Rakete ist vor wenigen Tagen in ein Haus neben der früheren Wohnung meiner Schwester in Tel Aviv eingeschlagen. Dort habe ich mit meiner Familie gewohnt. Eine andere schlug gerade in ein Haus in Tel Aviv ein, wo meine Schwester vor Kurzem erst eine neue Wohnung besichtigt hatte. Ein Mann starb, der nicht rechtzeitig im Bunker war.

Das ist zwar extrem belastend und auch traumatisierend, aber in gewisser Weise auch Routine, meine Schwester zum Beispiel würde nicht auf die Idee kommen, da jetzt wegzugehen. Sie ziehen lieber in eine Wohnung, in der ein Bunkerzimmer ist. Die Leute gehen damit um, wir Juden sind das halt irgendwie gewohnt.

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