Zehn Jahre nach Überfall auf Grand Hyatt: Wie geht es dem Mann heute, der den Pokerräuber stoppte?
Vor zehn Jahren stellte Roman H. einen der Berliner Pokerräuber. Seine Welt ist seitdem eine andere – genau wie die der Clans.
Die Narbe am Auge ist noch zu erkennen. Der Machete konnte Roman H. nicht ganz ausweichen. Damals, vor zehn Jahren, als H. an einem Samstagnachmittag zum Helden wird.
Unbewaffnet stellt sich der Wachmann im „Grand Hyatt“ am Potsdamer Platz in Berlin vier Räubern entgegen. Danach ist Roman H. weltweit in den Nachrichten zu sehen: Ein Amateurvideo vom Überfall auf das Pokerturnier verbreitet sich über Internetforen und Fernsehsender. Allein auf Youtube ist einer der Clips fast 450.000 mal angesehen worden.
„Das war eben der Job. Und der kann ein bisschen gefährlich werden“
„Ich gucke mir das nicht an“, sagt Roman H. vor einigen Tagen in einem griechischen Restaurant im Süden Berlins. H. sieht kaum älter aus als auf den Bildern von 2010. „An die Aktion denke ich höchstens alle paar Monate. Das war eben der Job. Und der kann ein bisschen gefährlich werden.“ Ein bisschen?
Treffen im McDonald's am Potsdamer Platz
Eisig ist es an jenem 6. März 2010, Tief „Yve“ treibt Kälte auf Berlin zu. Im McDonald’s am Potsdamer Platz treffen sich am Mittag vier Heranwachsende, erwerbslos, polizeibekannt. Jihad C., 19 Jahre, Vedat S., 21, Ahmat El-A., 20, Mustafa U., 20 – letzterer kam einem Monat zuvor aus der Haft, der Intensivtäter saß wegen Gewalttaten drei Jahre ein.
Die Jungen sind Kleinkriminelle, allerdings über nur wenige Ecken mit Männern bekannt, die in Westberliner Kiezen wegen größeren Taten bekannt sind. Und so nimmt nach dem Pokerraub das öffentliche Interesse an kriminellen Cliquen aus arabischen Großfamilien zu. Die Berichterstattung zu einschlägigen Clans wird detailreicher, der Druck auf Polizei und Politik steigt.
Goldmünzenraub, Schüsse am Tempelhofer Feld
Der Überfall auf das „Hyatt“ ist eine der ersten spektakulären Taten, die Männern aus diesem Milieu zugeschrieben werden. Es folgen der Überfall auf das KaDeWe 2014, der Diebstahl der Goldmünze aus dem Bodemuseum 2017, die tödlichen Schüsse auf Nidal R. am Tempelhofer Feld 2018, der Überfall auf den Geldtransporter in der Nähe des Alexanderplatzes 2019.
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Schon bei McDonald’s benehmen sich die vier Halbstarken so auffällig, dass sich Zeugen an die Truppe erinnern werden. Einer notiert das Kennzeichen des Autos, mit dem Vedat S. gekommen ist.
Die Handschuhe sind ihm zu peinlich, also geht er ohne los
Vor Gericht kommt heraus, dass einige der Nachwuchsgangster gar nicht wissen, was sie am Potsdamer Platz sollen. Jihad C. hat einen Onkel, Ibrahim „Ibo“ El-M., 28, früherer Kfz-Mechaniker. Er hat das Quartett zu McDonald’s einbestellt, ein Coup stehe bevor. Ibo verteilt Handschuhe und Masken. Die vier Heranwachsenden wollen anerkannt sein, so jedenfalls stellt es das Gericht fest: Also machen sie mit. Für Vedat S. bleiben gelbe Putzhandschuhe – die sind ihm zu peinlich, er geht ganz ohne los.
Die Brüder beschäftigen das LKA schon lange
Im „Hyatt“ treffen sich damals Pokerprofis, Amateure, Schaulustige zu einem Turnier der European Poker Tour. Auch Mohammed „Momo“ Abou-C., 31, spielte zuvor mit, sah sich Abläufe und Summen an. Nun ist er als Zuschauer im Fünf-Sterne-Hotel. Momo kennt Ibo, der draußen im Auto wartet.
