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Nicolae Caraus kam aus Moldawien, um den Sommer über Geld zu verdienen.
© Ann-Kathrin Hipp

Bezirk profitierte von Schwarzarbeit: Wie Nicolae Caraus in Berlin ausgenutzt wurde

Der Moldawier Nicolae Caraus putzte ohne Arbeitserlaubnis in Berlin Schulen und landete auf der Straße. Bezahlt wurde er bis heute nicht.

Als er von Moldawien nach Berlin kam, hatte er einen großen Batzen Hoffnung im Gepäck. Einen Monat später sitzt er in der Flüchtlingsunterkunft in Pankow und hat nicht mal mehr seinen Koffer. Die Haare noch nass von der Dusche, glatt gekämmt, die kristallblauen Augen gerötet, als hätte er kaum geschlafen, erzählt Nicolae Caraus, 39 Jahre alt, seine Geschichte. Wie er einen Monat lang ohne Arbeitserlaubnis Reinigungsarbeiten durchführte, die das Bezirksamt Reinickendorf ausgeschrieben hatte. Wie er tagsüber Schulen schrubbte und nachts in einem heruntergekommenen Haus irgendwo in Brandenburg schlief. Wie er erst auf der Straße landete und dann hier.

Was seine Geschichte auch zeigt: Wie mit Steuergeld Schwarzarbeit finanziert wird. 90 Millionen Euro. Das ist der Schaden, der laut der Finanzkontrolle Schwarzarbeit im vergangen Jahr durch illegale Beschäftigung in Berlin entstanden ist. 1600 Überprüfungen führten die Beamten durch, leiteten mehr als 4000 Strafverfahren ein. Besonders im Bau, der Transportbranche und der Gastronomie wird Experten zufolge häufig schwarz gearbeitet. Und in der Reinigung.

Von der Putzkraft, die illegal den Haushalt schmeißt, bis hin zu gewerbsmäßig organisiertem Betrug – wie wohl in diesem Fall. Nur selten gehen Betroffene an die Öffentlichkeit. Meist sind sie Täter und Opfer zugleich. Schwarzarbeit ist verboten. Manch einer entscheidet sich bewusst dafür. Andere, wie Nicolae Caraus, rutschen irgendwie rein, kommen nicht mehr richtig raus. Und Nicolae Caraus möchte nicht schweigen.

Mit dem silbernen Opel gen Brandenburg

Angefangen hat es in Bukarest. So jedenfalls erzählt er die Geschichte. Ein Mann namens Adi habe ihn angesprochen und angeboten, im Sommer in Deutschland Schulen zu putzen und damit gutes Geld zu verdienen: acht Euro die Stunde, netto. Erst Berlin, dann München, insgesamt drei Monate, Adi habe das schon seit Jahren so gemacht. Caraus, der sein Geld mit Renovierungsarbeiten verdiente, konnte das Geld gut gebrauchen.

Anfang Juni ging es mit dem Bus nach München, mit einer kleinen Gruppe, einem blauen VW Polo und einem silbernen Opel Zafira nach Brandenburg. Von dort mit den Autos Tag für Tag nach Reinickendorf, wo der Arbeitsalltag darin bestand, Tische, Schränke und Stühle beiseite zu räumen, den Boden zu putzen und die Tische, Schränke und Stühle wieder zurückzuräumen.

Zu zehnt staubten sie Heizungen, Fensterbretter und Regale ab, schrubbten Toiletten. Neun bis elf Stunden am Tag waren Caraus und die anderen in den Schulen unterwegs. Ein Mann, den alle nur Opa nannten, gab die Anweisungen. Ein anderer, den Opa als seinen Sohn vorstellte, brachte die Reinigungsmittel. Geld bekam Caraus weder von dem einen, noch von dem anderen. Eine Anzahlung von 370 Euro bar, das war alles. Als er mehr einforderte, so erzählt er es, sei er bedroht worden und haute ab. Das war Mitte Juli. Keiner der anderen, sagt er, hatte einen Vertrag.

Das Unternehmen, für das Caraus arbeitete, heißt Clean Garant. Keine kleine Berliner Reinigungsbude, sondern ein bundesweit tätiges Unternehmen. In Reinickendorf ist die Firma seit 2016 für die Sauberkeit mehrerer Schulen zuständig, für Senat und andere Berliner Bezirke gab es in den vergangen Jahren Aufträge. Rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt die Firma nach eigener Aussage. Auf der Website heißt es, man sei stolz auf die zuverlässigen Mitarbeiter aus mehr als 20 Nationen. Bei Clean Garant stehe „der Mensch im Mittelpunkt“.

Tagelang ignorieren Bezirk und Unternehmen die Vorwürfe

Caraus stand, nachdem er abgehauen war, erst mal vor dem Nichts und lebte drei Tage auf der Straße. Am 25. Juli gelangte er über die moldawische Botschaft, die Polizei und irgendwelche Menschen, die ihm den Weg zeigten, zum Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit, kurz: Bema. Eigentlich sollen die Mitarbeiter hier Beschäftigten aus dem Ausland vorab helfen, sich zurechtzufinden. De facto landen die meisten erst dann bei ihnen, wenn es zu spät ist. Noch am selben Tag werden Schreiben an die Firma und das Bezirksamt verfasst. 110 Stunden im Juli, 200 Stunden im Juli, macht laut tariflichem Mindestlohnanspruch offene Lohnzahlung von 3.723,60 Euro.

