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Die Oberbaumbrücke in Berlin verbindet die Ortsteile Kreuzberg und Friedrichshain über die Spree
© picture alliance / dpa

Baustadtrat Florian Schmidt: „Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück?"

Florian Schmidt will als neuer Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg Wohnungen im großen Maßstab kommunalisieren. Bei Neubauprojekten sollen Bürger mitgestalten können. 

Herr Schmidt, als Stadtaktivist haben Sie sich als Vermittler in der Stadtentwicklung engagiert, etwa in der Südlichen Friedrichstadt oder am Runden Tisch für Liegenschaftspolitik. Jetzt sind Sie als Baustadtrat selbst verantwortlich für Bauprojekte in Friedrichshain-Kreuzberg, wo fast jedes Bauvorhaben von Konflikten mit Anwohnern begleitet wird. Schreckt Sie die neue Aufgabe auch ein bisschen?

Nein, denn ich kenne die umkämpften Felder der Stadtentwicklung im Bezirk. Ich habe mich in den vergangenen Jahren intensiv mit Liegenschaftspolitik und projektbezogener Bürgerbeteiligung beschäftigt, und dabei gezeigt, wie man Dinge anders machen könnte. Darum war es ein logischer Schritt, in die politische Verantwortung zu wechseln. Ich bleibe trotzdem Stadtaktivist, das verstehe ich als Haltung, von der Basis her zu denken und die vielen Initiativen mit einzubeziehen, ob „Kotti & Co“, „Stadt von unten“, Stadt Neu Denken", das „Aktionsbündnis Lebenswertes Wohnen in Friedrichshain-West“, das „RAW-Stadtteilbündnis“ oder „Bizim Kiez“, die wichtige Impulse geben, zum Beispiel für die Kommunalisierung von Wohneigentum oder den Erhalt und Ausbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur. Mit dem rot-rot-grünen Senat sehe ich große Gemeinsamkeiten für eine Stadtentwicklungspolitik, die stärker dem Gemeinwohl dient als den Profitinteressen privater Investoren.

Baustadtrat Florian Schmidt im Tagesspiegel-Interview.
Baustadtrat Florian Schmidt im Tagesspiegel-Interview.
© Stephan Wiehler

Die Stadt von unten neu zu denken, damit erinnern Sie an die 70er Jahre, als Hausbesetzer und alternative Stadtplaner Kreuzbergs Gründerzeitviertel vor dem Radikalabriss bewahrten. Geht es darum, diese basispolitische Impulskraft für die Stadtentwicklung neu zu beleben?

Genau. Es geht zum einen darum, ökonomische Interessenkonflikte auszugleichen. Als Soziologe geht es mir ebenfalls darum, eine Lebensart zu bewahren, die auch Kreuzberger Mischung genannt wird. Vor gut 30 Jahren haben kritische Bürger*innen den Kahlschlag für Autobahntrassen verhindert. Die stadtentwicklungspolitische Antwort war die behutsame Stadterneuerung. Heute haben wir die flächengreifende Gentrifizierung, an der sich ein starker Widerstand entzündet. Aber der Widerstand hat noch kein stadtpolitisches Gefäß. Wir brauchen Strukturen, die den Akteur*innen eine formale Funktion im politischen Prozess geben. Das Verhältnis zwischen Initiativen der Zivilgesellschaft und der Exekutive kann verbessert werden. Zum Beispiel durch ein neues Dialogforum und unabhängige Vermittlungsinstanzen.

Wie könnte das aussehen?

Ich habe in Barcelona die zivilgesellschaftliche Plattform Barcelona Comú mitgegründet, die heute die Bürgermeisterin stellt, die vorher das Gesicht der Antizwangsräumungsbewegung in Spanien war. In vielen spanischen Städten stellen solche Bewegungen aktuell die Kommunalregierungen und das sehr erfolgreich. Ein wichtiger Punkt scheint mir zu sein, dass politisch engagierte Bürger*innen unkompliziert in Positionen politischer Verantwortung kommen können. Auf einmal ist die Politiker*in "eine von uns". Schon glätten sich die Fronten etwas. Doch wichtiger ist es, neue Strukturen der Mitgestaltung zu schaffen, anstelle der vorherrschenden Scheinbeteiligung. In Barcelona werden Nachbarschafts-Vereine sehr stark gefördert. So bildet die lokale Zivilgesellschaft ein Netzwerk von Vereinen. Es gibt Foren, wo diese Vereine sowie einzelne Bürger*innen zusammenkommen und über die politischen Maßnahmen in den Bezirken und Quartieren sprechen und zum Teil auch entscheiden. Es gibt erste Ansätze im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, neue Engagementstrukturen zu schaffen. Das Parkmanagement des Görlitzer Parks wird in diese Richtung gehen. Wichtig wird es sein, im Bezirk eine Vermittlungs-, Schlichtungs- und Aktivierungsinstanz zu schaffen.

In der Bevölkerung formiert sich der Widerstand ja meistens erst, wenn die ersten Baustellenzäune schon stehen.

