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Mutter und Tochter. Sabine und Vera Hemmerling vor dem berühmten Foto von Henry Ries aus der Zeit der Luftbrücke, die sich 2018 zum 70. Mal jährt.
© Fatina Keilani

70 Jahre Luftbrücke in Berlin: „Wir haben fein säuberlich gehungert“

Nichts zu essen und Strom nur nachts: Zeitzeugen erinnerten sich im Museum Neukölln an die Zeit der Blockade.

Nach einer knappen Stunde hält Sabine Hemmerling es nicht mehr aus. Eine halbe Ewigkeit reden die drei Professoren da vorne jetzt schon über die Luftbrücke und wie man sich an sie erinnert hat, in den Fünfzigern, den Sechzigern, den Siebzigern. Die 55-Jährige erhebt sich und liest aus der Einladung vor: „Ich war dabei! Das Luftbrückenbild von Henry Ries. Einige Menschen haben sich darauf wiederentdeckt und ans Museum Neukölln gewandt. Auf einer Veranstaltung zur Schau ,Nebeltage – 70 Jahre der Berliner Luftbrücke‘ berichten sie von ihren persönlichen Erfahrungen während der Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion.“ Und dann sagt Hemmerling: „Ich bin hier, weil ich das hören möchte und nicht, weil ich wissen möchte, was Experten zur Erinnerung in den Siebzigern und Achtzigern sagen.“

Damit ist sie nicht allein. Das Erinnern der Experten ist ein kollektives. Hat man im Osten anders über die Luftbrücke gesprochen als im Westen? In den Fünfzigern anders als in den Sechzigern? Warum verschwand die Erinnerung an die Luftbrücke immer mehr? Wie haben sich die Aufstände 1956 in Warschau und Budapest auf das Erinnern ausgewirkt, wie der Vietnamkrieg und die Studentenunruhen in den Sechzigern, wie die Ostpolitik Willy Brandts in den Siebzigern? Warum wird die Luftbrücke nur mit den Amerikanern verbunden, obwohl Franzosen und Briten auch beteiligt waren?

Nicht der Lärm der Flugzeuge machte Angst, sondern sein Ausbleiben

„Historiker interessieren nicht in diesem Raum“, sagt ein Zuhörer. Hier geht es um das persönliche Erinnern, das des Einzelnen. Gut 50 Personen sind da, viele schon in ihren Achtzigern, und wollen berichten; so haben sie diese Veranstaltung verstanden. Vera Hemmerling steht auf. Es war ihre Tochter, die den Weg gebahnt hat für die persönlichen Geschichten, die der anderen, und Vera Hemmerling braucht nur wenige Sätze, um Eindruck zu machen.

„Ich habe es erlebt, die Not, ich hatte keine Angst mehr vor den Geräuschen der Flugzeuge, sondern war entsetzt, wenn sie nicht kamen“, sagt sie, denn dann gab es nichts zu essen. „Natürlich gingen wir nicht nach Brandenburg, um Kartoffeln zu kaufen, sondern haben fein säuberlich gehungert.“ Das war eine Frage des Stolzes. Und die Amerikaner, die eben noch der Feind gewesen waren, wurden zu Freunden, eine Entwicklung, die sich die meisten vorher nicht hätten vorstellen können. Die Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern überwog bald, auch die Rührung, schließlich hatten die Deutschen gerade immenses Leid über Europa gebracht, und die Staatengemeinschaft war längst nicht bereit, sie wieder als vollwertiges Mitglied aufzunehmen.

Auch Eberhard Kirsch erinnert sich. Er ist auf einem anderen berühmten Bild zu sehen, das im Tempelhofer Flughafen als Wandbild zu sehen ist, als 13-Jähriger in kurzen Hosen, der mit vielen anderen dem Rosinenbomber über ihren Köpfen winkt und hofft, auch einmal so ein Fallschirmchen zu ergattern, an dem die begehrten Süßigkeiten hingen. „Leider hatte ich kein Glück“, sagt Kirsch, mittlerweile 84. Die Not erlebte auch er: „Meine Mutter ging hamstern, und nachts um zwei, wenn es mal Strom gab, machte sie das Essen für den nächsten Tag. Das kam in eine Kiste, damit es warm bleibt.“

Auch die drei anwesenden Professoren Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Jörg Echternkamp hörten mit Interesse zu. Sie gehören zu den Autoren des eben erschienenen Buches „Die Berliner Luftbrücke“, das am 25. April im Roten Rathaus offiziell vorgestellt wird.

Fatina Keilani

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