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Das ist unser Haus: Spätestens seit Anfang der 1980er Jahre ist die Wohnraumverteilung in Berlin ein Politikum.
© imago/Detlev Konnerth

Klaus-Jürgen Rattay und aktuelle Krawalle in Berlin: Die Rückkehr einer Hausbesetzer-Ikone

Vor 35 Jahren starb der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay nach Auseinandersetzungen mit der Polizei. Jetzt beriefen sich autonome Aktivisten wieder auf ihn - Grund für eine Zeitreise.

Das mit dem „Sozialdemokratischen Fahrradkommando“, das die Brände in der Flottwellstraße gelegt haben will, war natürlich ein Witz. Allerdings einer, der die wenig humorgeneigte Autonomen-Szene böse verärgert hat. „Ein gefaktes Bekenner_innenschreiben in eindeutiger Bestimmung der Counterinsurgency ..., dessen schwachsinnige Formulierung die in Schöneberg agierenden Gruppen als idiotische Trottel diffamieren sollte“, schimpft ein Insider auf der Szene-Website indymedia. Nun ließe sich einwenden, dass diese Einstufung auch ganz von allein erfolgt wäre, aber die erbosten Abfackler haben sich zumindest einen besseren Namen gegeben: Sie sind das „Kommando Klaus Jürgen Rattay“.

Der ist ernst. Denn ein korrektes Bekennerschreiben muss sich auf eine Ikone der Bewegung beziehen, das sieht das Stadtguerilla-Handbuch zwingend vor. Rattay ist zweifellos eine solche: Der 18-Jährige gehörte zu den Berliner Hausbesetzern, als die Auseinandersetzung 1981 ihren Höhepunkt erreichte.

Am 22. September ließ die Polizei acht besetzte Häuser in Schöneberg räumen, und in eins davon lud CDU-Innensenator Heinrich Lummer zur Pressekonferenz – Augenzeugen fanden: wie Napoleon nach siegreicher Schlacht. Das provozierte die Besetzer zu neuen Attacken. Eine Gruppe wurde von der Polizei auf die Potsdamer Straße abgedrängt, wo ein BVG-Busfahrer nicht rechtzeitig bremsen konnte: Rattay wurde erfasst, 30 Meter mitgeschleift und so schwer verletzt, dass er sofort tot war.

Hier finden Sie die Tagesspiegel-Seite zum 20. Todestag von Rattay.

Ohne Lummers Triumphzug, so die einheitliche Meinung, wäre das nicht passiert – er selbst hat ihn später bedauert. Aus heutiger Sicht war der tragische Vorfall eine Zäsur: Er spaltete die Szene in die radikaler werdenden Radikalen und jene, die von der Dynamik der Gewalt erschreckt waren und nicht länger mit dem Leben von Menschen spielen wollten.

Zu ihnen gehörte auch der Aktivist Benny Haerlin, der sich später bei Greenpeace engagierte und heute gegen Gentechnik angeht. Er setzte mit seinen Mitbewohnern damals den Gedenkstein für Rattay auf dem Gehweg der Potsdamer Straße.

Die Flottwellstraße ist von dort nur ein paar hundert Meter entfernt. Die Zündler des Jahres 2016 sahen deshalb wohl keinen Grund, die Namensgebung näher zu erläutern, denn wer sich auch heute noch im Häuserkampf wähnt, weiß ganz genau, von wem die Rede ist. Sie bekennen sich zur Aktion, aber auch zur eigenen Schwäche: „Wir können nicht überall gleichzeitig und zeitnah eingreifen.“ Was für Berlin sicher ein Glück ist.

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