Wir müssen Bürger*innen frühzeitiger informieren und sie einladen, Einfluss zu nehmen, auch was die Nutzungskonzepte von Immobilien und Bezahlbarkeit von Wohnungen angeht. Immer wenn Bürger*innen das Gefühl haben, ihnen wird von oben etwas verordnet, wächst der Widerstand. Der Senat will dazu in den nächsten Monaten Instrumente entwickeln. Ich habe meine aktive Mitarbeit bereits angeboten. Wir haben das Experiment noch nicht gewagt und müssen erproben, ob durch die frühzeitige Einbindung von Initiativen, Vereinen und interessierten Bürger*innen in Planungsprozesse die Bereitschaft der Bevölkerung steigt, eine höhere Verdichtung zu akzeptieren. Es kann sein, dass es nicht funktioniert. Aber ich bin sicher, dass die Bürger*innen mehrheitlich vernünftig sind. Meine Erfahrung ist: Bei echter Mitwirkung können auch relativ schnell Lösungen gefunden werden.

Wann hört die Beteiligung auf, und wann kann gebaut werden?

Alle Beteiligten sollten immer so lange wie möglich im Gespräch bleiben. Wir müssen Brücken bauen, auch zu den Bauherr*innen, um Nutzungen im Sinne des Gemeinwohls zu erreichen. Das Reden hört da auf, wo Gegner*innen keine Kompromissbereitschaft mehr zeigen. Und natürlich sind da auch rechtliche Abläufe, die nicht außer Kraft gesetzt werden können. Wenn bestimmte Baugenehmigungen erteilt sind, dann kann man das nicht einfach zurücknehmen. Und mache Dinge muss die Verwaltung genehmigen, solange die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht geändert werden.

"Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück?"

„Intelligent, nachhaltig und partizipativ“ soll die Stadtentwicklung werden, heißt es im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Was bedeutet das für Sie?

Wir wollen in der Liegenschaftspolitik stärker darauf wirken, dass Wohneigentum in gemeinwohlorientierte Hände kommt. Daran soll die Stadtgesellschaft aktiv und kontinuierlich mitwirken. Ich wünsche mir eine Kultur des Miteinanders, die alle Akteur*innen einbezieht: Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Hausbesitzer*innen, gemeinnützige Träger, Kultur und Gewerbe. Die Frage ist: Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück?

Die wachsende Stadt braucht dringend neuen Wohnraum – die 60.000 landeseigenen Wohnungen, die bis 2021 zusätzlich bereitstehen sollen, meinen Experten, werden den Bedarf bei weitem nicht decken. Ohne private Investoren, die Profite erwirtschaften wollen, wird es nicht gehen, oder?

Im Grunde brauchen wir die nicht. Wenn private Investor*innen ihr Kapital, orientiert am Leitsatz der Verfassung „Eigentum verpflichtet“, in Immobilien anlegen, setzen wir uns konstruktiv mit ihnen auseinander. Dieser Eigentümer*innentyp wird aber immer seltener, da der Markt zu viele Profite verspricht. Allerdings kann der Staat  Investor*innen einiges abverlangen, wenn z.B. Bebauungspläne erstellt werden. Etwa über die kooperative Baulandplanung. Aber wir sind nicht auf profitorientierte Kapitalgeber*innen angewiesen. Gutes Geld gibt es genug: von gemeinnützigen Banken, Stiftungen, Genossenschaften, sogar nachhaltigen Aktienfonds. Man kann für jedes Finanzierungsmodell auch gemeinwohlorientiertes Kapital und für jede Projektentwicklung gemeinwohlorientierte Investor*innen finden. In den USA, wo staatliche Intervention eher skeptisch gesehen wird, gibt es Community Trusts. Das sind private, gemeinwohlorientierte Fonds, die großflächig Land kaufen und entwickeln. Ähnliche Ansätze haben wir auch am Runden Tisch zur Liegenschaftspolitik entwickelt.

Das heißt, ins Gemeinwohl zu investieren, lohnt sich für profitorientierte Investoren nicht?

Es kommt darauf an, wie viel Gewinn sie erwarten. Angesichts der Niedrigzinsphase und der geringen Ertragsaussichten an den Finanzmärkten erleben wir zurzeit eine globale Kapitalflucht in Immobilien, vor allem in Großstädten. Die Spekulation auf den Boden, die überhitzte Dynamik von Aufwertung und Vermarktung, das sind gelernte Techniken der Profitmaximierung – mit grotesken Folgen: Der Lebensraum der Menschen wird zur Ware, die international gehandelt wird. Aber auch gemeinwohlorientierte Banken und Fonds haben derzeit viel Geld für Investitionen. Berlin ist trotz steigender Immobilienpreise im internationalen Vergleich noch unterbewertet, die Stadt bleibt attraktiv für Kapitalgeber*innen. Die Politik muss dafür sorgen, dass daraus langfristige und nachhaltige Rendite für die Stadt wird. Es lohnt sich auch für den Staat, in diese Zukunft zu investieren.

