Wahlkampf in Berlin: Wie die AfD um Russlanddeutsche wirbt
Die AfD spricht im Wahlkampf in Berlin verstärkt Russlanddeutsche an. Mit Flyern und extra Forderungen im Wahlprogramm. Kann dieser Plan aufgehen? Eine Annäherung.
Für Politik, sagt Alexander Wolf, hat er sich lange nicht interessiert. Dann kam die Ukrainekrise, der Krieg in Syrien, kamen die Flüchtlinge nach Berlin. „Das war der Punkt, wo ich nicht mehr einverstanden war mit der deutschen Politik“, erzählt der Russlanddeutsche mit leichtem Akzent.
Wolf – hellblaues Hemd, rundes Gesicht, geduldiges Lächeln – ist Versicherungsmakler und sitzt in seinem kahlen Büro in der Einkaufspassage Carrée Marzahn. Gerade ist er mit einem Vertrag fertig geworden – jetzt hat kurz er Zeit, um über Politik zu reden. Damit ist er eine Ausnahme in dieser Gegend, die wegen ihres hohen Anteils an Russlanddeutschen auch „Klein-Moskau“ genannt wird. Ihre Meinung behalten viele hier lieber für sich.
Eine interessante Wählergruppe
Die Russlanddeutschen in Berlin sind unauffällig, aber keineswegs unbedeutend. Allein in Marzahn-Hellersdorf um das Carrée herum leben bis zu 30 000. Dort tönt in einem Supermarkt, dem Mix Markt, russischer Pop aus den Lautsprechern, viele Produkte sind mit kyrillischen Buchstaben versehen. In ganz Berlin gibt es Schätzungen zufolge 150 000 Russlanddeutsche – manche gehen sogar von 200000 aus. Allein ihre schiere Menge macht diese Menschen nun vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin zu einer interessanten Wählergruppe.
So thematisiert besonders die AfD, dass sie die Aussiedler für sich gewinnen will. „Die Russlanddeutschen sind für uns eine wichtige Zielgruppe“, sagt Spitzenkandidat Georg Pazderski. Die Partei hat sogar Flyer drucken lassen, auf denen die wichtigsten Forderungen auf Deutsch und auf Russisch zu lesen sind. Verteilt wurden diese etwa im Juni bei den Deutsch-Russischen Festtagen in Karlshorst. Im Wahlprogramm geht die AfD explizit auf Russlanddeutsche ein. Sie fordert, dass die Mittel für die Absicherung des Integrationserfolgs der Russlanddeutschen erhalten bleiben.
Wer Antworten sucht, fährt nach Marzahn
In Marzahn lächelt kurz vorm Carrée Pazderski zwischen den Plattenbauten vom Laternenmast. Die Rechtspopulisten wollen die CDU, die als traditionelle Aussiedlerpartei gilt, in der Gunst der Russlanddeutschen ablösen. Bei früheren Landtagswahlen fuhr die AfD in russisch geprägten Gegenden hohe Ergebnisse ein.
Kann dieser Plan auch in Berlin aufgehen? Wer Antworten darauf sucht, muss zunächst verstehen, wer diese Menschen sind, die nicht nur im Osten der Stadt, sondern auch etwa in Spandau – oftmals sehr gut integriert – leben.
Wenn in Deutschland von Russlanddeutschen die Rede ist, sind in der Regel Aussiedler und Spätaussiedler gemeint, die aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind und die dann die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Menschen, die Deutschland nur aus Erzählungen ihrer Vorfahren kannten. Auch Wolf zählt dazu. Er kam 1998 von Sibirien nach Deutschland, seine Vorfahren stammen aus Bayern. „Mein Blut ist deutsch, man Stammbaum besteht aus Deutschen, ich fühle mich als Deutscher“, sagt er.
Eine nationale und konservative Ader
Wolfs Einstellung ist typisch. „Russlanddeutsche fühlen sich häufig mit Deutschland sehr verbunden. Sie sind Patrioten mit einer nationalen und konservativen Ader“, sagt Burkard Dregger, integrationspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Auch seine Partei bemüht sich um die Russlanddeutschen. So hat die CDU etwa ein Landesnetzwerk Aussiedler gegründet. Zudem treten für die CDU fünf Russlanddeutsche bei den Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen an. Als Aussiedlerpartei gilt die CDU, weil sie unter Helmut Kohl die Einbürgerung der Russlanddeutschen möglich machte.
