BVG-Chefin Sigrid Evelin Nikutta: "Wir haben einen Babyboom bei der BVG"
BVG-Chefin Sigrid Evelin Nikutta spricht im Interview über Dieselbusse, Sauberkeit auf Bahnhöfen, die neue Straßenbahn, den Babyboom und einen Besuch aus New York.
Frau Nikutta, was hat Sie als BVG-Chefin in diesem Jahr am meisten geärgert?
Eigentlich war es ein Jahr mit sehr viel Grund zur Freude. Ärgerlich und auch überraschend waren allerdings die Einschränkungen für unsere Fahrgäste bei der Straßenbahn, weil uns hier immer mal wieder Fahrer fehlten. Leider war das so nicht absehbar.
Wirklich nicht?
Ja. Wir hatten sehr seriös geplant. Aber dann kam die Rente mit 63, zu der wir keine Daten von unseren Mitarbeitern hatten. Wie sich zeigte, hatten gerade bei der Tram viele Mitarbeiter die 45 erforderlichen Berufsjahre erreicht. Und, was ich sehr positiv sehe: Wir haben bei der BVG einen Babyboom und viele unserer Mitarbeiter gehen dann in die Elternzeit. Wir haben aber gegengesteuert und neue Mitarbeiter eingestellt.
Und die finden Sie so einfach?
Über tausend Männer und Frauen haben sich schon bei uns beworben. Wir bilden gerade intensiv aus und gewinnen so jeden Monat bis zu 24 Fahrerinnen und Fahrer dazu. Das deckt nicht nur schon bald den Bedarf, es ermöglicht uns auch eine größere Reserve.
Und wann gilt dann wieder der Regelfahrplan bei der Tram?
Wir sind da durchaus vorsichtig. Die ersten Linien haben wir zum Fahrplanwechsel vor gut einer Woche wieder verstärkt. Aber wir fahren bewusst ganz langsam wieder hoch, um sicher zu sein, dass wir das fahren können, was wir angekündigt haben. Anfang des nächsten Jahres werden wir es geschafft haben.
Dann haben Sie genügend Fahrer. Reichen für die wachsende Stadt aber auch die Fahrzeuge?
Wir haben bis zum Jahr 2035 für die Fahrzeugbeschaffung ein Programm mit einem Volumen in Höhe von 3,1 Milliarden Euro. Bei der Straßenbahn wollen wir unsere Option einlösen und planen, nochmals lange Zweirichtungsfahrzeuge unseres Erfolgsmodells Flexity zu bestellen. Und wir beschaffen auch neue Busse und U-Bahnen.
Und wer muss zahlen?
Neue Fahrzeuge bei der Tram und der U-Bahn hat uns bisher der Senat finanziert. Hier arbeiten wir gerade gemeinsam an der Entwicklung einer Fahrzeugfinanzierungsgesellschaft. Den Kauf von neuen Bussen erwirtschaften wir selbst.
Zurzeit testet die BVG mehrere Busse, auch verschiedene Doppeldecker. Gibt es schon einen Favoriten für den Kauf?
So weit sind wir noch nicht. Wir wollen zunächst unsere Kundenbefragungen abwarten und natürlich auch die Meinungen unserer Fahrer und Techniker hören. Bis Ende März wollen wir die Tests auswerten, und die Ergebnisse fließen dann in ein sogenanntes Lastenheft. Das wiederum ist dann die Basis für eine Ausschreibung.
Sie testen auch Elektrobusse, die bisher vor allem durch Ausfälle aufgefallen sind. Warum klappt es ausgerechnet in Berlin nicht?
Wir beteiligen uns hier an einem Forschungsprojekt. Wir haben mit der 204 zwischen Südkreuz und Zoo eine Linie komplett auf den elektrischen Betrieb umgestellt. Da fällt es natürlich auf, wenn wir einen E-Bus zur Aufrechterhaltung der Linie durch einen anderen Bus ersetzen müssen. Ich bin aber überzeugt, dass die Entwicklung auch hier rasant voranschreitet, die Fahrzeuge zuverlässiger sein und sich damit auch für den Linieneinsatz besser eignen werden.
Geben Sie auch dem Oberleitungsbus eine Chance?
Die sehe ich nicht. Neue Oberleitungen sind städtebaulich schwierig durchzusetzen.
