Berliner Flughafen BER: Wie die Architekten zu Schuldigen wurden
Als der Großflughafen noch Prestige versprach, hielten sie sich in der zweiten Reihe. Jetzt kämpfen die Architekten Hubert Nienhoff und Hans Joachim Paap nicht nur um ihren Ruf - sondern auch um ihre Existenz.
Es begann mit einem Strich, hingeworfen auf eine Rolle Butterbrotpapier. Ein schwarzer Filzstift hat einer vagen Idee der Architekten die ersten Züge verliehen. Sechs Jahre später steht diese Idee beinahe vollendet da, erbaut aus 160 000 Kubikmetern Beton und 33 000 Quadratmetern Glas – und nichts bewegt sich mehr auf dem Großflughafen Berlin-Brandenburg. Die eigene Schöpfung scheint sich gegen sie gewandt zu haben, ist für die Architekten Hubert Nienhoff und Hans Joachim Paap zum Existenzrisiko geworden. Doch es muss offenbar mehr passieren, bevor man den eigenen Flughafen verstößt. In beider Arbeitszimmern hängen Bilder vom BER an einem Ehrenplatz, direkt gegenüber vom Schreibtisch. Jeder Blick ein Stich ins Herz? Das Gebäude kann doch nichts dafür, sagt Paap. Da sind wir stolz drauf, sagt Nienhoff. Ja, trotz allem, sagen beide.
Nienhoff, Jahrgang 59, greift wieder zum Filzstift. Zwölf kräftige Striche braucht der Mann mit dem blauen Hemd, der Weste und dem hellen Schal, für die Vogelperspektive von Terminal, zwei Piers und einem Satelliten. Nienhoff ist Chef der Berliner Niederlassung gmp, Deutschlands erfolgreichstem Architekturbüro „Gerkan, Marg und Partner“. Die Belegschaft zog 1995 von Kreuzberg nach Charlottenburg, in einen 50er-Jahre-Bau an der Hardenbergstraße. In dem Haus, in dem früher die Familie Kiepert Bücher verkaufte, arbeiten etwa 150 Architekten, nicht nur für den BER, sondern laut Nienhoff an etwa 50 Projekten weltweit.
Im Team mit Paap sei er eher der „story teller“, der Geschichtenerzähler, sagt Nienhoff – beim Entwerfen, aber offenbar auch im richtigen Leben. Fragt man Nienhoff nach der Brandschutzanlage, die die jüngste Eröffnung des Flughafens verhinderte, geht seinen Geschichten zwar nicht der Unterhaltungswert, dafür aber die Poesie verloren. Der Mann mit dem grau melierten Bart wirft sich auf seinem Designerstuhl nach hinten und breitet die Arme aus: „Ja, klar, natürlich: Wir sind die zwei Zampanos, die die ganze Republik verarscht haben!“
Die Architekten sollen schuld daran sein, dass die Entrauchungsanlage nicht funktioniert und auf der Baustelle alles drunter- und drübergeht. Damals, als der BER noch Prestige und Ehre versprach, als sich die Politiker und Flughafenchefs bei Spatenstich und Richtfest im Blitzlichtgewitter drängelten, hielten sich Nienhoff und Paap in der zweiten Reihe. Jetzt kämpfen die Architekten ums Überleben – um den Ertrag vieler Jahre Arbeit, ihren guten Ruf und vor allem sehr viel Geld. Im vergangenen Mai, unmittelbar nach einem abendlichen Besprechungstermin mit dem damaligen Flughafenchef Rainer Schwarz, hatte die Flughafengesellschaft der Planungsgemeinschaft gekündigt und die beteiligten Architekturbüros gmp und JSK auf 80 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Ein Irrsinn, sagt Nienhoff. „Wir könnten jetzt in Schönefeld on Air, also in Betrieb sein.“
Zum Zeitpunkt der Kündigung seien fast 90 Prozent der Arbeiten abgeschlossen gewesen, „alle wollten nur noch fertig werden“. Der Rauswurf habe die Probleme auf der Baustelle nur verschärft, zu einer Selbstblockade geführt. „Ein Millionengrab“, schimpft Nienhoff, springt auf, reißt das Fenster auf – um es gleich wieder zu schließen. Nein, sie könnten leider keine Schuldigen und keine Namen nennen, nicht, solange das juristische Verfahren laufe. Aber eines sei gewiss. „Inzwischen haben diejenigen, die uns gekündigt haben, selbst ein Problem, und sind – auch deswegen – ihren Job los.“ Thesen, die knackig klingen, aber derzeit weder zu beweisen noch zu widerlegen sind.
