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„Kick Google aus dem Kiez“ lautete das Motto einer Protestaktion, die im Juni in Kreuzberg mit Fußball-Zielschießen begleitet wurde.
© imago/snapshot/Krause

Nach Google-Absage an Kreuzberg: Die Macht der lauten Randgruppe in Berlin

Langsames Internet, schleppende Bürokratie und jetzt das Google-Aus: Start-ups sind enttäuscht – auch von Politikern, die sich von Minderheiten lenken lassen.

Eigentlich fühlt sich Jungunternehmer Kurosch Habibi mit seinem Start-up „Carl Finance“ in Berlin-Mitte extrem wohl. Die Stadt sei kreativ, jung, innovativ, die Lebensqualität sehr hoch. Eigentlich ideal. Wäre da nicht die Politik.

„Innovation findet in Berlin trotz und nicht wegen der Senatspolitik statt“, sagt Habibi, der für seine mittelständischen Kunden Unternehmensnachfolger vermittelt. Problematisch sei vor allem das langsame Internet. Manchmal falle es bei ihnen im Büro in der Linienstraße sogar komplett aus – mitten in der Hauptstadt Deutschlands. „Das ist echt eine Katastrophe“, sagt er. Auch die langwierige Bürokratie in der Verwaltung schade den Jungunternehmen oft. Dabei fordert er gar keine große Unterstützung seitens der Politik. „Ich wünsche mir einfach nur, dass man uns nicht aktiv behindert.“

"Digitalisierung ist kein Marketing-Gag"

In Kreuzberg passiere das aber immer häufiger, findet Kurosch Habibi, der auch Sprecher des Bundesverbands Deutsche Start-ups für den Bereich Finanztechnologie ist. Dass der Internetkonzern Google nach Bürgerprotesten im Kreuzberger Umspannwerk nun doch nicht seinen geplanten Campus eröffnet, verändere zwar nicht die komplette Lage für Start-ups, sei aber ein schlechtes Signal.

„Teilweise scheinen Politiker nicht verstanden zu haben, dass Digitalisierung kein Marketing-Gag ist, sondern Standortpflege“, sagt Habibi. Durch Start-ups würden Viertel aufgewertet und auch kleine Gewerbetreibende könnten durch Mehreinnahmen profitieren. Generell fühle er sich als Unternehmer von der Berliner Bevölkerung auch willkommen. Nur eine kleine, aber laute Randgruppe sei Start-up-feindlich. „In Kreuzberg haben Politiker von 30 Baustellenbesetzern auf alle Kreuzberger geschlossen“, sagt Habibi.

Aktivisten drohen mit weiteren Protesten

Die Besetzer, von denen er spricht, sind die Initiative „Google Campus & Co. stoppen“. Anfang September hatten sie das Umspannwerk kurzzeitig besetzt und immer wieder gegen das US-Unternehmen demonstriert. Nach dem Aus des Google-Campus hatte die Gruppe weitere Proteste gegen Start-ups, aber auch das Luxushotel Orania angekündigt. Notfalls auch mit Farbbeutelangriffen, Besetzungen und Entglasungen. Als „zivilen Ungehorsam“, hat ein Aktivist dies im Tagesspiegel bezeichnet.

Einer, der vertrieben werden soll, ist der Multimillionär Dietrich von Boetticher. „Ich fühle mich am Oranienplatz und seiner Umgebung vollkommen zu Hause“, sagt er. Vor Jahrzehnten zog er mit seinen Buch- und Zeitungsverlagen in die Oranienstraße, nur wenige Meter weiter eröffnete im vergangenen Jahr das Orania im ehemaligen Brenninkmeyer- Kaufhaus.

Ein Dutzend Angriffe mit Steinen und Farbe

Seither wurde das Hotel rund ein dutzend Mal Ziel von Farbbeutelanschlägen und Steinwürfen. Einschüchtern lässt sich Boetticher, der in München wohnt, nicht. „Weder ich noch das Orania benötigen Schutz“, sagt er. Er habe kein Problem damit, wenn Bürger ihre Meinung äußern. Dass er seine Unternehmen in Kreuzberg betreibt, bereut er jedenfalls nicht. „Ich würde mich jederzeit wieder am Oranienplatz ansiedeln“, sagt Boetticher.

Auch Thilo Grösch, Sprecher des Start-up "Coya", ist vom Bezirk begeistert. „Kreuzberg war immer eine Start-up- Hochburg“, sagt Grösch. Er selbst hat bereits in mehreren Start-ups gearbeitet – alle im Bezirk. Die Infrastruktur sei hier sehr gut, die meisten Mitarbeiter würden nicht weit entfernt wohnen. Wie Habibi kritisiert aber auch er langsames Internet und schleppende Bürokratie.

Mit Coya, das die Versicherungsbranche digitalisieren will, sitzt er bereits seit einem Jahr im Umspannwerk, in den auch der Google-Campus hätte einziehen sollen. „Bei uns hat niemand demonstriert“, sagt Grösch. Überhaupt habe er noch nie Ärger mit Anwohnern erlebt. „Die ganze Diskussion ist nur aufgekommen, weil der Name Google fiel“, ist er überzeugt. Dabei sei es wichtig, dass sich auch große Firmen wie Google wegen ihrer enormen Strahlkraft ansiedelten. Sein Fazit: „Die Start-up-Szene ist bunt, deshalb passt sie so gut zu Berlin. Diese Stimmung muss geschützt werden.“

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