Wohnen in Berlin: Wie ein Bezirk Wohnungen für Flüchtlinge findet
Eine Wohnung in Berlin zu finden, ist nicht einfach. Vor allem für Geflüchtete. Deshalb hilft Tempelhof-Schöneberg ihnen bei der Suche - mit Erfolg.
Die Besucher hatten Blumen mitgebracht, nur mit Mühe gelang es ihnen, Tränen zurückzuhalten. Eine Mutter und ein Vater aus Syrien standen im Raum 203 des Rathauses Tempelhof, neben ihren Kindern. Und vor ihnen Jens Rockstedt, auch ihn hätte die Rührung fast übermannt. Die Blumen, die mühsam unterdrückten Tränen, das waren Gesten tiefer Dankbarkeit.
Die syrische Flüchtlingsfamilie hatte eine Wohnung gefunden. Rockstedt und sein Team hatten sie ihnen vermittelt. Es war Anfang Januar, es war ein bewegender Moment für Rockstedt – wieder mal ein Erfolg für sein Projekt.
Rockstedt ist Fachbereichsleiter Regionale Sozialdienste im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, sein Projekt ist es, Flüchtlingen berlinweit eine Wohnung zu beschaffen. Eine Wohnung auf dem freien Markt – dort also, „wo der Druck extrem groß ist“. Wohnungen sind rar, bezahlbare sowieso, und Wohnungen für Geflüchtete zu finden ist eine enorme Herausforderung.
"Wir haben durchaus Erfolg"
Seit April 2017 widmen sich Rockstedt und sein Team dieser Aufgabe. Bis 31. Dezember 2017 haben sie 16 Wohnungen an Flüchtlinge vermittelt, für 21 Haushalte. Das bedeutet, dass in einer Mehrzimmer-Wohnung auch mehrere Singles leben können. „Wir haben durchaus Erfolg“, sagt Rockstedt, ein Diplom-Verwaltungswirt, der jetzt in Jeans und weißem Pullover an seinem Schreibtisch sitzt. Sein Bart ist akkurat gestutzt.
Der 49-Jährige hat im Frühjahr 2017 das Konzept für das Projekt geschrieben. Das Land schüttete Mittel für den „Masterplan für Integration und Sicherheit“ an die Bezirke aus, also musste eine Idee her, wie man dieses Geld verwenden kann. Die Zahl der Sozialwohnungen für Geflüchtete in der Stadt ist viel zu gering für den Bedarf, also blieb nur der freie Markt.
Deshalb orientierte sich Rockstedt an der Kernfrage: „Wir haben uns in die Sicht eines Vermieters versetzt. Weshalb vermietet jemand an bestimmte Personen?“ Eine wichtige Antwort: Die Chemie muss stimmen. „Ganz wichtig ist der Kontakt zu Vermietern“, ist Rockstedt überzeugt. „Wenn ein Mieter sympathisch wirkt, ist seine Nationalität egal.“
Zu seinem Team gehören noch ein Mann und eine Frau, beide arabischstämmig, beide früher als Dolmetscher für den Bezirk im Einsatz. Je ein Mitarbeiter begleitet einen Wohnungssuchenden oder eine Familie zum Vermieter, zum Jobcenter, hilft bei Anträgen und redet mit dem Vermieter. Zudem steht das Teammitglied ein Jahr lang bereit, wenn es Probleme gibt, wenn Dinge zwischen Mieter und Vermieter zu klären sind.
Info-Veranstaltungen für Flüchtlinge
Damit es möglichst wenig Probleme gibt, werden die neuen Bewohner vom Bezirksamt in Einzelgesprächen geschult. Wie entsorgt man Müll? Wie heizt man richtig? Wann gilt Nachtruhe? Oft sind ja Details Auslöser eines Riesenstreits. Und dann gibt es noch Info-Veranstaltungen für Flüchtlinge. Themen: „Rechte und Pflichten eines Mieters“, „Hausordnung“, „Mietrecht“.
Am Anfang dachten Rockstedt und seine Mitarbeiter noch, ihre „Kunden“ sprächen kaum Deutsch und lebten isoliert in ihrer Community. Aber schon bald stellten sie fest, „dass viele gar keine so große Unterstützung benötigen“. Die Deutschkenntnisse seien ganz vernünftig, Kontakte zu deutschen Familien gebe es auch. Ein wichtiger Punkt, denn: Ein Vermieter vergibt selten seine Wohnung an Leute, mit denen er sich nicht unterhalten kann.
Aber für das Projekt kommt sowieso nur eine überschaubare Gruppe infrage. 3272 wohnungs- und obdachlose Personen hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zum Stichtag 31.12.2017 untergebracht, in Not- und Gemeinschaftsunterkünften, in Hostels. 2493 davon waren Nicht-EU-Bürger, und von denen, schätzt Rockstedt, „sind rund 80 Prozent Flüchtlinge“. Die wenigsten erhalten Wohnungen. Auf jede Zusage entfallen mindestens fünf Absagen.
Personen die "wohnungsfähig" sind
Und natürlich werden vor allem Personen ausgewählt, die „wohnungsfähig“ sind. Rockstedt sagt nicht ohne Grund: „Wir müssen darauf achten, dass wir unseren Ruf bewahren.“
Wenn eine Miete über den gesetzlichen Vorgaben liegt, redet er allerdings erst gar nicht mit dem Vermieter. Für eine fünfköpfige Familie sind normal nicht mehr als 604,80 Euro für die Bruttokaltmiete vorgesehen. In besonderen Fällen kann diese Summe maximal um 30 Prozent überschritten werden.
Das Projekt zahlt sich auch finanziell aus, denn Wohnungen mit fester Miete sind für den Bezirk billiger als Unterkünfte zum Tagessatz. Rockstedt hat es ausgerechnet. „Durch die 21 Haushalte, die wir vermittelten, haben wir 46 688 Euro eingespart.“
Eine dieser Wohnungen erhielt eine alleinerziehende Mutter. Ihr Fall hat Rockstedt am meisten berührt: Die Syrerin verlor eines ihrer vier Kinder in Deutschland bei einem Badeunfall, ein furchtbarer Schock. „Wir haben für sie eine Wohnung gefunden“, sagt Rockstedt, „jetzt hat sie wieder etwas Positives in ihrem Leben.“