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Im oft eintönigen Alltag im Seniorenheim sind „Bufdis“ da lieb gewordene Besuche.
© Patrick Pleul/dpa

Bundesfreiwilligendienst: Wieso jeder Dritte ihn abbricht

Viele soziale Träger bauen auf die Helfer im „Bufdi“-Einsatz, doch ein Drittel der Teilnehmer bricht das Ehrenamt frühzeitig ab. Viele von ihnen fühlen sich unterfordert.

Sie sind in Kiezküchen tätig, engagieren sich für Menschen mit Behinderungen oder pflegen ökologisch wertvolle Biotope: Die „Bufdis“, das sind die Teilnehmerinnen oder Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst (BFD). Immer wieder wird das Nachfolgeprogramm des Zivildienstes auch im Bundestag hochgelobt. Doch jetzt gibt eine Entwicklung vielen Beteiligten Anlass zur Besorgnis: Nach aktuellen Angaben der Bundesregierung hört rund ein Drittel der jungen Männer und Frauen mit dem Bufdi-Dienst vorzeitig wieder auf. Aber warum? Der Tagesspiegel begab sich auf Spurensuche.

„Ich habe auch überlegt, abzubrechen“, sagt Sheana Gabriel. Die junge Frau absolviert ihren BFD an einer Schule in Nordrhein-Westfalen und fühlt sich prinzipiell wohl, wie sie dieser Zeitung berichtet. Die ihrer Schilderung nach aber schlechte Organisation bedeute jedoch viel Stress: „Ich werde in mehreren Bereichen dringend gebraucht und kann mich dadurch schlecht auf eine Sache einlassen. Man ist ein Springer“, beschwert sich die 20-Jährige. Schlecht für die motivierte junge Frau, ungünstig für die Einsatzstelle und auch wenig vorteilhaft für die Kinder und Jugendlichen, die möglicherweise wechselnde Ansprechpartner haben.

Viele Aufgaben seien sinnlos, vergebene Zeit, ärgert sich einer

Auch Luca Heiermeier überlegt, aus seiner Bufdi-Tätigkeit vorzeitig auszusteigen. Bei den Johannitern habe er anfangs noch spannende Aufgaben im Krankentransport übernehmen können, doch nun sei wenig für ihn zu tun. „Viele meiner Aufgaben sind sinnlos, eine reine Zeitverschwendung“, ärgert er sich. „Meine Erwartung war, im Laufe der Zeit mehr anspruchsvolle Aufgaben übernehmen zu können und keine billige Arbeitskraft zu sein.“ Inzwischen werde er vor allem im Innendienst eingesetzt, und er habe das Gefühl, er könne eigentlich dichter und effizienter arbeiten. Heidi Wagner absolvierte 2017 einen BFD in einer Kita in Berlin. Sie fand die Arbeit mit den Kindern bereichernd – auf Seminaren hörte sie aber oft Beschwerden der anderen Freiwilligen: keine gute Einarbeitung, kein Lerneffekt, keine konkrete Aufgabenbeschreibung – das seien Gründe, warum sich manche alleingelassen fühlen.

So wie den Protagonisten ergeht es wohl vielen der Hunderttausenden, die sich schon für die Chance entschieden, sich fürs Allgemeinwohl zu engagieren und dabei praktische Erfahrungen zu sammeln – so wird auch auf der Internetseite des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben um neue Bufdis geworben. Am 1. Juli 2011 war der Bundesfreiwilligendienst anstelle des Zivildienstes eingeführt worden. Das Zivilgesellschafts-Bundesamt folgte dem Bundesamt für den Zivildienst nach und ist eine Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Im BFD engagierten sich in den vergangenen sieben Jahren in Deutschland laut dem Bericht des Amtes 307 372 Männer und Frauen als sogenannte Bufdis in sozialen, ökologischen, sportlichen und kulturellen Einrichtungen. Doch die Abbruchquote ist hoch, wie nun verschiedene Nachrichtenagenturen berichteten: 98 633 Männer und Frauen absolvierten nicht ihren in der Regel zwölf Monate langen Dienst – sondern verabschiedeten sich schon vorher. Die Linken-Abgeordnete Katrin Werner fordert nun, dass die Qualität des Dienstes, der Arbeitsbedingungen und des Bildungsprogramms auf den Prüfstand gestellt werden müsse.