Die AfD betont die Gemeinsamkeiten
Aber der 40-jährige Wolf hat das Gefühl, dass sich die Politik nicht um die Interessen der Bürger kümmert. Dass Wahlversprechen nicht eingehalten werden. Und dass zwischen den großen Parteien kaum noch Unterschiede bestehen. Wer sich hier im Carrée umhört – Supermarkt, Lottoladen, Reisebüro, Änderungsschneiderei, alle betrieben von Russlanddeutschen – erlebt bei vielen eine ähnliche Resignation. Nur dass eben keiner so offen darüber reden will.
Auch die Flüchtlinge machen Alexander Wolf Sorgen – es seien zu viele gekommen, sagt er, die Regierung habe keinen Plan für deren Unterbringung und Registrierung gehabt. „Mittlerweile fühle ich mich in Berlin nicht mehr sicher. Ich habe Angst um meine 17-jährige Tochter“, sagt er. Befeuert wurden solche Befürchtungen unter Russlanddeutschen auch, als russische Medien im „Fall Lisa“ verbreitet hatten, Flüchtlinge hätten das Mädchen vergewaltigt – was sich als falsch herausstellte.
"Die AfD spielt die nationale Karte"
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Russlanddeutsche – wie auch Wolf – Migranten skeptisch sehen. Viele Russlanddeutsche pflegten bei ihrer Ankunft ein idealisiertes Deutschlandbild, das nicht der erlebten Wirklichkeit entsprach. „Dazu gehörte die Präsenz von ,Nicht-Deutschen’ in der Gesellschaft, die der Erwartung auf eine homogene ,deutsche’ Gesellschaft widersprachen“, erklärt Jannis Panagiotidis, der an der Uni Osnabrück Juniorprofessor für Migration und Integration der Russlanddeutschen ist. „Außerdem waren viele enttäuscht, selber oft nicht als ,deutsch’ akzeptiert zu werden.“
Kann die AfD nun bei Russlanddeutschen besonders punkten? „Die AfD spielt die nationale Karte in einer Stimmungslage in der viele Menschen Überfremdungsängste haben – auch Russlanddeutsche. Das ist eine reine Ausnutzung der Lage“, sagt CDU-Mann Dregger.
"Konservativ strukturiert, hoher Arbeitsethos"
Die Berliner AfD selbst betont vor allem vermeintliche Gemeinsamkeiten mit den Russlanddeutschen. „Sie haben eine natürliche Nähe zur AfD, weil sie konservativ strukturiert sind, Wert auf Familie, Erziehung und Bildung legen und einen hohen Arbeitsethos haben“, sagt Hans-Joachim Berg, einst CDU-Mitglied, heute auf Listenplatz 5 der AfD für die Abgeordnetenhauswahl. In Steglitz-Zehlendorf ist er Vorsitzender der AfD. Auch die national-bürgerliche Grundeinstellung der Russlanddeutschen passe zur AfD, erklärt Berg. „Zudem ist unsere Partei für ein ordentliches Verhältnis zu Russland und gegen wirtschaftliche Sanktionen. Damit können wir punkten.“
Wissenschaftler Jannis Panagiotidis glaubt dagegen, dass es gar nicht maßgeblich an spezifischen AfD-Inhalten liegt, wenn die Partei von Russlanddeutschen gut ankommt. Wichtiger als Inhalte sei das Sozialprofil der AfD-Wählerschaft, das sich in den letzten Landtagswahlen zeigte. „Die AfD wird vor allem Arbeitern, Arbeitslosen sowie von enttäuschten Konservativen gewählt, und die Russlanddeutschen sind in allen diesen Gruppen überrepräsentiert“, erklärt er.
In Marzahn-Hellersdorf macht der Russlanddeutsche Alexander Wolf – als Mitglied in einem Kleingartenverein übrigens nochmal Zielgruppe der AfD – kein Geheimnis daraus, was er wählen will. „Die Linke. Die sagen wenigstens die Wahrheit“, antwortet er. Also hat die AfD keine Chance bei ihm? „Falls die Linke sich plötzlich um 180 Grad dreht, müsste ich meine Entscheidung neu überdenken. Ich bin da ganz offen.“ Auch für die AfD.
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