Brückenkollaps und Stromausfall in Köpenick: Wie Berlins Senat die Randbezirke im Stich lässt
Erst die Vollsperrung der Allende-Brücke, nun 24 Stunden Stromausfall. Ein Zufall? Vielleicht. Und doch passt es ins Gesamtbild. Ein Kommentar.
Romano. Das ist Köpenicks coolster (und mutmaßlich einziger) Rapper mit Vertrag bei einem internationalen Major-Label. Der Mann, der stets mit adrett geflochtenen Zöpfen und Baseball-Jacke auftritt, wuchs tatsächlich hier auf und ist ein Lokalpatriot. Und zwar ein so stolzer und leidenschaftlicher Botschafter dieses südöstlichen Stadtteils, dass die S-Bahn-Berlin vor ein paar Monaten Reime aus seinem 2015er Debütalbum „Jenseits von Köpenick“ neben Schwarz-Weiß-Fotos mit historischen Alltagsszenen aus dem Stadtteil auf Plakate druckte - und diese großflächig auf dem Bahnhof Köpenick montierte. Bis heute verschandelt nicht ein Graffito Romano-Reime wie:
„Guck mal auf den Stadtplan, Berlin rechts unten
Nur'n kurzer Blick, schon hast du das Paradies gefunden
Ja genau, die grüne Insel
direkt am Rand
hier wollen alle her, komm mit ins Wunderland“
Ja, echt jetze: Köpenick, verwaltungstechnisch gemeinsam mit Treptow, ist der größte, grünste, wasserreichste Stadtbezirk. Hier gibt es Berlins höchsten „Berg“. Und den größten See. Der Bezirk beherbergt im Ortsteil Adlershof den höchsten Wissenschafts- und Technologiepark Deutschlands.
Es ist jede Menge los. Ein wirklich toller Ort. Und doch ist dieser Teil Berlins gefühlt so weit Weg von Mitte, dem Regierungsviertel und von all dem hippen Schnickschnack, den die Reporter der New York Times und Kollegen gern aus Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg und manchmal auch Schöneberg in alle Welt twittern.
Es ist eine völlig andere Welt. Ein anderes Berlin. Und die Bedürfnisse und Probleme seiner Bewohner scheinen zu oft kaum wahrgenommen zu werden im Roten Rathaus, im Reichstag - und wo sonst überall noch Entscheidungen für die Bewohner von hier fallen.
Vor weniger als vier Wochen musste über Nacht Köpenicks Salvador-Allende-Brücke voll gesperrt werden. Akute Einsturzgefahr. In vielleicht einem Jahr steht der Neubau. Bis dahin quälen sich nicht nur Autofahrer aus den südlichen Teilen dieses (wir erinnern uns) wasserreichsten Bezirkes über Umfahrungsstraßen über Dahme und Spree, teilweise quer durch die Altstadt. Und es ist ja nicht so, dass diese Strecken nicht vorher schon verstopft gewesen wären.
Am Dienstagnachmittag hat dann eine Baufirma bei einer „Horizontalbohrung“ gleich zwei Hochspannungsleitungen (110 Kilovolt) zerstört. Blackout. 31.000 Haushalte in Köpenick dürften nicht vor Mittwochnachmittag wieder angeschlossen sein. Auch zwei Heizkraftwerke wurden zeitweilig abgeklemmt. Mieter mit Fernwärmeheizung frieren.
Hat man kein Glück, kommt auch noch Pech dazu
Die meisten der vielen grundentspannten Köpenicker werden wohl sagen: Hat man kein Glück, kommt auch noch Pech dazu. Kann passieren. Dummer Zufall. Ist auch ein Abenteuer, irgendwie. Mal ein Tag lang Dritte-Welt-Feeling. Wia werden ooch dit hia überle’m! Aber irgendwie passt es auch ins Gesamtbild: Berlin, zumindest das Berlin, für das der Senat Politik machen will, ist schon wieder sehr weit weg.
