Standortagentur Berlin Partner: Werben um die „volltätowierte texanische Ingenieurin“
Der Berliner Senat will die die Stadt als „Ort der Freiheit“ weltweit vermarkten. Seine Förderagentur Berlin Partner setzt die Strategie kreativ um.
Stefan Franzke hat von Berufs wegen einen Riecher für die Freiheit: Der Geschäftsführer der (weitgehend) landeseigenen Berliner Standortförderagentur „Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie“ hatte im vergangenen Sommer in den Nachrichten gelesen, dass der legendäre Motorradhersteller Harley-Davidson aus dem US-Bundesstaat Wisconsin wegen Donald Trumps Zollstreit prüft, erstmals ein Montagewerk im Ausland aufzubauen. Trump schäumte. Franzke schicke hingegen einen Brief an Harley-Chef Matthew Levatich in dessen Zentrale nach Milwaukee und bot ihm jede erdenkliche Hilfe an, sollte sein Unternehmen mit dem Werbeslogan „All For Freedom. Freedom for all“ (Alles für die Freiheit, Freiheit für alle) in der Stadt der Freiheit - also in Berlin - ein Werk aufbauen, um hier eine „Freedom Machine“ zu montieren.
Bisher Harley noch nicht nach Berlin gekommen, aber einen Versuch war es sicher wert. Und es wird nicht Franzkes letzter sein. Berlins oberster Standortwerber und sein Team vermarkten Berlin konsequent als Freiheitsort. Dafür erhalten sie nun auch Geld. Wie berichtet, wird der Senat am Dienstag unter anderem über die „Wirtschaftsfreiheit“ beraten und eine halbe Millionen Euro für entsprechende Projekte, darunter einigen bei Berlin Partner, freigeben. Insgesamt fließen - auch über die Etats der Ressorts Wissenschaft und Kultur - in diesem Jahr 2,5 Millionen Euro für die Förderung der Freiheit.
"Willkommen in Berlin - so lange Ihr eine Hose anhabt"
So soll die Agentur laut Senatsvorlage zum Beispiel eine „Beratungs- und Betreuungsinfrastruktur“ ausbauen, um interessierte Fachkräfte und Unternehmen künftig nicht nur persönlich im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus zu beraten, sondern auch im Ausland – zum Beispiel über den Bildtelefondienst Skype. Zudem erhalten die Berlin Partner Geld für „zielgruppenspezifisches Standortmarketing“. Es solle deutlich werden, dass Berlin „aller Branchen und Disziplinen einen Freiraum anbietet, um Wissens- und Wirtschaftsprojekte an einem sicheren Ort entwickeln zu können“, wie es im offiziellen Bericht der Senatswirtschaftsverwaltung heißt.
„Mit dieser Kampagne rücken wir Menschen – Wissenschaftler, Unternehmer, Kreative – in unseren Fokus, die in ihren Heimatländern nicht so leben können, wie sie es gerne möchten, sei es wegen ihres Aussehens, ihrer Religion oder ihrem Atheismus, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Meinung“, sagt Berlin-Partner-Sprecher Lukas Breitenbach. Und noch konkreter: „Salopp gesagt: Unsere Kampagne richtig sich an den schwulen, türkischen Regisseur oder die von Kopf bis Fuß tätowierte texanische Ingenieurin.“
Ihnen wolle man vermitteln: „In Berlin interessiert es niemanden, wie ihr ausseht oder wen ihr liebt, solange ihr auf dem Weg zur Arbeit wenigstens eine Hose anhabt", meint Breitenbach. Aber selbst da sei man tolerant: Am sogenannten "No-Pants-Day" und zum "No-Pants-Subway-Ride", bei der Teilnehmer - wie dieser Tage in Berlin - tatsächlich keine Hosen tragen, sei selbst das kein Problem. "Dit is halt Berlin, die Stadt der Freiheit. Und die Stadt der Wirtschaftsfreiheit. Kurz: Zielgruppe sind also Menschen, nicht Länder“, fügt Breitenbach hinzu.
Berlins Talent-Portale erreichen US-Amerikaner
Berlin Partner fangen natürlich nicht bei Null an. So pflegen zwei Mitarbeiter die im September 2016 vor dem Hintergrund des Brexit-Referendums eingerichtete Internetseite reason-why.berlin (Warum Berlin), um internationale Talente und Firmen mit Interesse an Berlin als Wirtschaftsstandort mit ersten Infos zu versorgen. Die Seite wurde im vergangenen Jahr von durchschnittlich rund 2500 Besuchern im Monat besucht, heißt es. Die meisten Zugriffe außerhalb von Deutschland kamen in absteigender Reihenfolge aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Spanien.
Noch älter - und etablierter - ist die Mitte 2014 gestartete Portal Talent Berlin, eine zentrale Webseite auf der Talente recherchieren können, welche Jobs es in Berlin gibt und wie sie die nötigsten Informationen rund um Arbeit und Wohnen finden. 2018 besuchten nach Auskunft der Partner monatlich im Schnitt 7550 Besucher dieses Portal, auf das auch viele Berliner Unternehmen ihre zugezogenen Mitarbeiter verweisen. Die meisten ausländischen Zugriffe kamen zuletzt aus den USA, Indien, Brasilien und Großbritannien. Die Seite wird intern von einer Person betreut, extern ist die Ideenmanufaktur ausführender Dienstleister.
Der Senat fördert im Rahmen seiner „Freiheits“-Offensive in diesem Jahr auch die Weiterentwicklung der „Welcome App“, die bisher nur als Beta-Version zu sehen ist (hier). Neu-Berlinerinnen und Berlin können sich damit einen individuellen Laufzettel für den Gang durch den Behördendschungel generieren lassen.
Klar wird dabei: Es geht nicht nur um Freiheit als universellen Wert, sondern auch um den Kampf um die Talente, den Kampf gegen den Fachkräftemangel. „Mit unseren Talent-Services unterstützen wir Unternehmen im Rahmen ihres Investitionsprojektes bei der Suche nach Fachpersonal sowie bei Training, Qualifizierung und Aufenthaltsfragen“, bestätigt Berlin-Partner-Sprecher Breitenbach. Die Unternehmen erhielten eine kostenfreie individuelle Betreuung und Unterstützung aus einer Hand. Mit dem Serviceprojekt „Wirtschaftsfreiheit Berlin - Integration von zuziehenden Talenten, Gründerinnen und Gründer und Unternehmerinnen und Unternehmer“ setzte Berlin Partner, „aus gutem Grund, im Talent-Bereich noch mal einen besonderen Schwerpunkt“, sagt er.
Lesen Sie hier ein Interview mit Berlin-Partner-Chef Stefan Franzke.
Einen guten Überblick für alle Neu-Berlinerinnen und Berliner bietet auch das Tagesspiegel-Magazin "Berlin 2019". Darin finden sie unter anderem Porträts aller zwölf Bezirke, was die Suche nach dem individuell passenden Kietz enorm erleichtern kann.
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