Die Architekten sind draußen, auch wenn sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass der Rausschmiss vermutlich ein Fehler war. Ob sie bei einem Angebot wieder einsteigen würden? „Nur, wenn wieder echte Zusammenarbeit möglich wäre und das Schwarzer-Peter-Spiel ein Ende hätte“, sagt Nienhoff. Schon nach der ersten Terminverschiebung im Sommer 2010 habe man sich zurückziehen wollen. „Die Flughafengesellschaft hat uns aber überredet, zu bleiben.“
Das Büro sieht aus wie ein wahr gewordenes Architektenklischee
BER-Chef Schwarz ist inzwischen selbst rausgeflogen. Niemand rechnet damit, dass auf der Sitzung des Aufsichtsrats am heutigen Mittwoch schon ein Nachfolger präsentiert werden kann. Das Gremium wird sich mit dem Flughafen Tegel beschäftigen, der fitgemacht werden muss, um durchzuhalten, bis BER betriebsfertig ist. Es ist die Ironie der Geschichte. Ausgerechnet Tegel – entworfen von den gmp-Gründern Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg. Noch heute steht auf dem Flughafengelände die Baracke, in der das damals noch kleine Team gearbeitet hat.
Drei Etagen musste gmp anmieten, um alle Mitarbeiter an der Hardenbergstraße unterzubringen. Paap, 52 Jahre alt, von seinen Partnern auch „Mr. Airport“ genannt, ist der Pragmatische des Duos. Wenn das Temperament Nienhoff aus dem Stuhl katapultiert, lächelt Paap und blättert still durch die Papiere. Paap, weißes Hemd, schwarze Hose und Bruce-Willis-Frisur, ist assoziierter Partner bei gmp und der Mann, der an der Hardenbergstraße besonders tief im BER-Projekt steckt.
1990 schrieb Paap seine Diplomarbeit bei Meinhard von Gerkan. Das Thema: Bau eines Großflughafens Berlin. Als Standort hatte er sich Luckenwalde ausgesucht, allerdings eher aus akademischen Gründen. Dort konnte er frei planen, die Startbahnen so weit auseinanderlegen, dass es dazwischen viel Platz für im Kreis angeordnete Terminals gab. „Teil-dezentral“ sei das Konzept gewesen, sagt Paap. Eine kleine Reminiszenz an Tegel.
In Schönefeld war die Lage der Startbahnen vorgegeben. Und damit der Entwurf für ein zentrales Abfertigungsgebäude. Mit diesem Flughafen, sagt Paap, habe er sein halbes Berufsleben verbracht, bis heute fülle der BER „fast 100 Prozent“ seines Arbeitstages aus – Presseanfragen, Schlussrechnung, Prozessvorbereitungen … Manchmal schaut Paap leicht gequält, wenn Nienhoff den Besuch mal wieder zum Lachen bringt, das sei „jetzt alles nicht so witzig“, sagt er dann.
Das Büro sieht aus wie ein wahr gewordenes Architektenklischee in Schwarz, Weiß, Chrom, in der Ecke lehnt eine Schaufel vom BER-Spatenstich. Die Bücherregale sind mit Bildbänden gefüllt. Islamische Kunst steht auf den Buchrücken, Stadion Design oder Berlin im Licht und natürlich, „unser Oeuvre“, sagt Paap und zieht eine Kassette aus den Reihen: zwölf Bände, 45 Jahre gmp-Geschichte.
Die Berliner kennen gmp nicht nur als Schöpfer des Flughafens Tegel und des Hauptbahnhofs, sie haben unter anderem auch den Bahnhof Spandau, die Dresdner Bank am Pariser Platz und das Tempodrom errichtet. Für die WM rekonstruierten sie das Olympiastadion. In China hat gmp mehrere Messegelände, Opernhäuser, Kongresszentren und eine ganze Stadt gebaut. Abgesehen davon, sagt Paap, sei gmp beim Bau fast aller deutschen Flughäfen dabei gewesen, Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, Paderborn, und selbst München sei ihr Konzept, kurz und trotzig: „Flughafen können wir!“
Und jetzt sollen sie alles verkehrt gemacht haben? Die Klage der Flughafengesellschaft konterten die Architekten mit einer Erwiderung, 99 Seiten lang. „Wir haben die Probleme gesehen und gewarnt – auch vor den vielen Änderungswünschen der Flughafengesellschaft“, sagt Paap. Mehr als 300 soll es insgesamt gegeben haben, große und kleine.
