Vorschlag zur Umnutzung der A100-Verlängerung: Wie wär's mit Bio-Gemüse von der Berliner Stadtautobahn?
Ein Verein hat eine ganz neue Idee für Berlins umstrittenstes Bauprojekt entwickelt: Eine vertikale Farm, die die Stadt mit Lebensmitteln versorgt.
Drei Kilometer innerstädtische Autobahn, die vor einer überlasteten Spreebrücke enden, mindestens 700 Millionen Euro kosten und auf Basis Jahrzehnte alter Planungen in Zeiten des massiv spürbaren Klimawandels vollendet werden – kontroverser als die Verlängerung der A100 zwischen Neukölln und Treptow kann ein Straßenbauprojekt kaum sein. Während SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey einen Baustopp als „einfach irre“ bezeichnet hat, sagen Grüne und Linke dasselbe über die Vollendung.
Nachdem bisher nur über die Möglichkeit, die A100 zur Stadtstraße mit Radschnellweg sowie Wohnbau- und Grünflächen, diskutiert wurde, präsentierte der Verein „Paper Planes“ jetzt eine radikalere Umnutzungsidee: Der im Rohbau weitgehend fertige Trog soll zum Landwirtschaftsbetrieb werden – als vertikale Farm mit künstlicher Beleuchtung und Klimatisierung, deren Energie vom Dach gewonnen wird und deren Ernte nicht mehr durchschnittlich 2400 Kilometer bis zur Kundschaft gefahren wird, sondern eher 2,4 oder vielleicht 24 bis nach Spandau.
„Morgenfarm Berlin“ nennt der Verein Paper Planes die jetzt veröffentlichte Konzeptstudie. Mitinitiator Matthias Heskamp beschreibt den Verein als Denkfabrik von etwa einem Dutzend Menschen aus den Bereichen Architektur, Stadtentwicklung, Mobilitätsforschung, Kultur und Marketing. Es sind weitgehend dieselben Leute, die 2015 das Konzept der „Radbahn“ unter dem Viadukt der U1 entwickelt haben. Das neue Projekt sei auf eine Anfrage der European Climate Foundation – einer europaweiten Stiftung, die Projekte zur CO2-Reduzierung fördert – hin entstanden.
Da auch ein Rückbau des betonierten Autobahntroges eine immense Ressourcenverschwendung wäre, hat sich der Verein nach Auskunft von Heskamp „für Weiterbau entschieden – aber im Sinne dessen, was die Welt braucht“. Aus dieser Maßgabe heraus habe man sich auf den Agrarbetrieb fokussiert, denn global sei die konventionelle Landwirtschaft ein noch bedeutenderer Umweltzerstörer und Klimaschädiger als der Autoverkehr. Vertikale Farmen funktionierten nicht nur unabhängig vom Wetter, sondern kämen auch ohne Pestizide und mit 90 Prozent weniger Bewässerung aus als herkömmliche Landbewirtschaftung.
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Was und wie viel sich in dem Trog wirklich produzieren lasse, müsse in einer Machbarkeitsstudie noch genauer geklärt werden, aber mit rund 100.000 Quadratmetern sei der Trog groß genug, um einen beachtlichen Beitrag zur Nahrungsmittelversorgung der Stadt zu leisten – zumal die Erträge pro Quadratmeter bis zu 400 Mal so hoch sein könnten wie bei konventionellem Anbau.
„Wir haben natürlich recherchiert und schlagen etwas vor, was man auch realisieren kann und was wirtschaftlich Sinn ergibt“, sagt Heskamp. Prinzipiell könnten Gemüse und Speisepilze ebenso gezüchtet werden wie Algen und Insekten. Weltweit fließe zurzeit viel Kapital in den Aufbau solcher Farmen – ob in den USA, in Korea oder in Dänemark. Die nötige Technik etwa zur LED-Beleuchtung, Solarstromerzeugung und Robotik entwickle sich in enormem Tempo.
Für den mittleren Teil der rund drei Kilometer langen Farm haben die Initiatoren eine Kombination aus Besucherzentrum mit Bildungsstätte und futuristischem Hofladen entworfen, ergänzt um Gastronomie. „Es geht darum, dass die Leute dort hinfahren wollen – zum Lernen und um ihr Gemüse selbst abzuholen“, sagt Heskamp. „Dafür muss es attraktiv werden.“ Damit es attraktiv wird, sollten die umliegenden, für die Großbaustelle abgeräumten Flächen renaturiert und mit einem Wegenetz durchzogen werden.
Ergänzend seien ein zusätzlicher S-Bahnhof am Ring zwischen Sonnenallee und Treptower Park denkbar, außerdem bleibe Platz für rund 10.000 Wohnungen, die ohne die Autobahn dann auch kein Lärmproblem hätten. Städtebaulich böte sich eine Reihe von Hochhäusern an, die vom Hotel Estrel bis zum Treptower Park reichen würde.
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Doch trotz all dieser Ideen gilt, dass die Schneise planungsrechtlich als Autobahn definiert und budgetiert ist, woran das CSU-geführte Bundesverkehrministerium strikt festhält. Heskamp sagt: „Die Autobahn ist ein Geschenk des Bundes. Aber Geschenke müssen nicht angenommen werden, wenn sie Berlin nicht guttun und genau das produzieren, was die Welt nicht mehr braucht.“
Statt sich auf Jahrzehnte ein deutlich absehbares Verkehrsproblem in die Kieze von Friedrichshain bis Treptow zu holen, könnte von dem Ort „das Signal ausgehen, dass wir gerade noch rechtzeitig die Bremse gezogen und den Kurs korrigiert haben“. Es wäre aus Sicht der Initiatoren das ultimative „Zeichen für die Verkehrs- und Klimawende“. Man habe sich mit mehreren anderen Initiativen und Verbänden beraten. Aber entscheiden müsse die Politik.