Tagelang keine Antwort.

1. August, der Tagesspiegel telefoniert mit Clean Garant: „Wir haben die Sache geprüft und kennen den Mann nicht. Es muss sich um ein Missverständnis handeln.“ Etwas später am Tag antwortet ein von Clean Garant beauftragter Anwalt dem Beratungszentrum: Es bestünden keine rechtlichen Beziehungen, „insbesondere kein Arbeitsverhältnis“, zwischen der Firma und Herrn Caraus. Der Anwalt droht mit rechtlichen Schritten, falls Caraus an seinen „unrichtigen Behauptungen“ festhalte.

2. August, Anruf beim Leiter des Facility Managements im Bezirk Reinickendorf: „Wir führen immer mal wieder Kontrollen durch. Bisher gab es keine Beanstandung oder Auffälligkeiten.“

Brandenburg: Wo die Straßen schmaler werden und die Bäume grüner sind. Hier wohnte Caraus.
Brandenburg: Wo die Straßen schmaler werden und die Bäume grüner sind. Hier wohnte Caraus.
© Ann-Kathrin Hipp

Während Nicolae Caraus seine Geschichte erzählt, trägt er Jogginghose und ein gefälschtes, kaki-grünes Lacoste-Shirt, raucht noch schnell eine Zigarette, dann packt er sein Handy aus: Fotos und Videos von den Schulen, seine Beweise. Da ist Opa im Clean-Garant-Shirt, als er die Arbeiter und Arbeiterinnen vor der Ringelnatz-Grundschule einweist. Er spricht rumänisch. Da sind er und die andere in Clean-Garant-Shirts, als sie in Klassenzimmern mit Skeletten und Gitarren posieren. Ringelnatz-Grundschule, Gustav-Freytag-Oberschule, Peter-Witte- Grundschule, Grundschule am Schäfersee. Dann zeichnet er noch die Grundrisse eines Hauses in den Sand. „Heckelberg-Brunow“, sagt er. Da hätten sie gewohnt. Weil Nicolae Caraus kein Deutsch spricht, übersetzt ein Bema-Mitarbeiter.

Auch für das Beratungszentrum ist Caraus kein alltäglicher Fall. „Wir mussten ihm erst mal Wasser und etwas zu essen kaufen, als er zu uns kam, weil er so geschwächt war“, sagt Sergiu Lopata, der selbst aus Rumänien kommt und den Mann betreut. Gemeinsam mit vier anderen Mitarbeitern hilft er jährlich Hunderten, die in die Schwarzarbeit gedrängt werden. Es sind vor allem Ausländer, die sich nicht verständigen können, oft nicht wissen, was mit ihnen passiert. Der Zoll sei völlig überlastet und das Bezirksamt, so scheint es, wenig interessiert. Dabei ist das System nicht neu: Arbeitern wird ein Vertrag versprochen, den sie nie erhalten, wehren sich die Menschen, wird ihnen gedroht. Im Ausland werde, das hört Lopata immer wieder, vor Berlin als Arbeitsort gewarnt. Wer aufmuckt, landet auf der Straße. So wie Nicolae Caraus.

Nudeln, Butter und Putzzeug im Haus

50 Kilometer nördlich von Berlin. Da, wo die Straßen immer holpriger werden und man kaum noch Häuser vermutet, liegt die 680-Menschen-Gemeinde Heckelberg-Brunow. Das Gebäude, in dem Caraus und Co. untergebracht wurden: eine Doppelhaushälfte, grau in grau, kaputter Holzzaun draußen, keine Küche, keine Möbel. Zwei Tage, nachdem Bezirksamt und Firma informiert wurden, ist es geräumt. „Die sind am Samstag ausgezogen“, sagt eine Nachbarin. Allein eine Matratze auf dem Boden, eine Packung Nesquik-Kakao, Milch, Ketchup und Gemüsebrühe mit Rindfleisch auf der Fensterbank zeugen davon, dass hier jemand gewohnt hat. Nebenan gibt’s Nudeln, Butter und Salzstangen.

Klingeln bei den Nachbarn: Das Haus habe lange leergestanden. Vor einigen Wochen seien Osteuropäer eingezogen, sagt eine Frau, die seit 21 Jahren hier lebt. Kein Kontakt, kein Ärger, sie seien den ganzen Tag unterwegs und nur zum Schlafen da gewesen. „Ich glaube, die haben Schulen geputzt“, sagt sie. Das habe zumindest ihr Mann erzählt und woher ihr Mann das weiß, weiß sie leider nicht so genau. Ein anderer Mann bestätigt die Theorie. Ein dritter schlägt die Tür zu. Eine Frau, die gerade ihr Auto parkt, sagt: Ein älterer, dicker Mann habe sich bei ihr als Mieter vorgestellt, „Herr Müller, aber nach Müller sah der gar nicht aus“, und gesagt, dass seine Familie zu Besuch sei. Weil sie neugierig war, hat sie Fotos vom Inneren des Hauses gemacht: stapelweise Putzlappen, Kanister, Besen.

