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Objektkunst der US-Künstlerin Pae White schwebt über der Haupthalle im Terminal 1 des Flughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt.
© Michael Kappeler/dpa

Die BER-Architektur im weltweiten Vergleich: Wie ein Wohnzimmer am Stadtrand

London, Dubai, Osaka: Weltweit warten Flughäfen mit spektakulärer Architektur auf. Der BER hingegen wirkt im internationalen Vergleich angenehm unaufdringlich.

Die weltweite Corona-Pandemie hat wohl keinen Wirtschaftszweig so tief und nachhaltig getroffen wie den kommerziellen Flugverkehr. Niemand geht mehr davon aus, dass die Erholung binnen ein oder zwei Jahren erfolgen werde; darüber hinaus steht infrage, ob das bis zur Krise ungebrochene Wachstum des Flugverkehrs jemals wieder eintreten wird.

Damit ist auch die Zukunft der Flughafenarchitektur unsicher geworden. Ging es bislang stets darum, dem scheinbar unendlich zunehmenden Bedarf immer neue und größere Flughäfen quasi hinterherzubauen, könnte es in Zukunft dauerhaften Leerstand geben, angesichts der Tatsache, dass schon jetzt an einzelnen Standorten ganze Terminals stillgelegt und regelrecht eingemottet worden sind.

Unter diesen wahrlich düsteren Umständen beginnt der neue Flughafen BER seinen Betrieb. Die Unkenrufe, die ihn bereits zur Eröffnung als zu klein bezeichneten, sind verstummt. Mit einem Mal wirkt BER wie ein auf Zuwachs gekaufter Anzug, der für den – womöglich sehr langen – Augenblick lässige Bequemlichkeit verspricht.

Die Qualität, insbesondere die architektonische Qualität von Flughäfen zeigt sich nicht zuletzt daran, inwieweit sie Größenanpassungen ermöglichen. In Tegel wäre das aufs Eleganteste durch den Bau des zweiten Abfertigungs-Sechsecks möglich gewesen, der jedoch zugunsten von zusammenhanglosen Instant-Bauten unterblieb.

Der Kardinalfehler aller Flughäfen wurde am BER bereits begangen

BER allerdings ist fürs Erste von der Nagelprobe auf möglichst organisches und störungsfreies Flächen- und Funktionswachstum befreit. Das zeichnete sich nämlich schon während der Bauphase als Problem ab.

Leider wurde der Kardinalfehler fast aller Flughafenkomplexe, das Anstückeln von unpassenden und nur der Knappheit der Finanzen geschuldeten quasi-temporären Ergänzungsbauwerken, mit dem Billigflieger-Annex bereits begangen.

Blick aus einem Hubschrauber auf den neuen Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER) in Schönefeld.
Blick aus einem Hubschrauber auf den neuen Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER) in Schönefeld.
© Patrick Pleul/dpa

Dabei hat sich das Grundkonzept von BER im Laufe der überlangen Bauzeit bereits als durchaus anpassungsfähig erwiesen. Der zentralen Halle mit dem zum Flugfeld hin vorgelagerten, langgezogenen Riegel der einzelnen Gates schließen sich jeweils im rechten Winkel prinzipiell verlängerbare Seitenflügel an.

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Ähnliche Konzepte finden sich international des Öfteren, gern in Form von zunächst nicht angelegten, strahlenförmig abzweigenden Bauteilen mit beidseitig angeordneten Fluggastbrücken.

Das Sechseck am Flughafen Tegel.
Das Sechseck am Flughafen Tegel.
© Ralf Hirschberger/dpa

Aber das ist die mehr funktionale Seite. In seiner Gesamtheit ist BER im Vergleich zu anderen Flughäfen eher unauffällig. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass der Flughafenbau im Grunde von Anbeginn an auf architektonische Einmaligkeit aus war.