Auch die anderen Vorwürfe wischen die beiden Männer vom Tisch: „Natürlich haben Pläne gefehlt“, sagt Paap – für die Bereiche, die bei der Eröffnung noch gar nicht fertig sein sollten. Etwa die beiden Pavillons, die nachträglich ans Terminal angefügt worden sind. Und die Kontrollen? „Wir sind keine Polizei“, sagt Paap. Bei 1500 beteiligten Firmen seien nur Stichproben möglich. Und die Entrauchungsanlage, die angeblich so kompliziert ist, weil sie den Qualm erst nach unten ziehen soll und dann erst ins Freie bläst? Jetzt wird auch Paap lauter: „Wir sind Architekten. Wir heben keine Naturgesetze auf!“ Und Nienhoff schimpft: „Deutschland hatte schon immer 80 Millionen Fußball-Bundestrainer; inzwischen sind mindestens 40 Millionen BER-Planer dazugekommen.“
Zum Beweis zieht er eine Grafik aus dem Papierstapel und zeigt, wie der Rauch bei einem Brand in der Haupthalle abziehen würde, nach oben durch Klappen im Dach. Nur in den unteren Ebenen werde der Rauch erst zur Seite und dann an die Oberfläche gelenkt.
Die gmp-Gründer Gerkan und Marg haben mit ihrem Büro Architekturgeschichte geschrieben, Dutzende Preise abgeräumt, hunderte Wettbewerbe gewonnen – und nun könnte dieses eine Projekt ihr Lebenswerk zerstören. 80 Millionen, die zahlt keine Versicherung. „Es besteht die Gefahr, das Büro kaputtzukriegen“, sagt Nienhoff.
Im Jahr 1965 haben Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg das Architekturbüro in Hamburg gegründet. Mittlerweile sind vier weitere Partner (darunter Nienhoff), ein Partner für China und elf assoziierte Partner (darunter Paap) hinzugekommen. Mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt gmp, die sich auf zehn Büros im In- und Ausland verteilen.
"Wir wollten Poesie reinbringen", sagen die beiden
Die Senior-Chefs haben sich aus dem täglichen Geschäft längst zurückgezogen, treten nur noch als Mentoren auf. Der „Raum der Stille“, die Kapelle im BER, trage in ihrer lichten Schlichtheit allerdings deutlich Gerkans Handschrift, sagt Paap. Auch wenn es eher Zufall ist. „Das ist der einzige Vertrag, der von der Flughafengesellschaft nicht gekündigt wurde.“
Der Rundgang durch „gmp Berlin“ führt treppauf, treppab, vorbei am Flügel in der Empfangshalle, wo die Architekten Lesungen und Konzerte veranstalten, die Flure entlang an den nur mit Glasscheiben abgetrennten Büros, in denen in der großen Mehrzahl junge Menschen sitzen und Videokonferenzen mit Teams in Bayern und Indien abhalten. Ganz oben, im sechsten Stock, wo die Mitarbeiter halb Berlin im Blick haben, war früher der BER-Sachverstand versammelt, ein weiteres Büro hatten gmp und JSK auf der Baustelle eingerichtet. 1500 Firmen aus ganz Europa, 5000 Bauarbeiter sowie 300 Architekten und Ingenieure waren am Bau des BER beteiligt. Inzwischen ist im sechsten Stock auch wieder Platz für andere Projekte. Auf einem Schreibtisch steht ein Modell für die Expo in São Paulo, auf einem anderem das Modell des Berliner Hochhauses der Deutschen Rentenversicherung. Dazwischen aber immer wieder: der BER.