In der Vergangenheit hat der Senat den Bezirken wiederholt Planungsverfahren mit Hinweis auf die stadtweite Bedeutung einzelner Projekte entzogen. Rot-Rot-Grün will die bezirkliche Verantwortung für die Baupolitik stärken. Da müssen Sie als Baustadtrat, etwa bei der Nachverdichtung von Quartieren, auch dem gesamtstädtischen Interesse Rechnung tragen. Dafür zeigen Nachbarn von Neubauprojekten naturgemäß nicht so viel Verständnis.

Friedrichshain-Kreuzberg ist das am dichtesten besiedelte Gebiet der Stadt, vermutlich Deutschlands. Es gibt nur noch einige wenige größere Flächen, die neu entwickelt werden könnten, wie das Dragoner-Areal in Kreuzberg oder das Behala-Gelände an der Spree. Nur wenige Quartiere bieten noch Spielräume, die aber behutsam und mit Blick auf ausreichende soziale Infrastruktur und den Erhalt der Lebensqualität verhandelt werden müssen. Im Innenstadtbereich müssen wir wegen dieser geringen Neubaupotenziale verstärkt auf Zukäufe setzen, um den kommunalen Wohnungsbestand zu vergrößern. Und da haben wir als Bezirk den besten Überblick, wo Objekte zum Verkauf stehen. Bei der Nachverdichtung wird es Zielvereinbarungen mit dem Senat geben, um die landesweiten Ziele des Wohnungsbaus zu erreichen. Neubauten müssen dennoch immer den Bedarf vor Ort berücksichtigen. Sagen wir es so: Ich bin nicht der glühende Nachverdichtungsstadtrat.

Beim Dragoner-Areal hat das Bundesfinanzministerium gerade deutlich gemacht, dass noch keinesfalls klar ist, ob das Land Berlin das Gelände erhält. Die Rückabwicklung des Verkaufs an einen Privatinvestor ist noch nicht rechtssicher.

Der Bund muss die Verantwortung übernehmen, falls bei dem Grundstücksverkauf Fehler gemacht wurden und der Investor Anspruch auf Entschädigung geltend machen kann. Die Liegenschaftspolitik des Bundes muss sich grundsätzlich verändern: weg vom Höchstpreisverfahren, hin zu konzeptorientierten Verfahren, am besten durch direkte Übertragung an die Kommunen.

Laut Sozialstrukturatlas gehört Friedrichshain-Kreuzberg mit Pankow zu den Aufsteigerbezirken, gleichzeitig leben hier viele Menschen mit wenig Geld. Wie lässt sich die soziale Mischung angesichts steigender Wohnpreise erhalten? Die Mietpreisbremse hat bisher wenig Wirkung gezeigt.

Auf Bundesebene müssen die mietrechtlichen Instrumente weiter geschärft werden. Die wichtigsten Möglichkeiten, Mieter*innen zu schützen, bestehen leider tatsächlich im Bundesrecht. Im Bezirk haben wir über die Sanierungsgebiete und den Milieuschutz bereits ein paar Möglichkeiten, Baumaßnahmen auszubremsen, die vor allem der Strategie der Vermarktung und Profitmaximierung dienen. Das wollen wir so gut es geht ausweiten. Neben der Rekommunalisierung größerer Wohnungsbestände durch das Land müssen wir das kommunale Vorkaufsrecht noch stärker nutzen. Dafür brauchen wir einen landeseigenen Fonds, um handlungsfähig zu sein. Wenn es uns gelingt, dem freien Markt Wohnungen zu entziehen, damit sie dauerhaft und kostengünstig Menschen zur Verfügung stehen, die wenig Geld haben oder staatliche Transferleistungen beziehen, dann  rechnet sich eine gewisse Investition in den Ankauf auch für den Staat. Er muss dann nicht an anderer Stelle teure Neubauten errichten und wegen steigender Wohnkosten immer höhere Zuschüsse zahlen. Aus dieser Kalkulation müssen wir eine Strategie ableiten, damit auch private, gemeinwohlorientierte Akteur*innen zum Zuge kommen, die der Spekulation mit Wohnraum entgegenwirken.

Bisher gilt: Besserverdienende können Wohneigentum bilden, wer weniger hat, bleibt Mieter. Wird sich daran etwas ändern?

In städtischen Ballungsräumen sollten wir einen besonderen Schwerpunkt darauf legen genossenschaftliches Eigentum zu fördern, weil es im Gegensatz zu Privateigentum kollektives Eigentum bleibt und dem Spekulationsmarkt dauerhaft entzogen ist. Auch dann, wenn die Bewohner*innen wechseln. Deshalb sollten wir Instrumente dafür schaffen, dass auch ökonomisch stark Benachteiligte in solche Wohnformen hineinkommen.

Wo werden 2017 die ersten Spatenstiche gesetzt?

Dafür ist es noch zu früh. Ich will mir zunächst alle Bauvorhaben anschauen, um zu prüfen, wo es sinnvoll ist, noch einmal im Dialog mit den Bürgern die Planungen zu überdenken.

Das Gespräch führte Stephan Wiehler. 

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