Europawahl: Wie Berliner AfD-Politiker die EU zerschlagen wollen
Eigentlich will die AfD die Europäische Union abschaffen. Dennoch kämpfen viele Parteipolitiker um einen Posten in Brüssel.
Es kommt selten vor, dass sich alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses einig sind, am Donnerstag aber war genau das der Fall. Während der Aktuellen Stunde zu 70 Jahren Grundgesetz und Europa hoben alle Redner den Wert der Europäischen Union als Garant für Frieden und Freiheit hervor – alle bis auf einen. AfD-Landes- und Fraktionschef Georg Pazderski erwähnte die EU in seiner knapp zehn minütigen Rede ein einziges Mal – und kritisiert sie. Die übrige Zeit verwandte Pazderski darauf, die AfD als „Grundgesetzpartei“ und die politische Konkurrenz als Gefährdung für die im Grundgesetz verbrieften Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu bezeichnen – unter lautem Protest vieler Abgeordneter.
"Dexit" und Nationalstaat
Warum das an dieser Stelle Erwähnung findet? Weil es viel aussagt über die europapolitische Agenda einer Partei, die die EU am liebsten „zerschlagen“ würde. Zu diesem Ziel hatte sich Nicolaus Fest, an Position sechs der AfD-Bundesliste für die Europawahl platzierter Spitzenkandidat des Berliner Landesverbands, während seiner Rede auf dem ersten von zwei EU-Nominierungsparteitagen der AfD bekannt.
Das Pikante daran: Fest weiß sich mit dieser Formulierung auf einer Linie mit dem Europawahlprogramm seiner Partei. Darin wird unter anderem gefordert, das „undemokratische" EU-Parlament – von Fest als „Girlandenparlament“ bezeichnet – abzuschaffen. Die Rechtsetzungskompetenz gehöre ausschließlich den Nationalstaaten, heißt es da.
Wenige Zeilen darüber hatten die Parteimitglieder die Forderung nach einem Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der EU – dem sogenannten Dexit – in das Programm aufgenommen. Einzig der ursprünglich im Leitantrag dafür vorgesehene Zeitraum von fünf Jahren oder einer Legislaturperiode war durch die Formulierung „in angemessener Zeit“ ersetzt worden.
Interesse an Posten in Brüssel
Weitere Punkte des AfD-Wahlprogramms: Die Rückkehr zu nationalen Währungen, die Ablehnung einer europäischen Armee, Grenzkontrollen auch innerhalb der EU. Kristallisationspunkt all dieser Forderungen ist die Parole „Europa der Vaterländer“ – mit der im Übrigen auch der EU-Abgeordnete der rechtsextremen NPD, Udo Voigt, um seinen Wiedereinzug in das EU-Parlament kämpft.
Egal ob Dexit, Abschaffung des EU-Parlaments oder Zerschlagung der EU, den Widerspruch zwischen diesen Forderungen und dem zähen Ringen innerhalb der AfD um die begehrten Posten in Brüssel vermag auch Fest nicht zu entkräften. In kleiner Runde hatte das ehemalige Mitglied der Chefredaktion der „Bild am Sonntag“ eingeräumt, die Position, in ein Parlament gewählt werden zu wollen, das man selbst abschaffen will, sei „etwas seltsam“. Anders als die Mitglieder der AfD-Abgeordnetenhausfraktion posierte Fest wiederum nicht hinter einem Banner mit der Aufschrift „Freiheit statt Brüssel“ – auch wenn er sich dort für die Meinungsfreiheit engagieren will.
Ergebnis könnte hinter Schwesterparteien bleiben
Thorsten Weiß, dagegen, zweitplatzierter Berliner Europawahlkandidat, stand in der ersten Reihe und verteidigte sein Vorgehen später mit dem Argument, Europa von innen heraus verändern zu wollen. Weiß landete auf Platz 14 der AfD-Bundesliste und muss aufgrund der aktuellen Umfragewerte und der möglichen Folgen des „Ibiza-Skandals“ um den ehemaligen FPÖ-Chef und österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache um den Einzug in das EU-Parlament bangen.
Spannend wird sein, inwiefern die AfD zu den europaweit prognostizierten Stimmzuwächsen für nationalistisch-konservative Parteien beitragen kann. Umfragen sahen die Partei zuletzt bundesweit bei zwölf, in Berlin bei zehn Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: 2014 entfielen 7,9 Prozent der Stimmen auf die AfD, bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 waren es knapp über 14 Prozent der Stimmen. Im Vergleich zu den Schwesterparteien in Frankreich, Italien oder Polen und Ungarn erwartet die AfD ein eher bescheidenes Ergebnis.