Die Wut der Architekten, hier oben scheint sie sich zu verflüchtigen. Finger fahren durch die Luft, zeigen auf Fotos fertiger Gebäude, Simulationen und zwei Mustertafeln. „Darauf finden sich alle Materialien, die beim Flughafen verwendet wurden“, sagt Paap. Beton, Kiesel, Fliesen, daneben ein samtgelber Stein für den Boden, und für den Teppich das warme Rot, das in den Wappen von Berlin und Brandenburg leuchtet. Die Architekten haben bei den Geschmacksfragen nichts dem Zufall überlassen, den Baufirmen jede Farbe, Form und Struktur vorgegeben. Oder, mit den Worten der Schöpfer gesprochen: „Wir wollten Poesie reinbringen, die Aura des Orts erfassen und einen Mythos erschaffen.“
Auf Plänen haben Paap und Nienhoff festgelegt, wo welche Lampen aus welchen Winkeln in welcher Lichtfarbe scheinen sollen. So wie schon Mitte der 90er Jahre bei der Neuen Messe Leipzig, die habe er „als junger Mann gemacht“, sagt Nienhoff, der seit 1993 Partner bei gmp ist, Büros in Frankfurt und Rio de Janeiro geleitet hat. Wenn Paap bei gmp „Mr. Airport“ ist, kann man Nienhoff wohl als „Mr. Stadion“ bezeichnen. Die Commerzbank-Arena in Frankfurt/Main zählt zu seinen Projekten, genauso wie die WM-Stadien in Kapstadt, Durban und Port Elizabeth. Für die WM 2014 baut gmp gerade in Manaus, Belo Horizonte und Brasilia. Aber der Grundstein für die gmp-Stadien-Serie wurde in Berlin gelegt – mit der Rekonstruktion des Olympiastadions für die WM 2006. „Da hat sich der Gedanke festgesetzt: Ein Stadion ist mehr als eine Fußballerbude“, sagt Nienhoff.
Vor dem Baustart am Berliner Olympiastadion war er mit seinem Team – Architekten, Haustechniker, Statiker, Catering-Experten – auf Tour gegangen durch zwei Dutzend Stadien in Europa und den USA. Dann ging es ans Geschichtenerzählen, ans dialogische Entwerfen: Nienhoff und seine Leute stellten sich vor, wie ein Fan mit der Straßenbahn zum Stadion fährt, sich auf der Großbildleinwand in eine Frau aus der Vip-Lounge verliebt, die er dann im Eingangsbereich wiedertrifft … So fand das Team heraus, was ihr Stadion alles bieten muss.
Paap und Nienhoff lernten sich im Jahr 1997 kennen, am Opernplatz 1, Essen, wo die beiden mit Gerkan in der Zentrale von Hochtief verabredet waren. Sie versichern, dass sie dieses Bild nie vergessen werden. „Es war wie in High Noon“, sagt Nienhoff. „Er kam das eine Ende der Straße entlang, ich das andere“, sagt Paap. Nach dem Gespräch stellten die beiden ein Team zusammen, arbeiteten zwei Monate Tag und Nacht – und entschieden den BER-Wettbewerb für sich.
Nienhoff ist Architekt der alten Garde. Er entwirft zuweilen noch auf Papier statt auf dem Rechner, ganz klassisch mit einer Zeichenschiene. Neben seinem Schreibtisch hängen die Zeichnungen seiner Kinder. Sie dürften sich dran gewöhnt haben, dass man mit ihrem Vater nicht einfach spazieren geht. Wenn Nienhoff durch die Straßen flaniert, laufe vor seinem inneren Auge eine Art Film ab, „ich entmülle die Stadt“. Unnötige Schilder? Überflüssige Parkplätze? Werbung auf den Dächern? Müll in den Parks? „Weg damit! Das weg! Und das!“ Nienhoff steht am Fenster, fuchtelt wie ein Dirigent.
Eine Geschichte hat er noch, aber keine lustige. Es geht um den guten Ruf und wie er sich fühlt, wenn er bei einem Bauherren in Russland, Katar oder Brasilien vorspricht – und auf dem Schreibtisch Kopien aus den deutschen Zeitungen liegen. Schlagzeilen springen ins Auge: Flughafen verklagt Architekten – Das Desaster am Airport – Das Schweigen der Architekten. Das tue schon weh, sagt Nienhoff. „Diese emotionale Komponente ist extrem.“ Juristisch, da sei er sich ganz sicher, werde der Fall BER eine „einzige Leichenfledderei“. Selbst in einem langen Richterleben werde er sicher nicht zu lösen sein.
Dieser Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.