Flughafen-Lärm in Berlin: Wie teuer wäre mehr Schallschutz für Tegel?
Berlin lässt die Lärmschutzzonen für den Flughafen Tegel neu berechnen. Was der Schallschutz kosten würde, wenn Tegel länger offen bliebe, steht bereits in einem Gutachten.
Um Tegel wird gestritten. Und eines der Hauptargumente, das in der polarisierenden Debatte vor dem Volksentscheid um einen etwaigen Weiterbetrieb des Airports vorgebracht wird, ist: das Geld. Allein für den Schallschutz um Tegel würden ein, zwei Milliarden Euro nötig, warnen Grüne und Sozialdemokraten. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat jüngst die offizielle Regierungsposition Potsdams gegen einen Offenhalten Tegels nach Start des BER-Airports in Schönefeld so begründet: „Das wird schon aus Lärmschutzgründen nicht funktionieren.“
Milliarden? Wohl kaum.
Nach Tagesspiegel-Recherchen wären zusätzliche Schallschutz-Aufwendungen, falls Tegel länger oder dauerhaft offen bliebe, weit geringer. Das wurde nämlich schon einmal untersucht. Berechnungen finden sich in einem Gutachten des Ökoinstituts aus Darmstadt – Titel: „Kostenfolgen der Novelle des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm“ aus dem Jahr 2005. In dem 60-Seiten-Papier werden für Tegel die Kosten auf knapp 109 Millionen Euro geschätzt, genau für den Fall, dass dort Schallschutz auf die Anforderungen des neuen Fluglärmschutzgesetzes nachgerüstet werden muss, das 2007 in Kraft trat. Dieses Gesetz wäre auch aktuell Grundlage, wenn 2019 die Ausnahmeklausel für Tegel ausläuft, der Flughafen aber weiter in Betrieb ist.
Das Ökoinstitut hatte 2005 eine unabhängige Expertengruppe moderiert und deren Ergebnisse dokumentiert, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums finanzielle Auswirkungen der geplanten höheren Lärmschutz-Standards untersucht hatte. Um Ausgewogenheit zu gewährleisten, waren beide Seiten vertreten – etwa die Arbeitsgemeinschaft deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), Vertreter war Ralf Wagner, heute Schallschutzchef der Flughafengesellschaft (FBB), die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) und das Umweltbundesamt (UBA).
Weitaus geringere Kosten
Tegel war damals ein Sonderfall. Man ging fest davon aus, dass der Airport geschlossen wird, wenn der neue Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) in Schönefeld startet – 2011, wie erwartet wurde. Tegel wurde trotzdem untersucht, da nicht geklärt war, ob TXL bis zum BER-Start von den Auflagen des neuen Gesetzes befreit würde. Um just diese „Lex Tegel“ zu begründen, was ja gelang, hatte die ADV die Schallschutz-Auswirkungen berechnet, die das Gutachten auch übernahm: Man schätzte darin die Kosten für den „Bestandsfall Tegel“ auf 108,47 Millionen Euro, um rund 25.000 Wohnungen mit besserem Lärmschutz nachzurüsten. Das Umweltbundesamt und die Bundesvereinigung gegen Fluglärm hielten diese Berechnungen sogar noch für überhöht.
Im Unterschied zur ADV, so das Ökoinstitut in der Dokumentation, „gehen BVF und UBA aufgrund des damaligen Berliner Fluglärmgesetzes und der damit verbundenen umfangreichen Schallschutzmaßnahmen sowie durch die derzeitigen Erweiterungen von weitaus geringeren Kosten aus, ohne diese beziffern zu können.“ Und: „Das UBA machte zudem darauf aufmerksam, dass aufgrund des damaligen Berliner Fluglärmgesetzes im gesamten Lärmschutzbereich bereits nennenswerte Schutzmaßnahmen durchgeführt wurden.“
Die Neuberechnung läuft bereits
Tatsächlich hatte Berlin um Tegel damals Maßstäbe gesetzt, auch bundesweit. So konnte der damalige Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) 1996 in einem Bericht für das Abgeordnetenhaus über den Schallschutz um die Berliner Airports hervorheben: „Im LSB des Flughafen Tegel sind von 1975 bis 1983 ca. 14.000 Wohnungen für rund 135 Mio DM geschützt worden. Kostenträger war die Berliner Flughafengesellschaft (BFG). Effektiv wurden die Kosten von den Gesellschaftern der BFG damals Berlin und Bund getragen, da die BFG in den roten Zahlen war.“ Während die BER-Anwohner zwischen 2008 und 2013 um gesetzeskonformen Schallschutz betrogen wurden, waren in die Lärmschutzzonen um Tegel 1997 sogar zusätzlich, über die Vorgabe und berechneten Lärmkarten hinaus zwanzig weitere Gebiete in Reinickendorf, Wedding und Spandau einbezogen worden.
Derzeit lässt der Senat – rein vorsorglich, wegen des ungewissen BER–Starts – diese Lärmschutzzonen um Tegel neu berechnen, falls der Airport 2019 noch in Betrieb sein sollte. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.