Neue Radwege für mehr Abstand: Wie die Coronakrise den Radverkehr in Berlin voranbringt
Provisorische Markierungen auf Hauptverkehrsachsen – Kreuzberg schafft per Pilotprojekt Platz für Fahrräder. Es gibt bereits weitere Ideen, auch andernorts.
Drei Tage sind vergangen von der Idee bis zur Realisierung zweier neuer Radwege in Kreuzberg. Das entspricht etwa dem 500-Fachen des sonst üblichen Tempos.
Am Mittwoch wurde am Halleschen Ufer zwischen Halleschem Tor und Köthener Straße eine der drei Fahrspuren durch Baken, gelbe Linien und Piktogramme für den Radverkehr abgetrennt. In der Zossener Straße wurde mit ähnlichen Mitteln die Aufstellfläche vor der Ampel an der Gitschiner Straße nahe der Heilig-Kreuz-Kirche deutlich vergrößert.
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Seit Montag haben die Senatsverwaltung und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg das Pilotprojekt erarbeitet, das nach Auskunft aus dem Kreuzberger Rathaus am Mittwoch von einer der Baufirmen umgesetzt wurde, mit denen der Bezirk einen Rahmenvertrag für Ad-hoc-Reparaturen habe.
Der reguläre Dienstweg - Senatsverwaltung ordnet an, hört Polizei an und beauftragt den Bezirk, der den Auftrag vergibt - sei eingehalten, aber durch mündliche Absprachen an Ort und Stelle extrem beschleunigt worden.
Die beiden als Pilotprojekt gewählten Bereiche zeichneten sich durch hohen Radverkehrsanteil aus, der aber wenig (Zossener Straße) beziehungsweise gar keinen (Hallesches Ufer) eigenen Platz auf der Straße habe. Die Neumarkierung soll verhindern, dass sich große Pulks von Radfahrern bilden und dass Radfahrer - wie bisher oft am Halleschen Ufer - auf den Gehweg ausweichen, wo sie Fußgänger wegen der neuen Abstandsregeln auf mehrfache Weise gefährden können.
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Ob weitere solcher Projekte folgen, soll nach Auskunft von Straßen- und Grünflächenamtsleiter Felix Weisbrich "nach einer extrem kurzen Phase der Evaluierung" entschieden werden. Für die aktuelle Entscheidung sprach auch, dass der Autoverkehr wegen des eingeschränkten öffentlichen Lebens deutlich abgenommen hat und Mediziner wie Behörden den Menschen empfehlen, für ihre notwendigen Wege möglichst das Fahrrad zu nutzen.
Dringender Bedarf wird auch in der Kantstraße gesehen
"Die Notwendigkeit für die Anordnung von Radfahrstreifen entsteht durch das kurzfristig neu sortierte Verkehrsaufkommen und ist durchaus vergleichbar mit der Einrichtung von Busspuren für einen Schienenersatzverkehr", heißt es aus dem Bezirksamt. Die Anordnung gelte zunächst für die Pandemie-Situation befristet. Um aus dem Provisorium eine Dauerlösung zu machen, sei später ein neues Anhörungsverfahren erforderlich. Andere Dinge seien dafür jetzt nicht in der Verwaltung liegen geblieben.
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Nach Auskunft von Weisbrich "gibt es auch andere Bezirke, die überlegen". Ein Beispiel ist Charlottenburg-Wilmersdorf, wo die Linksfraktion Radfahrstreifen für die Hauptstraßen - insbesondere für die Kantstraße - fordert.
Als Vorbild für eine konsequente Reaktion auf die plötzlich veränderten Verkehrsanteile wurde in den vergangenen Tagen oft die kolumbianische Hauptstadt Bogotá genannt, in der wegen der Corona-Krise Fahrspuren auf mehr als 100 Straßenkilometern provisorisch für den Radverkehr reserviert wurden.