Die kann im genuin Architektonischen liegen, wofür einem als herausragendes, allerdings seit dem Beginn des Massenverkehrs unbrauchbare Beispiel das berühmte New Yorker TWA-Terminals von Eero Saarinen einfallen mag, ein in Beton gegossenes Symbol des Fliegens schlechthin. Es dient heute als Hotel.

Nicht auf die Größe allein kommt es an

In jüngster Zeit hat der neue – bereits dritte! – Pekinger Flughafen nach Entwurf der inzwischen verstorbenen irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid für Aufsehen gesorgt, einmal natürlich seiner schieren Größe wegen, zum anderen wegen seiner nur mehr am Computer zu generierenden, fließenden Formensprache. Aus der Luft wird er als „Seestern“ wahrgenommen; für das technoide Innere lassen sich keine Analogien zur Natur finden.

Die Eröffnungsfeier am Flughafen Peking im vergangenen Jahr unter dem seesternförmigen Dach.
Die Eröffnungsfeier am Flughafen Peking im vergangenen Jahr unter dem seesternförmigen Dach.
© AFP

Das Größe allein noch nicht gute Architektur hervorbringt, zeigt der ebenfalls 2019 eröffnete Istanbuler Flughafen, der ebenso wie das Pekinger Beispiel – und im Unterschied zum BER – ein weit vor der Stadt gelegener, mit allen Landebahnen wie auch Verkehrsanbindungen aus dem Boden gestampfter Flughafen-Neubau ist.

Istanbul-Neu ist licht und hell und weiträumig, aber ohne einprägsame oder auch nur einheitliche Formensprache. Die extrem weiten Wege insbesondere im Umsteigeverkehr, auf den der Flughafen ausgelegt ist, werden durch allerlei gastronomische Stationen zumindest abgemildert.

Der lichtdurchflutete Flughafen von Istanbul.
Der lichtdurchflutete Flughafen von Istanbul.
© AFP / Ozan Kose

Ganz anders das von Richard Rogers gestaltete, mit einer riesigen Halle aufwartende Flughafen-Terminal 4 von Madrid, dessen Lamellenholzdecke auf farbig betonten Stahlstützen dem Raum alles Einschüchternde nimmt.

[Endlich fertig! Aus der Dauerbaustelle BER wird ein internationaler Flughafen. Doch viele Probleme bleiben. Lesen Sie alle Beiträge zum neuen Hauptstadtflughafen auf unserer Themenseite.]

Noch stärker mit technisch-konstruktiven Formen brilliert der Flughafen Stansted bei London, mit dem Norman Foster das seither weltweit nachgeahmte Modell einer prinzipiell in alle Richtungen erweiterbaren Deckenkonstruktion auf schlanken, sich verzweigenden Stahlstützen geschaffen hat. In Deutschland hat das Büro gmp – Entwerfer des BER – bei seinen Neubauten für Hamburg und Stuttgart ähnliche Stützenkonstruktionen verwendet.

Science-Fiction-Version des Flugreisens in Paris

Ein ganz eigenes Modell stellt das berühmte, ringförmige Terminal 1 des Pariser Hauptflughafens CDG dar. Der mittlerweile verstorbene Paul Andreu, der weltweit über 50 Flughäfen baute und auch für den ungleich größeren Komplex der Pariser Terminals 2A bis 2F verantwortlich zeichnete, schuf einen Rundbau, dessen Innenhof von einem Gewirr sich kreuzender Rolltreppen in Plexiglasverkleidungen durchzogen wird und dessen Flugsteige in sieben, durch Tunnels unter dem Vorfeld zu erreichende Satelliten angeordnet sind.

Das ringförmige Terminal am Pariser Flughafen.
Das ringförmige Terminal am Pariser Flughafen.
© AFP / Jack Guez

Dieser wie ein riesiges UFO im Flughafengelände liegende Bau ist so etwas wie eine Art Science-Fiction-Version des Flugreisens, eine vom normalen Leben getrennte, geradezu außerirdische Erfahrung.