Innen noch ein Rohbau: Hier schlief Caraus neben den Putzmitteln, mit zehn anderen und auf engem Raum.
Innen noch ein Rohbau: Hier schlief Caraus neben den Putzmitteln, mit zehn anderen und auf engem Raum.
© Ann-Kathrin Hipp

14. August, Telefonat mit Stadträtin Katrin Schultze-Berndt im Bezirk Reinickendorf: „In den Sommerferien gab es keine Kontrollen. Wir haben keinen Hinweis darauf, dass da was ist und wollen uns nicht durch weitere Auskünfte verschärfend einbringen.“ Und: „Es ist sehr schwer, gute Unternehmen zu finden.“ Rückfragen zum Vertrag mit der Firma bleiben unbeantwortet.

Doch das Puzzle setzt sich Stück für Stück zusammen.

Plötzlich kommt Bewegung in den Fall

Das Haus? Existiert. Der Mieter, der die Menschen dort untergebracht hat? Findet sich auf Facebook und ist mit „Opa“ alias „Herr Müller“ befreundet, der eigentlich anders heißt. Auf Fotos posiert er mit Deutschland-Kappe und Enkel, dazwischen zeigen Aufnahmen aus dem vergangenen Jahr Reinigungsarbeiten in Schulen und dicke Bündel 500-Euro-Scheine. Sucht man weiter, findet man auch seinen angeblichen Sohn.

Der Tagesspiegel konfrontiert das Bezirksamt und das Reinigungsunternehmen Ende August mit den Vorwürfen und Beweisen. Bislang hatten beide Seiten abgeblockt. Das ändert sich jetzt.

2. September, Mail von Katrin Schultze-Berndt: Clean Garant sei für die Reinigungsarbeiten in acht Schulen zuständig. Darunter auch Schulen, in denen Caraus geputzt hat. Der Einsatz von Subunternehmen sei vertraglich ausgeschlossen. Die Firma werde aktuell befragt. Der Zoll wurde um eine erneute Überprüfung der Firma gebeten. „Etwaige vertragliche Sanktionen werden nach Eingang der Antwort geprüft.“

Exakt 22 Minuten später antwortet Clean Garant: Während der Sommermonate sei es urlaubsbedingt zu Engpässen gekommen, schreibt das Unternehmen, deshalb habe man Aufgaben an einen Subunternehmer übertragen. Nicolae Caraus habe für diesen gearbeitet. Bei den „Unstimmigkeiten, die das Arbeitsverhältnis von Herrn Caraus und seinem Arbeitgeber betreffen“, handele es sich um einen Einzelfall. Der Subunternehmer sei für die Einhaltung sämtlicher Vorschriften verantwortlich.

Ganz auflösen lässt sich das Gewirr nicht. Der Mieter der Unterkunft in der 680-Menschen-Gemeinde Heckelberg-Brunow sei unbekannt, der „Opa“ nach den bisherigen Erkenntnissen ein Vorarbeiter des Subunternehmers. Der „Sohn“ sei tatsächlich ein Mitarbeiter von Clean Garant, „zu seinen Aufgaben zählt die Belieferung von Reinigungsobjekten mit Reinigungsmaterialien“, schreibt das Unternehmen. Und gibt damit genau so viel zu, wie es die Beweislage erfordert.

Caraus weiß nicht, was er jetzt machen soll

Die anderen Fragen aber bleiben offen: Weil keine Papiere existieren, alles per Handschlag und in bar geregelt wird, ist in Fällen wie diesem eine vollständige Rekonstruktion kaum möglich. Zumindest den Auftrag für das Bezirksamt Reinickendorf dürfte Clean Garant verlieren – auch wenn es schwierig ist, „gute Unternehmen“ zu finden. Einen Subunternehmer zu beauftragen, verstößt eindeutig gegen die Vertragsbedingungen.

Nicolae Caraus ist mittlerweile wieder in Moldavien. Gemeinsam mit seiner Frau und der siebenjährigen Tochter hat er, kurz bevor er nach Deutschland kam, eine Wohnung für 13 000 Euro gekauft. Schlechter Zustand, kaputtes Dach, am Rande der kleinen Gemeinde Floresti, immerhin eine eigene Wohnung.

Von seinem Verdienst in Berlin wollte er sie abbezahlen. Was er jetzt macht, weiß er nicht so genau. In einem Schreiben an das Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit schreibt der Anwalt von Clean Garant: „Ungeachtet einer vollständigen Aufklärung des Sachverhalts würde sich unsere Auftraggeberin dafür verwenden, gegebenenfalls in einem verbundenen Unternehmen nach einem freien Arbeitsplatz Ausschau zu halten, respektive eine Unterbringungsmöglichkeit zu prüfen.“ Herr Caraus solle sich einfach melden.

Julius Betschka, Ann-Kathrin Hipp

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