Grüne Woche in Berlin: Willkommen beim agrarpolitischen Kirchentag!
Die Grüne Woche bietet bayerische Lebenslust, lieblose Stände, feine nordische Küche – und blauen Wein für Protestanten. Doch wo ist der Glanz vergangener Messetage? Eine Rundtour.
Wie machen die Bayern das bloß? Kaum hat der erste Messetag am Freitag morgens begonnen, wabert in ihrer Halle fröhliche Bierzeltatmosphäre. Blasmusik, Krachlederne, Trachten, blauweiß-karierte Tischdecken – das pure Klischee. Aber es steckt so viel Lebenslust drin, dass die vielen Schaulustigen die Gänge komplett füllen. Nimmt man noch dazu, dass die Gestaltung der lichten Halle (22b) einheitlich und elegant wirkt und ohne handgemalte Schilder und andere Stilbrüche auskommt, dann folgt daraus: Auf zu den Bayern, besser wird es nicht in diesem Jahr, fast nur noch bei ihnen hat die Grüne Woche wirklich die Aura, für die sie berühmt ist. Anderswo wirkt sie oft nur noch so provinziell wie die billig zusammengenagelten Stände – das kennen wir besser.
Viel ist geschrieben worden über den politisch begründeten Rückzug der Russen, die schon im vergangenen Jahr ein großes Loch hinterlassen haben. Doch wenn es jetzt heißt, die Messe sei trotzdem ausgebucht, dann bestätigt die Anschauung das schlicht nicht: Überall ist nur eine Ebene in Betrieb, manche Hallen wie die 9, früher Schauplatz der stets heiß diskutierten Blumenschau, stehen gar nicht mehr auf dem Plan, alles wirkt überraschend geräumig, und da und dort decken Stellwände die Leere zu – gefühlt wäre auf dem Gelände noch einmal die gleiche Stellfläche verfügbar. Vorteil: Man kommt zwischen Frühstück und Mittagessen locker rum.
Es gibt den Versuch, an Trends anzuknüpfen wie mit der Halle 12, die dem Thema "Streetfood" gewidmet ist, aber scheitert an der sensationellen Lieblosigkeit, mit der hier eine Resterampe für allerhand asiatische Anbieter zusammengezimmert wurde. Und auffällig ist die Präsenz der Bundesregierung, die alle drei fachlich zuständigen Ministerien in die Schlacht wirft. An den großen Ständen werden sterbenslangweilige Gesprächsrunden abgewickelt, die schon akustisch kaum zehn Meter weit reichen. Gleichzeitig, aber an verschiedenen Orten, reden an diesem Freitagvormittag zum Beispiel die Minister Schmidt und Hendricks sowie Simone Peter von den Grünen, aber wen interessiert das?
Die Grüne Woche ist in den südlichen Hallen auf dem Weg zum grünen agrarpolitischen Kirchentag. Überall haben sich Verbände und Vereine und Organisationen niedergelassen und versuchen, mit sinnfreien Spielen und enorm aufwändiger Faktenhuberei die Besucher von ihrer Wichtigkeit und Nachhaltigkeit zu überzeugen. Was diese Besucher mit raschem Weitergehen quittieren, sofern sie nicht selbst irgendwie involviert sind.
Was lohnt sich? Es sind die wenigen Länder, die der Schau seit vielen Jahren die Treue halten und dafür auch Geld in die Hand nehmen. Norwegen zum Beispiel betreibt hier nicht nur das einzige Restaurant mit echten Köchen und Gerichten aus dem 21. Jahrhundert, sondern bietet auch wieder intelligent gemachte Häppchen für zwei oder drei Euro an, zum Beispiel rohen Lachs auf Fenchelsalat mit saurer Sahne und hauchdünnem Brot – das einzige Ziel für Gourmets auf der Messe, wenn man das weite Feld von Wein und Wurst mal ausnimmt.
Modern im besten Sinn wirkt erneut auch der Auftritt der Holländer, die ihre Techno-Version von Nachhaltigkeit ohne mahnenden Zeigefinger präsentieren und ohne verlogene Nostalgie. Dennoch haben sie wieder viel Aufwand in eine zeitgemäße licht-florale Gestaltung gesteckt. Die Schweizer lassen ihr Käseparadies duften, Österreich und Polen sind wie immer (Wurst und Schnaps), und Marokko trotzt dem politischen Gegenwind mit liebevoll inszenierten Details. Ungarn dagegen, Partnerland des Jahres 2017, kommt viel größer heraus als sonst und präsentiert sich als sein eigenes Klischee in einem großen Restaurant mit einem brokatverzierten Geiger, der sein Instrument stilsicher über deftigen Fleischbergen wimmern lässt. Unzählige Schnäpse hören stets auf den Namen "Palinka", aber es gibt auch Tee mit Shiitake-Pilzen. Anstehen lohnt: Es gibt Langosch, das typische Hefegebäck.
Und Berlin? Und Brandenburg? Haben wieder viel Platz für ihre beliebte Wurst- und Gurken-Seligkeit, an der alle Moden zerschellen. Vor pionierblauer Wand darf "DDR-Softeis" geschleckt werden, dessen Haltbarkeitsdatum nach über 25 Jahren offenbar immer noch nicht erreicht ist. Der "Oderbruch-Schlemmerbraten" wird dagegen mit Tsatsiki serviert, das gab es damals sicher nicht.
Der große Taktgeber im Hintergrund ist allerdings schon viel länger tot: Es ist Martin Luther, für dessen Jubiläum sie in Sachsen-Anhalt sogar den Weißburgunder auf "Luthertraube" umgetauft haben. Es gibt Eiscreme namens "Luthers Tinte", die ihre Farbe einer Beimengung von blauen Algen verdankt, und auch die nach der Verlegung geschrumpfte Blumenhalle ist ganz dem großen Reformator gewidmet. "Paradies ist überall" hat er mal gesagt und damit den Floristen freie Hand gelassen für eine Schau, in die sich sogar lebensgroße Pappgiraffen beiläufig einfügen.
Viele Eindrücke bleiben episodisch. Die Steckrübe, lesen wir zum Beispiel, ist das "neue Super-Food". "Käse-Fred" ist ein Unternehmen der "Bananen-FredGruppe", und bei Curry 36 gibt es, endlich, auch vegane Currywurst. Die "Leader-Region Nord-Lippe" mit ihrem Zentrum Dörentrup allerdings bleibt am Ende ebenso rätselhaft wie die autonome Republik Machitschewan. Aber möglicherweise kündigen sich hier Partnerländer an, die die Grüne Woche dereinst wieder zu altem Ruhm führen?