Der Innovationscampus von Siemens: Wie der Senat das 600-Millionen-Projekt nach Berlin holte
Siemens investiert in Berlin 600 Millionen Euro für einen Innovationscampus. Was ist geplant und welche Verdienste hat der Senat daran? Fragen und Antworten.
An diesem Tag passte alles, um die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Siemens in Berlin mit mehr als 600 Millionen Euro im Roten Rathaus zu präsentieren: Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) war der gestrige Mittwoch der letzte Tag seiner Amtszeit als Bundesratspräsident, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) feierte ihren 41. Geburtstag. Und neben Siemens-Vorstand Cedrik Neike reiste sogar Siemens-Chef Joe Kaeser nach Berlin, um den Innovationscampus auf historischem Industriegelände vorzustellen.
Was plant Siemens genau?
Rund um das alte Dynamowerk von 1907 und in der Nachbarschaft zum Verwaltungsgebäude des Technologiekonzerns am Rohrdamm soll auf einer Fläche von 70 Hektar ein Innovationscampus entstehen, auf dem innovative Fertigungsmethoden entwickelt und eingesetzt werden. Dafür sollen Forschungs-, Fach- und Gründerzentren, außeruniversitäre Einrichtungen und Start-up-Firmen angesiedelt werden. Analog zum Gründungskonzept der Siemensstadt 1897 will der Technologiekonzern dort Arbeiten, Forschung und Wohnen vereinen und ein „vernetztes Ökosystem mit flexiblen Arbeitsbedingungen, gesellschaftlicher Integration und bezahlbarem Wohnraum“ schaffen, sagte Kaeser. Rund 2000 Wohnungen sollen in der Siemensstadt 2.0. entstehen. 30 Prozent davon sind mietpreisgebunden. Auch Arbeitsplätze sollen entstehen. Zahlen wurden am Mittwoch aber nicht genannt. Berlin ist noch heute der größte Produktionsstandort von Siemens mit mehr als 11.000 Mitarbeitern. Das gesamte Projekt soll bis zum Jahr 2030 entwickelt werden.
Weitere 70 Millionen Euro investiert Siemens für einen Industrie- und Wissenschaftscampus. Diese Absichtserklärung, die dem Tagesspiegel vorliegt, wurde am Mittwoch ebenfalls vom Land Berlin, Siemens, der Technischen Universität Berlin, der Fraunhofer Gesellschaft und der Bundesanstalt für Materialforschung unterzeichnet. Geplant sind unter anderem Verbundprojekte, drei neue Professuren in den digitalen Forschungsbereichen und ein Gebäude, das auch von weiteren Partnern genutzt werden kann. Der Start des Campus ist im März 2019 vorgesehen.
Welchen Anteil hat die Berliner Koalition an dem Erfolg?
Man hört selten lobende Worte über die Berliner Verwaltung. Aber Joe Kaeser und Siemens-Vorstand Cedrik Neike betonten am Mittwoch mehrfach, wie Berlin „beeindruckend“ seine Hausaufgaben gemacht und innerhalb von acht Wochen ein Konzept vorgelegt habe. Ressortübergreifend arbeiteten der Bezirk Spandau, die Senatskanzlei und die Fachverwaltungen zusammen. Gesteuert wurde die Arbeit in der Senatskanzlei von einem Mann, den Michael Müller schon als Stadtentwicklungssenator kannte: Jochen Lang, der frühere Chefdenker für Wohnungsbau, Stadterneuerung und Soziale Stadt, wechselte in diesem Jahr in die Senatskanzlei und ist dort Abteilungsleiter für die Ressortkoordinierung. Lang baute in der Senatskanzlei eine Steuerungsgruppe mit gut 25 Personen auf, die mit den zuständigen Fachabteilungen im Bezirk und der Hauptverwaltung eng kommunizierten und sich vor allem regelmäßig auch mit Siemens-Vertretern verständigten.
Eingebunden waren auch die Wirtschaftsverwaltung von Senatorin Ramona Pop (Grüne) und die Kulturverwaltung von Senator Klaus Lederer (Linke). Pop betonte, dass sich der Einsatz für Siemens gelohnt habe. Berlin sei der passende Standort für den Campus und das zukunftsweisende Projekt. Man habe „schnell“ agiert, sagte Lederer. Er freue sich, dass Siemens das Potenzial von Berlin sehr schätze.
Diese Erfolgsmeldung kommt für Rot-Rot-Grün zur rechten Zeit. Erst vergangene Woche verkündete Google seinen Rückzug: Aus dem umstrittenen „Google Campus“ in Berlin-Kreuzberg wird nach massiven Protesten nun doch nichts. Statt Google zieht in das ehemalige Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer nun ein „Haus für soziales Engagement“ ein.