Bei neuen Tram-Strecken geht es doch auch.
Ja, aber die Straßenbahn hat eine lange Tradition bei uns. Ein O-Bus-Netz wäre dagegen etwas Neues, auch wenn es früher einige Strecken gegeben hat. Wenn die Batterietechnik sich so entwickelt wie wir erwarten, brauchen wir den O-Bus nicht.
Paris will 2025 ohne Dieselbusse auskommen. Schafft das die BVG auch?
Für mich ist das eine politische Aussage, die technisch noch nicht begründbar ist. Das Ziel an sich ist gut. Wir wollen ab 2020 keine Dieselbusse mehr beschaffen. Aber das wird auch eine Frage der Kosten sein. Beachtenswert ist, dass es derzeit keinen deutschen Hersteller für einen serienmäßigen Elektrobus gibt.
Neue Fahrzeuge sind die eine Seite, verdreckte Bahnhöfe die andere. Wie lösen Sie dieses Problem?
Wir haben sehr viele Fahrgäste. In diesem Jahr werden wir rund eine Milliarde Fahrten haben. Und leider verhält sich nicht jeder so, wie man sollte. Häufig sind Bahnhöfe schon nach zwei Stunden wieder verdreckt. Wir haben deshalb unser System umgestellt. Früher hatten wir nach einem festen Plan gereinigt: ob es schmutzig war oder sauber. Das ist aber dämlich, weil dort geputzt werden muss, wo es nötig ist. Jetzt müssen die beauftragten Firmen so lange reinigen, bis unsere Sauberkeitsstandards erfüllt sind. Und wir kontrollieren das.
Wie hoch ist dabei Ihr Aufwand?
Wir haben 2014 für das Reinigen unserer Anlagen allein bei der U-Bahn 7,8 Millionen Euro ausgegeben und den Etat in diesem Jahr auf 8,6 Millionen Euro erhöht, damit wir da deutlich besser werden. Und wir haben mobile Trupps geschaffen, die dort schnell eingreifen, wo es am nötigsten ist. Und im Sommer haben wir für rund zwei Millionen Euro ein Extra-Programm beschlossen, zu dem beispielsweise auch neue Anstriche in den Bahnhöfen gehören.
Warum sind andere Städte sauberer?
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber ich hatte vor Kurzem Besuch einer New Yorker Kollegin, und die kriegte sich gar nicht mehr ein. Sie staunte über unser offenes System ohne Sperren in den Bahnhöfen. Und sie wunderte sich, wie gut sich die Berliner benehmen, wie diszipliniert sie sind, und den Müll in den Mülleimer werfen. Und wie höflich die Fahrer hier sind.
Der Kollegin fehlte wahrscheinlich der Vergleich mit anderen Städten in Deutschland oder Europa.
Sie hat uns mit New York verglichen.
Sie sind auch erfolgreich und schließen das Jahr wieder mit einem Gewinn ab. Warum werden dann auch auf Betreiben der BVG die Fahrpreise zum 1. Januar erhöht?
Wir verjubeln unseren Gewinn ja nicht, sondern investieren weiter und bauen unsere Schulden ab. Das ist nur möglich, wenn auch die Fahrpreise regelmäßig, aber mäßig, steigen – gekoppelt an einen Index, wie wir das im Verkehrsverbund jetzt zum zweiten Mal machen.
Ist auch wieder einmal eine Nullrunde vorstellbar?
Ich glaube, die Fahrpreisentwicklung an einen allgemein anerkannten Index zu koppeln, ist vernünftig, nachvollziehbar und damit am Ende auch fair gegenüber den Nutzern.
Frau Nikutta, was wünschen Sie sich denn für 2016?
Ich habe drei Wünsche: Ich wünsche mir, dass die Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Respekt erhält, den sie alle für die gewaltige Leistung Berlin mobil zu halten, verdienen. Dann wünsche ich mir, wenig Unfälle, wenig Pannen und dass alle unsere Busse und Bahnen zuverlässig unsere Fahrgäste an ihr jeweiliges Ziel bringen. Und ich wünsche mir, dass wir schnell eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für meinen Vorstandskollegen Henrik Falk finden, der zu Beginn des neuen Jahres als Chef der Hochbahn nach Hamburg geht.