Ein ganz anderes Erlebnis vermittelt der Flughafen Kansai auf einer künstlichen Insel vor der japanischen Agglomeration Osaka-Kobe. Der Genueser Weltbürger Renzo Piano hat ihn als ein über ein Kilometer langes Band mit einer mittigen Halle konzipiert, die eine fast schon kontemplative Ruhe atmet.

Kilometerlange Fußmärsche in Peking und Frankfurt

Belastend ist hier – wie in allen Großflughäfen – das Problem der weiten Entfernungen zumal für Umsteigepassagiere bei weit auseinander liegenden Gates. Es lässt sich nur mit Transportbändern oder – etwa beim zweiten Pekinger Flughafen nach Entwurf von Norman Foster, einem über fast drei Kilometer Länge sich erstreckenden Zwillingsterminal – mit einer eigenen Kabinenbahn bewältigen.

Auch Frankfurt, ein anfangs höchst praktischer Flughafen mit drei „Fingern“, hat durch Anstückelungen ein Ausmaß erreicht, das entweder zu kilometerlangen Fußmärschen zwingt oder aber, beim Wechsel ins Non-Schengen-Terminal, mit der Kabinenbahn bewältigt werden muss.

Der Flugsteig A-Plus im Westen des Terminals 1 am Frankfurter Flughafen.
Der Flugsteig A-Plus im Westen des Terminals 1 am Frankfurter Flughafen.
© obs/Fraport AG

Der regionale Wettlauf der Flughäfen in Ost- und Südostasien wie auch derjenigen in der Golfregion hat zuletzt immer neue, mit immer weiteren Superlativen aufwartende Flughafenbauten hervorgebracht; bis hin zum unterirdisch und dennoch in Hallengröße und -höhe angelegten neuen Terminal in Dubai.

Die Einführung des doppelstöckigen Riesenflugzeugs Airbus A 380 machte neue Abfertigungsanlagen erforderlich, die auf die Flughafenarchitektur ausstrahlen. Wie damit allerdings künftig umgegangen wird, da die Ära dieses Flugzeugs schon wieder vorüber zu sein scheint, kann kaum vorhergesagt werden.

Der BER: Symbol einer Zukunft, die über Nacht Vergangenheit wurde

Auch für BER gibt es eine Position für den A 380 mit einer entsprechenden doppelstöckigen Fluggastbrücke, die jedoch auf elegante Weise in das Konzept der in gleichen Abständen hervorstehenden Treppentürme eingepasst ist – Symbol einer Zukunft, die über Nacht Vergangenheit wurde.

In der Summe ist festzuhalten, dass eine einheitliche architektonische wie im Übrigen auch funktionale Lösung für die Bauaufgabe „Flughafen“ nicht entstanden ist. Das mag überraschen, sind doch die Prozeduren des Fliegens überall gleich.

Auch eine optimale Größe für Passagierflughäfen hat sich noch nicht herauskristallisiert. Vielmehr stehen die Kriterien „kurze Wege, kurze Abfertigungszeiten“ und „größtmögliche Auswahl an gleichzeitig erreichbaren Flugzielen“ in einem kaum lösbaren Spannungsverhältnis zueinander.

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Der BER könnte davon gewinnen, dass er kein „Hub“, kein Umsteigeflughafen ist und die Anzahl der im Gebäude verweilenden Passagiere überschaubar bleiben wird. Für diese Konstellation haben die Architekten von gmp eine angenehme und unaufdringliche, wenngleich wenig spektakuläre Form gefunden – so etwas wie ein Wohnzimmer am Stadtrand.

Internationales Aufsehen erregt BER nicht. Aber man wird es in Zukunft womöglich wichtiger finden, einen reibungslos funktionierenden, als einen architektonisch hervorstechenden Flughafen zu betreten.

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