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Momo und seine fünf Brüder beschäftigen Berlins Landeskriminalamt seit Jahren. Verdacht auf Körperverletzung, Nötigung, Betäubungsmittel. Abou-C. – der Familienname erzeugt in der Szene zuweilen Ehrfurchtsgesten.
Videomitschnitte zeigen, wie Roman H. sich den Angreifern stellt:
Mit einem anonymen Prepaid-Handy gibt Abou-C. um 14.08 Uhr das Signal an Ibo. So rekonstruiert es das Gericht. Ibo schickt die Handlanger los, sie betreten das Hotel durch eine Seitentür, maskieren sich auf dem Weg in die erste Etage, stürmen Machete und Schreckschusswaffe schwenkend das Foyer vor dem Pokersaal.
Es gab einen Tippgeber
Fünf Minuten später wäre das Geld in den Haupttresor gebracht worden und statt drei stünden fünf Wachleute da.
Keiner der Wachmänner hat eine Schusswaffe – nur ihr Chef, der bekannte Kickboxmeister Michael Kuhr, ist meist bewaffnet. Kuhr aber fehlt, weil er unverschuldet in einen Verkehrsunfall geraten ist. Die Räuber, wird schnell vermutet, hatten einen Tippgeber.
Schreie, Schhläge, Gegenstände werden geworfen
Die Maskierten stopfen fast 500 000 Euro in Jacken und eine Tasche, stürmen brüllend los. Da stellt sich Roman H., damals 36, in den Weg. Schreie, Schläge, Gegenstände fliegen durch das Foyer.
Einer der Räuber schlägt mit einer 30-Zentimeter-Machete zu, streift H. am Auge. Und der? Schnappt sich einen 30-Kilogramm-Poller, der vor der Kasse steht, und wehrt den Angreifer ab. Im Chaos packt H. nun den Räuber mit der Pistole, Vedat S.. Er ringt ihn zu Boden, hält ihn im Schwitzkasten.
In seiner Freizeit geht er Angeln
H. ist 2,04 Meter groß, 120 Kilogramm schwer, Ex-Polizist. Und nicht nur das. Er hat als Personenschützer jüdische Repräsentanten bewacht. In seiner Freizeit ist er Sportschütze, geht Angeln, baut Modellflugzeuge.
„Man überlegt danach schon, ob so ein Einsatz auch anders hätte ausgehen können“, sagt H., „aber nicht vor Ort – da ist man fokussiert.“ Das Gebrüll im Foyer schreckt im Saal die Pokerspieler auf, Stühle fallen um, Gläser klirren.
Auf einem der Videos ist Mohammed Abou-C. zu sehen, wie er den Tumult erst beobachtet, dann das Foyer verlässt. Zwei der Räuber sind nun auf der Treppe nach draußen, ziehen sich vor den Überwachungskameras die Masken vom Kopf, als sie merken, dass Vedat S. fehlt. Sie kehren um.
"Reiße ich ihm jetzt die Maske runter?"
Roman H. hält S. da schon mehr als eine, vielleicht zwei Minuten fest: „Ich hatte mich drauf eingestellt, so mit ihm liegen zu bleiben, bis die Polizei kommt. Ich dachte noch, reiße ich ihm jetzt die Maske runter?“ Daraus wird nichts.
Die Zurückgekehrten bedrohen den Wachmann erneut mit der Machete, Roman H. lässt S. lieber los. Die Räuber entkommen. Sekunden zuvor hat ein Hotellehrling die Tasche, die der glücklose Räuber Vedat S. während des Schwitzkastens fallen lässt, an sich genommen: Der Lehrling rettet so fast 250 000 Euro.
Bekamen die Handlanger nur 5000 Euro?
Die Flüchtenden setzen sich zu Ibrahim El-M. ins Auto. Er fährt sie zu einer Tiefgarage eines Hochhauses in Steglitz. Die Beute wird auf der Motorhaube portioniert. Angeblich gibt es für die Handlanger je 40 000 Euro, andere sagen, es waren nur 5000 Euro.
Und der Held? „Nach der Aktion“, sagt H., „brauchte ich erstmal ’ne Zigarette!“ Der Hotelmanager hebt für Roman H. das Rauchverbot auf. Bald wird der Chef der Polizeigewerkschaft, der medienaffine Rainer Wendt, in den Nachrichten zitiert: „Das ist eine neue Dimension von Dummheit, vor laufenden Kameras eine solche Tat zu begehen.“
Er warnte: Es liegt zu viel Bares rum!
