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Polizisten schützen sich mit Schilden vor Steinwürfen während der Räumung besetzter Hauser in der Mainzer Straße in Friedrichshain 1990.
© IMAGO

Eskalation bei Hausbesetzungen in Berlin: Wie Gewalt in der Mainzer Straße die Koalition zerbrechen ließ

Dass der Streit um linke Wohnprojekte eskaliert, hat in Berlin nicht erst seit der Rigaer Straße Tradition. 1981 starb dabei ein Demonstrant, 1990 schockierten Straßenkämpfe die Öffentlichkeit – ein Rückblick.

Die Reaktion kam prompt – und wurde zur größten Herausforderung für den neuen CDU-Senat. „Eine Million Sachschaden pro Räumung“, lautete damals die Kampfansage der Autonomen. Kommt einem seltsam bekannt vor angesichts brennender Autos als angebliche Vergeltung für den so empfundenen Angriff auf das Hausprojekt Rigaer Straße 94. Und wie ein Lehrbeispiel für die Folgen, wenn Politik nur auf Eskalation und Stärke setzt, statt auf die Suche nach Lösung.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Hausbesetzer-Bewegung in West-Berlin hatte der Senat im September 1981 die Räumung von neun Häusern angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt gab es 165 besetzte Häuser in der geteilten Stadt – Kreuzberg war mit 80 Häusern die Hochburg, aber auch in Charlottenburg oder Spandau wehte die schwarze Besetzer-Fahne auf dem Dach. Anders als die im Mai 1981 abgewählten Sozialdemokraten, bei denen sich der als Krisenmanager für die trudelnde SPD eingeflogene Hans-Jochen Vogel Gedanken um eine politische Lösung machte, setzte die CDU ganz auf harte Linie.

Kampfansage an die Hausbesetzerszene

Räumen statt verhandeln, Strafjustiz statt Legalisierung, war das Motto, das insbesondere der CDU-Hardliner, Innensenator Heinrich Lummer, vertrat. Die Menschen, die mit der Besetzung gegen eine jahrelange Verwahrlosung und den Leerstand von Wohnhäusern protestierten, wurden wahllos mit Verfahren wegen Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch oder Sachbeschädigung überzogen; in Fällen, wo einzelne Wohnungen noch von regulären Mietern bewohnt wurden, sogar mit dem absurden Vorwurf der Freiheitsberaubung.

Lummers brachiale Kampfansage schweißte eine Bewegung zusammen, die eigentlich tief gespalten war. Auf der einen Seite jene Menschen, die für lebendige Kieze eintraten und Altbausubstanz erhalten wollten sowie in diesen Häusern alternative Lebensformen ausprobieren und selbstverwaltete Projekte verwirklichen wollten. Dagegen standen linksradikale Besetzer, für die Häuser nur probates Mittel im Kampf gegen das kapitalistische System waren, und die an Mietverträgen und Legalisierung der Häuser kein Interesse hatten.

Für Besetzer wie Politik in West-Berlin war der 22. September 1981 eine Zäsur. Mit brutalem Einsatz der Hundertschaften ließ der Innensenator die neun Häuser räumen. In denen hielten sich nicht nur die Besetzer auf, auch hunderte Menschen waren zuvor als Ausdruck ihrer Solidarität zeitweise eingezogen. Innensenator Lummer präsentierte sich in Siegerpose auf dem Balkon eines geräumten Hauses in der Bülowstraße, während unten auf der Straße die Polizei massiv gegen Demonstranten vorging. In den chaotischen Szenen wurde der vor der Polizei flüchtende Klaus-Jürgen Rattay von einem BVG-Bus erfasst und getötet.

Richard von Weizsäcker greift durch

Erst der Schock über den Tod des 18-Jährigen ließ den Senat innehalten und nach einer politischen Lösung suchen. Der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker setzte sich gegen Lummer durch, den „Mann fürs Grobe“, wie er durchaus respektvoll in der CDU genannt wurde. Statt Besetzer als Kriminelle zu behandeln, wurden diese nun als Verhandlungspartner akzeptiert. Innerhalb von drei Jahren wurden von den 165 besetzten Häusern 105 legalisiert – zumeist als Wohnbaugenossenschaften oder Selbsthilfeprojekte.

Auch bei der zweiten Besetzer-Welle in Berlin trug erst der Schock der Gewalt zu einem Umdenken in der Politik bei. Nach dem Mauerfall im November 1989 nutzten viele Menschen das verwaltungsmäßige Chaos und die unklaren Rechtsverhältnisse in der untergehenden DDR. Innerhalb weniger Monate wurden rund 130 Häuser in Ost-Berlin besetzt. Viele Besetzer stammten selbst aus der DDR; daneben aber gab es viele Besetzer, die aus der West-Berliner autonomen Szene kamen, um in der Mauerfall-Anarchie ihre revolutionären Träume zu befeuern. Wie zehn Jahre zuvor in West-Berlin entwickelte sich schnell ein Riss zwischen jenen, die Wohnraum sichern und erhalten wollten, und denen, die mit den Häusern zugleich die Systemfrage stellten.

Besetzer des Ufa-Kopierwerkes in Tempelhof bei einem Fest in Kreuzberg im Jahr 1982.
Besetzer des Ufa-Kopierwerkes in Tempelhof bei einem Fest in Kreuzberg im Jahr 1982.
© picture alliance / zb

Als am 14. November 1990 der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße räumen ließ, bedeutete das nicht nur den Bruch der rot-grünen Koalition in Berlin. Es war auch der Tag einer so massiven Gewalt, wie sie Berlin bis dahin nicht erlebt hatte. Die Bürgerkriegsatmosphäre mit Bildern von riesigen Barrikaden, ausgebrannten Autos und Bussen sowie der Anblick von blutenden Polizisten und verletzten Demonstranten schockierte die Öffentlichkeit. Ein Tag der enthemmten Gewalt: Wasserwerfer spritzten direkt in Fenster und Polizisten prügelten wahllos auf Demonstranten ein, während Autonome Steinplatten von Häuserdächern auf die Beamten schleuderten und deren Tod in Kauf nahmen.

Die Rigaer Straße heute.
Die Rigaer Straße heute.
© Frank Bachner

Auch hier war es die CDU, die dazu beitrug, dass das Primat der Politik galt. Die Neuwahl des Abgeordnetenhauses im Dezember 1990 machte Eberhard Diepgen (CDU) zum Regierenden Bürgermeister. Nach der Schlacht um die Mainzer Straße wurden Räumungen gestoppt. In allen bis Ende Juli 1990 besetzten Häusern in Ost-Berlin wurde die Nutzung legalisiert und Bewohnern Mietverträge angeboten, ohne dass die CDU dem widersprach. Nur spätere Besetzungen wurde innerhalb von 24 Stunden beendet. Auch in der Rigaer Straße 94 gibt es seit 1992 teilweise reguläre Mietverträge. Ein Schutz vor Räumung bedeutete dies nicht unbedingt. Neuen Hausbesitzern gelang es vor Gericht mehrfach, die alten Mietverträge für ungültig zu erklären und zu räumen. Und ein Schutz sind Verträge auch dann nicht unbedingt, wenn wie aktuell Innensenator Frank Henkel (CDU) glaubt, an einem angeblichen Zentrum autonomer Gewaltbereitschaft polizeiliche Härte demonstrieren zu müssen.

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