Strafvollzug: Wieder ein Häftling aus Gefängnis getürmt
Aus der JVA Tegel ist ein gewalttätiger Libyer verschwunden. Eine Attrappe in seinem Bett täuschte die Wärter. Von ihnen gab es viel zu wenige.
Auf filmreife Art und Weise ist ein weiterer Berliner Gefangener getürmt – diesmal aus Tegel. Der Mann namens Hamed Mouki, angeblich am 1.Januar 1994 in Libyen geboren, war am Donnerstagmorgen bei der sogenannten Lebendkontrolle nicht in seiner Zelle. Da die Zelle seit dem Vorabend um 17.30 Uhr nicht mehr aufgeschlossen worden war, muss er bereits am Vorabend fort gewesen sein. Am Donnerstagmittag versuchte sich Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) gemeinsam mit der zuständigen Abteilungsleiterin Susanne Gerlach und der stellvertretenden Anstaltsleiterin Ina Lux-Schulz an einer Rekonstruktion der Flucht. Es wird vermutet, dass der Häftling an Bord eines Lastwagens, der den Gefangenen ihre Einkäufe bringt, hinausgelangte.
Der Libyer war Insasse der Teilanstalt II, Station A 4 und als Hausarbeiter eingesetzt. Um 6.05 Uhr am Donnerstag wurde sein Fehlen bemerkt. In seinem Bett lag eine Art Attrappe aus zusammengestopfter Kleidung, die man auf den ersten Blick für eine menschliche Gestalt halten konnte. Um 6.12 Uhr wurde Anstaltsalarm ausgelöst. Für alle anderen Häftlinge bedeutete das Einschluss.
Seine Aufgaben als Hausarbeiter hatte Mouki am Vortag offenbar noch erfüllt, bei der Bestandskontrolle um 15.20 Uhr fehlte er jedenfalls nicht. Danach hatten die Gefangenen ihre Freistunde. Es gibt drei verschiedene Höfe, auf denen die Häftlinge sich während der Freistunde aufhalten können. Um 17.30 Uhr war wieder Bestandskontrolle und Einschluss.
Zeitlich parallel war gegen 14 Uhr ein größerer Lastwagen mit Ladefläche und Anhänger auf das Gelände der JVA gefahren. Er brachte den Gefangenen ihre Einkäufe, belieferte eine Teilanstalt nach der anderen. Diejenigen Häftlinge, die etwas bestellt hatten, durften einzeln den Haftraum verlassen, um ihre Waren abzuholen. Zu diesen gehörte Mouki jedoch nicht. Sein Haftraum war um 17.30 Uhr verschlossen worden und wurde bis zum Morgen nicht mehr geöffnet. Er musste also bereits am Abend einen Bediensteten mittels der Attrappe getäuscht haben. Der Lastwagen verließ das Anstaltsgelände gegen 20 Uhr. Der Fahrzeugboden wurde wie immer mit Spiegeln abgesucht, um eventuelle Fluchtversuche zu unterbinden. Auch der Lastwagen selbst wurde durchsucht. Es wurde niemand gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war das Fehlen des 24-Jährigen freilich noch nicht bekannt.
Zehn Geflohene allein in diesem Jahr - der Senator hat ein Problem
Vermutet wird, dass sich Mouki die Freistunde und die Ausfahrt des Lkw zunutze gemacht hat. Offenbar hat der zuständige Bedienstete auch nicht seine Pflicht erfüllt, sicherzustellen, dass die richtige Person sich am Abend in der richtigen Zelle befand. Mouki hat schon mehrere Strafverfahren hinter sich, ein weiteres ist offen. Seine bisherigen Strafen reichen bis 2022, so lange hätte er einsitzen müssen. Unter anderem wurde er zu vier Jahren Haft wegen räuberischer Erpressung verurteilt, und auch das offene Verfahren enthält ein Element der Gewalt, nämlich Diebstahl mit Waffen. Er saß seit Februar 2016 in Moabit, seit Oktober 2017 in Tegel. Die Polizei gab seinen Namen und sein Gesicht öffentlich zur Fahndung raus.
AfD und FDP forderten erneut den Rücktritt des Senators, die CDU kündigte ein Nachspiel im Rechtsausschuss an. Allein in diesem Jahr sind mittlerweile zehn Gefangene entlaufen. Zwei sind noch nicht wieder da. Die deutsche Justizgewerkschaft schloss sich den Rücktrittsforderungen nicht an. „Behrendt kann nichts dafür, er ist bloß der Insolvenzverwalter“, sagte ihr stellvertretender Landesvorsitzender Ulf Melchert. „Er verwaltet die Folgen der verfehlten Personalpolitik der vergangenen zehn bis 15 Jahre.“ Der Vollzug sei chronisch unterbesetzt, damit werde man leben müssen: „Wir werden es nicht auf den Soll-Stand schaffen. Mittlerweile konkurrieren wir sogar mit Industrieunternehmen um den Nachwuchs.“ Außerdem gebe es viele, die sich nach der Ausbildung Richtung Brandenburg verabschieden, weil sie dort mehr verdienen. In der Tat war die Teilanstalt zum Zeitpunkt der Flucht massiv unterbesetzt. Es waren neun Bedienstete und drei Auszubildende anwesend, es hätten jedoch 14 ausgebildete Bedienstete da sein sollen. Behrendts Eingangsstatement enthielt einen Satz, der Raum für Spekulationen lässt: „Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass alle unsere Bediensteten ordnungsgemäß arbeiten.“
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