Engagement-Experten sehen den allgemeinen Trend: Bloß nicht festlegen

Offenbar ist nicht nur ein Gefühl von persönlicher Unterforderung ein Grund fürs frühe Aufgeben, so Umfrageergebnisse dieser Zeitung. Auch allgemeine gesellschaftliche Trends – sich bloß nicht zu lange für ein Thema oder einen Job zu binden – spiegeln sich wider. So weist der Politikwissenschaftler Rupert Graf Strachwitz darauf hin, dass sich Helfer allgemein nicht mehr für einen langen Zeitraum festlegen möchten. Der Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft und Experte für Zivilgesellschaft und Stiftungswesen erinnert zudem daran, dass die Einführung des BFD nicht unumstritten gewesen sei. „Man hat die starren bürokratischen Strukturen aus dem Zivildienst übernommen und so gegen den Trend des kurzen Engagements gearbeitet.“ Experten weisen darauf hin, dass bei Studium und Ausbildung auch ein Drittel aller jungen Leute vorzeitig abbricht.

 Hier macht Ahmad Shah Kohdamani mal Pause als Co-Trainer beim Boxen des ESV in Frankfurt (Oder).
Hier macht Ahmad Shah Kohdamani mal Pause als Co-Trainer beim Boxen des ESV in Frankfurt (Oder).
© Pleul/dpa

Peter Schloßmacher vom Amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist indes der Überzeugung, dass die Statistiken einen falschen Eindruck erzeugen. Denn viele der Abbrecher seien immerhin zehn oder elf Monate aktiv gewesen – hätten sich dann aber für den heiß ersehnten Studienplatz entschieden.

Bereits nach einem halben Jahr werde ein BFD anerkannt. Dann könnten junge Leute berufsqualifizierende Merkmale fürs spätere Berufsleben vorweisen, so wirbt etwa die Internetseite „studis-online.de“ für den BFD. Zahlen, wie viele Freiwillige den Dienst vor den sechs Monaten abbrechen, gibt es zurzeit nicht.

Für den Einsatz bekommt man auch etwas zurück, nicht nur in ideeller Hinsicht: Das Taschengeld beträgt derzeit maximal 390 Euro. Hinzu kommen in vielen Fällen kostenlose Unterkunft, Verpflegung und Dienstkleidung. Die jeweilige Höhe des Geldes kann jedoch von Träger zu Träger variieren und hängt auch vom Umfang der Tätigkeit des Freiwilligen ab. Das Geld ist kein Gehalt im arbeitsrechtlichen Sinn – sondern eine Aufwandsentschädigung; denn bei dem Freiwilligendienst handelt es sich schließlich um ein Ehrenamt.

Der Bundesfreiwilligendienst wird vom Bund mit einem Zuschuss bis 350 Euro pro Platz für Taschengeld und Sozialversicherungsbeiträge gefördert. Für die pädagogische Begleitung beträgt die Förderung bis zu 133 Euro. Für sogenannte Benachteiligte erhöht sie sich um 100 Euro im Monat, sie geht an die Einsatzstellen, nicht an den Freiwilligen.

Abbruch aus Perspektive der Bufdis verständlich

Jaana Eichhorn von der Deutschen Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund macht auf einen anderen Punkt aufmerksam: „Unser BFD geht bis zum 31. August – und viele fangen ihre Ausbildung bereits am 1. August an.“ Andere möchten vor dem Studienbeginn die Sommermonate noch gerne zum Reisen nutzen, auch das sei aus der Perspektive der Bufdis verständlich. Zudem seien viele Kinder im Sommer in den Ferien, Helfer hätten dann teils weniger zu tun. Über- oder Unterforderte seien ihrer Erfahrung nach eher in der Unterzahl.

Der Bedarf an klarer gestellten Aufgaben ist Jaana Eichhorn allerdings auch aufgefallen. Ihr Verband habe bereits gegengesteuert: „Wir betreuen unseren Bundesfreiwilligendienst genauso wie unser Freiwilliges Soziales Jahr. Durch eine klare Seminarstruktur, individuelle Betreuung von Pädagogen und anspruchsvolle Einsatzgebiete können wir die Abbruchquote minimieren.“ Sehr viele positive Erfahrungen habe ihr Träger mit dem Sonderprogramm der Bundesregierung für Geflüchtete gemacht. Gerade in ländlichen Gebieten habe ein BFD einen hohen Einfluss darauf, wie Geflüchtete wahrgenommen werden, betont sie: „Wenn Geflüchtete Sport mit den Kindern machen und so Teil der Gemeinschaft sind, lernen sie schneller Deutsch.“ Leider solle aber gerade in diesem Bereich künftig gekürzt werden.

Die Schul-Freiwillige Sheana Gabriel will ihr Dienstjahr aber doch durchziehen, denn es mache ihr Spaß – wegen der Menschen. „Ich merke, dass ich etwas zurückbekomme. Zum Beispiel ein Dankeschön meiner Kollegen, oder einfach wenn ich merke, dass die Kinder meine Nähe suchen.“

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