Er rät den Räubern, sich samt Beute zu stellen. Über die Veranstalter sagt Wendt, wer soviel Geld verwahre, müsse mehr Personal anstellen. Auch Roman H. sagt, er habe die Manager gewarnt, es liege zu viel Bares herum.
Wendt behält Recht: Die Pokerräuber prahlen unter Bekannten mit der Tat, ein V-Mann des Landeskriminalamtes bekommt zu hören, wer bei dem Coup dabei gewesen ist. Dann geht es schnell.
Die Polizei findet Fingerabdrücke
Vedat S. stellt sich einige Tage nach dem Überfall – da waren ihm die Ermittler längst auf der Spur: Weil ihm die Gummihandschuhe nicht zusagten, hinterließ er Fingerabdrücke, die aber schon in der Polizeidatenbank gespeichert waren. Bald nennt S. in Hoffnung auf Strafnachlass seine drei jungen Komplizen.
Ahmat El-A. schnappen Beamte in Berlin, er soll erleichtert gewirkt haben. Mustafa U. fliegt in die Türkei, kehrt aber freiwillig zurück. Auch Jihad C., der nach Beirut geflogen war, lässt sich in Berlin am Flughafen festnehmen.
"Der Raub war eine Tat der Schwerstkriminalität"
Mustafa U. zahlt 4000 Euro zurück, er sagt, Ibrahim „Ibo“ El-M. habe sie angeheuert. Die Ermittler rekonstruieren den Ablauf, werten Telefone aus. Sie erfahren: Offenbar hat Mohammed Abou-C. den Tipp gegeben. Er wird verhaftet, kommt in Untersuchungshaft. Im ersten Prozess werden die vier Nachwuchsgangster verurteilt: „Der Raub war eine Tat der Schwerstkriminalität“, sagte der Richter. Die Täter wurden zwar von Hintermännern ausgenutzt, das aber sei freiwillig geschehen.
Gierig auf Millionen
„Sie waren gierig auf eine Million Euro und wollten coole Helden im Kiez sein.“ Gegen den mit 21 Jahren ältesten Vedat S. ergehen drei Jahre und neun Monate Haft. Seine Mittäter erhalten je dreieinhalb Jahre.
Im zweiten Prozess wird Ibrahim El-M. angeklagt. Ein Jahr lang schweigt er in Untersuchungshaft, gesteht dann aber: Er sei es gewesen, der die Räuber angeheuert hat. El-M. zahlt 22 000 Euro zurück. Wegen schweren Raubes erhält er sechs Jahre, vier Monate Haft.
Dann bricht er sein Schweigen
In einem dritten Prozess wird gegen Mohammed „Momo“ Abou-C. verhandelt. Auch er schweigt zunächst, belastet nach einigen Monaten aber El-M.; der hätte die Tat unbedingt durchziehen, er selbst – Momo – habe ihn per Telefon davon abhalten wollen.
Auch Roman H. sagt in den Prozessen aus. Während jener Wochen parkt ein BMW mit vier Insassen 100 Meter vor seinem Haus. Die Männer scheinen Roman H. zu beobachten. Er ruft die Polizei, die Beamten durchsuchen Wagen und Männer. Waffen finden sie keine. Ein Einschüchterungsversuch?
Das letzte Urteil ist das Härteste
Im letzten Prozess erhält das Gericht eine E-Mail. Darin schreibt ein Unbekannter, dass die Angeklagten eingeschüchtert würden, um die Hintermänner des Coups zu decken. Vedat S. verweigert inzwischen die Aussage, als er – zusätzlich zu seiner Strafe – sechs Monate in Beugehaft kommt.
Das letzte Urteil fällt dennoch am härtesten aus: Abou-C. wird zu sieben Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
„In Berlin sitzen Leute für Monate im Knast, weil sie schwarzgefahren sind“, sagt Roman H. heute. „Und nebenan leben dann solche Dauerkriminellen? Und die kommen auch noch wegen guter Führung vorzeitig raus ...“
Was Roman H. heute macht
Es gräme ihn nicht mehr, sagt er. Roman H. hat den Beruf gewechselt: „Ich wollte immer gern im Rettungswesen arbeiten.“ H. lässt sich zum Rettungssanitäter, dann zum Rettungsassistent ausbilden. Heute arbeitet er in einer Notaufnahme.
Pascal Bartosz
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