Man denke an all die Verkehrskonzepte mit Lastenfahrrädern, „Begegnungszonen“ und Fahrradstreifen? Für wen sind die konzipiert? Wohl nur für Kreuzberger, die nach Mitte wollen. Doch das ganze Berlin ist gemessen an der Landfläche größer als New York City, hat aber weniger als halb so viele Einwohner. Soll heißen: Hier sind Wege weit! Nicht jeder kann und will täglich in die Innenstadt radeln.
Wo bleibt derweil die bereits zu DDR-Zeiten vorgeplante Schnellstraße, die Tangentialverbindung Ost (TVO), um auch die südöstliche Peripherie der Stadt gen Norden und ans Zentrum anzubinden? Wo bleibt der Regionalbahnanschluss Köpenick, für den sich der 2017 vom Bezirk in den Bundestag gewählte Gregor Gysi (Linke) stark machen wollte? Warum testet die landeseigene BVG ihren neuen Kleinbusfahrdienst „BerlKönig“ nur innerhalb des östlichen S-Bahn-Ringes und angrenzenden Vierteln?
Wo bleibt das Infrastrukturkonzept?
Und wo bleibt das schlüssige Infrastrukturkonzept für den Fall, dass der Köpenicker Fußball-Zweitligist FC Union tatsächlich in die Bundesliga aufsteigen? Letzteres scheint mit Blick auf den aktuelle Platz 2 in der aktuellen Tabelle nicht mehr unrealistisch. Union müsste das Stadion um mehr als 10.000 Plätze aufbocken, um auch die vielen Fans von München und Dortmund zu begrüßen. Jetzt schon erleidet der Stadtteil bei jedem Heimspiel von Eisern Union einen Verkehrsinfarkt. Wie soll es nur nach dem Aufstieg werden?
Vergangenes Jahr hatte der rot-rot-grüne Senat ein neues Tourismuskonzept vorgestellt. Die Idee dahinter: Einen Teil der vielen Millionen Berlin-Besucher zu motivieren, auch die Außenbezirke kennenzulernen. Gute Idee: Denn auch andere Rand-Stadtteile wie Spandau, Buch und Britz, Dahlem und Kladow sind eine Reise wert. Aber konkret passiert ist wenig. Schon an der Kommunikation des Senats wurde jedem klar, dass es eigentlich nur darum geht, die innenstadtnahen Bezirke mit starker Grün-Wähler-Klientel von dem Rollkoffer-auf-Kopfsteinpflaster-Lärm der Easyjet-Touristen zu entlasten.
Köpenicks Rapper und Lokalpatriot Romano singt dazu in seiner ersten Single des Debütalbums von 2015:
„Ich war in Wannsee, in Wedding, in Tempelhof und Marzahn
Selbst durch Mitte bin ich schon mal durchgefahr'n
Nette Orte, interessante Leute
aber weißt du was?
Wir haben die schärfsten Bräute!
Wie ein Magnet zieht es mich zurück
Der Leierkasten spielt verrückt,
komm mit mir nach Köpenick“
Berlin wird oft wirtschafts- und strukturpolitisch als Einheit begriffen, gerade angesichts der aktuellen Wohnungsnot-Debatte als ein homogener Stadtraum, der schon so überdicht bevölkert ist, dass sich so viele Großstädter genötigt sehen, in die Brandenburger Randgemeinden zu ziehen. Dieser Eindruck lässt sich statistisch gut belegen. Aber nicht die Motive der Leute, die ins Umland ziehen. Deren Migrationsbewegung kann auch andere Gründe haben. Vielleicht, dass sie sich in Brandenburgs Gemeinden wie Schöneiche und Erkner besser angebunden, besser verwaltet und regiert fühlen als im angrenzenden Berliner Bezirk Treptow-Köpenick.
Hier, wie auch in anderen Rand-Stadtteilen Berlins, fühlen sich Bürger abgehängt - nicht allein durch marode Brücken oder zwei zerstörte Starkstromleitungen, die man ja reparieren kann. Und auch noch nicht in dem Sinne abgehängt wie offenbar Menschen in Oberlausitz oder Eisenhüttenstadt, wo noch kräftiger AfD gewählt wird. Aber abgehängt und nicht-beachtet, wie man es für einen Bezirk in der dynamischen Weltstadt Berlin nicht für möglich halten sollte.
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