Welche Unterstützung des Bundes braucht Siemens in Berlin?
Siemens hat zur Bedingung für die große Investition in Berlin gemacht, dass der künftige Campus an schnelles Internet über Breitbandkabel, an ein 5G-Mobilfunknetz und an eine bessere Schienenverbindung – etwa zum künftigen Flughafen BER – angebunden ist.
In allen Fällen hat das Land Berlin Unterstützung zugesagt und seinerseits bei der Bundesregierung und der Deutschen Bahn um eine Vorzugsbehandlung gebeten. So soll beim Breitbandausbau Siemensstadt mit Priorität berücksichtigt werden. Aktuell liegt der Bezirk Spandau beim Ausbau im Vergleich der Berliner Bezirke zurück. Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Legislaturperiode eigentlich bis 2018 deutschlandweit Internetanschlüsse mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde versprochen. Doch Ex-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ließ das Projekt liegen. Berlin lag zuletzt mit knapp 33 Megabit bundesweit auf Rang 78. Nun hoffen Siemens und Berlin auf mehr Tatendrang der aktuellen Bundesregierung.
Auch beim Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunknetzes ist Siemens auf die Investitionen anderer angewiesen – der Provider Telekom, Vodafone und anderer. Die technischen Vorbereitungen laufen, nutzen kann man 5G noch nicht. Siemens will notfalls ein eigenes Mobilfunknetz in Siemensstadt betreiben. Um Besuchern, Mitarbeitern und Bewohnern des künftigen Campus eine schnelle Verbindung zum Flughafen zu ermöglichen, soll zudem der alte S-Bahnhof Siemensstadt sowie dessen Anbindung an den Berliner S-Bahn-Ring wiederbelebt werden. Hier müsste die Deutsche Bahn dem Konzern und Berlin entgegenkommen.
Unterstützung der Bundesregierung braucht Siemens auch bei der geplanten Ansiedlung von Forschungsinstituten. Hier gab es Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Auch das Kanzleramt wurde konsultiert.
Hat Siemens in Berlin etwas gutzumachen?
Senat und Siemens bemühen sich die teils heftigen Verstimmungen der Vergangenheit klein zu reden. Man sei auf beiden Seiten „professionell“ damit umgegangen, heißt es. Behindert worden sei das Großprojekt in Siemensstadt davon nicht. Natürlich haben alle noch gut in Erinnerung, dass die Ankündigung von Siemens-Chef Joe Kaeser, im Berliner Gasturbinen- und im Dynamowerk fast 900 Stellen streichen zu wollen, Ende 2017 selbst den Regierenden Bürgermeister und seine Wirtschaftssenatorin auf die Straße getrieben hatten. Inzwischen hat Siemens die Zahl der wegfallenden Stellen reduziert. Auch der Streit um den Ausbau der Haupstadtrepräsentanz im Magnus-Haus ist offenbar Vergangenheit. Der für Denkmalschutz zuständige Kultursenator Klaus Lederer hatte den Bau gestoppt – zum Ärger der Siemensspitze. Eine Art Wiedergutmachung gab es nun von Seiten des Senats. Siemens darf die mehr als 100 Jahre alten Industriebauten in Siemensstadt für den Campus nun entkernen, um darin moderne Innenarchitektur zu verwirklichen. Beim Denkmalschutz und Baurecht kamen Lederer und die Denkmalschutzbehörde dem Konzern weit entgegen.
Wie sieht es generell aus mit Investitionen in Berlin?
Es sieht mit den Investitionen gar nicht so schlecht aus. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 63 Ansiedlungen von Unternehmen in Berlin erreicht. Dahinter stehen 2206 neue Arbeitsplätze und ein Investitionsvolumen von 90 Millionen Euro, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Zu den prominenten Zuzügen zählt das börsennotierte Familienunternehmen Ströer, das von der Telekom T-online übernommen und sich in Mitte angesiedelt hat. Der Sportartikelhersteller Nike ist gerade dabei, seine Deutschlandzentrale von Frankfurt an die Spree zu verlegen. Und der Videospielkonzern Ubisoft hat in Berlin jüngst ein Entwicklungsstudio eröffnet. Auch in Sachen Google Campus haben die Wirtschaftsförderer noch nicht aufgegeben: „Wir sind überzeugt, dass Berlin der richtige Standort ist, um Antworten auf die Fragen von morgen zu formulieren – auch für Google“, heißt es bei Berlin Partner. „Deshalb stehen wir schon lange Zeit im Kontakt mit Google und wollen auch weiterhin mit Google zusammenarbeiten.“
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