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Im Mai 2018 haben Streetart-Künstler vor dem Berliner Hauptbahnhof den Schriftzug "#FreiheitBerlin" gestaltet. Das 23Meter lange und 2,30 Meter hohe (temporäre) Kunstwerk ist Teil einer Kampagne des Landes Berlin. Es wurde im Juni wieder abgebaut.
© Soeren Stache/dpa

2,5-Millionen-Programm: Wie Rot-Rot-Grün Freiheit in der Welt fördern will

Berlins Senat will „Freiheit“ weltweit fördern – mit Workshops für Blogger und einem Wettbewerb für Start-ups von Geflüchteten zum Beispiel. Die CDU übt Kritik.

Die Bewohner dieser Stadt dürfen bekanntermaßen (fast) jede sexuelle Freiheit ausleben. In Berlin kann nicht nur der Tagesspiegel frei im „Queerspiegel“ über Trends, Themen und Probleme der LGBT-Community informieren. Im fernen Kongo aber, oder auch in Brasilien, wo der neue Präsident Jair Bolsonaro („Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde“) regiert, fürchten Journalisten um ihr Leben, sobald sie aus dieser Szene berichten.

In dem im Dezember 2016 geschlossenen Koalitionsvertrag (Download hier) hatten sich SPD, Grüne und Linke schriftlich auf ein „vielfältiges Engagement gegen demokratie- und freiheitsbedrohende Aktivitäten, gegen autoritäres Denken und verklärenden Geschichtsrevisionismus“ verständigt. Im vergangenen Jahr stellten die drei Partner erste konkrete Maßnahmen vor, um die „Freiheit“, nicht nur die im Journalismus, finanziell und ideell zu fördern.

In diesem Sinne erhielten im Dezember zum Beispiel Geflüchtete, die in Berlin ein Start-up gegründet haben, aber mit ihrem Geschäft noch ganz am Anfang stehen, Unterstützung – über einem eigenen Wettbewerb samt Preisgeld. Auch Wissenschaftler oder Künstler, die sich in der Türkei oder in Ungarn mit ihren autoritären Regierungen angelegt haben, erhielten in Berlin erste Stipendien.

Wissenschaftssenator Müller finanziert Stipendien

Am Dienstag wollen drei Senatsverwaltungen das Abgeordnetenhauses über ihre 2018 erstmals aufgesetzten Programme zur „Förderung von Wissenschaftsfreiheit, Wirtschaftsfreiheit und kultureller Freiheit“ informieren und Finanzierungspläne für die Fördermittel 2019 vorlegen. „Berlin atmet wie keine andere europäische Stadt den Geist der Freiheit und der Toleranz“, erklärt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Berliner seien resolut in ihrer Meinung – „aber sie sind ebenso resolut darin, die Freiheiten der anderen und die Vielfalt der Stadt zu verteidigen“, glaubt sie.

In diesem Sinne verteilen die Bürgermeister aller drei Koalitionsparteien Geld an diverse Projektpartner. Der Regierende Michael Müller (SPD), der ja zugleich Wissenschaftssenator ist, will auch 2019 wieder 1,5 Millionen Euro ausschütten. Die Mittel gehen an die Einstein Stiftung Berlin, die ein Programm mit zwei Förderlinien hat - eine für Gast-Professuren für erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine für Fellowships für solche, die sich eher am Anfang ihrer Karriere befinden.

Unterstützt werden Wissenschaftler, die aus Regionen kommen, „in denen sie in der Freiheit von Forschung und Lehre eingeschränkt sind“, wie es heißt. Die bisher 27 Geförderten seien mehrheitlich weiblich und kämen überwiegend aus dem Iran, Syrien und der Türkei. Sie erhielten die Möglichkeit, für bis zu zwei Jahre in Berlin wissenschaftlich tätig zu sein.

"Bei der Formulierung des Förderprogramms haben wir und die Einstein Stiftung ganz bewusst viel Wert darauf gelegt, die Erfahrungen ähnlicher Initiativen einzubeziehen", sagt der Sprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung. Durch die Kooperation mit Universitäten und Vernetzung mit anderen Stiftungen würden die Geförderten auch dabei unterstützt, eine längerfristige Perspektiven in Berlin oder an anderen Wissenschaftsstandorten zu finden, falls eine Rückkehr in ihr Land nicht möglich ist.

Wirtschaftssenatorin Pop gibt Geld für ein Journalistenprogramm

Bürgermeisterin Ramona Pop verteilt als Wirtschaftssenatorin für 2019 eine halbe Million Euro. Ein Teil davon geht an die mehrheitlich landeseigene Standortförderagentur Berlin Partner, die damit die Integration von „zuziehenden Talenten“, also Gründern und Unternehmern unterstützen will. Konkret wird von einem Teil des Geldes zum Beispiel eine Stelle bei der Ausländerbehörde finanziert. Die Person soll potentielle Firmengründer beraten – auch auf Englisch.

Das ist bisher nicht selbstverständlich. Auch finanziert Berlin Partner einen Teil seiner Marketingaktionen im Ausland, zum Beispiel die Kampagnen „#FreiheitBerlin“, in denen Berlin weltweit als sicherer Hafen für Querdenker aller Geschlechter vermarktet werden soll.

Geld gibt es auch für ein Programm für Journalisten „im digitalen Raum“, also auch für Blogger und sogenannte Bürgerjournalisten, die in ihren Heimatländern Bedrohungen ausgesetzt sind. Vier Personen erhalten so 1000 Euro Taschengeld im Monat, zudem Flüge nach und von Berlin, für drei Monate eine Wohnung und Workshops des Vereins „Reporter ohne Grenzen“ in denen die Journalisten unter anderem lernen, wie sie ihre digitale Sicherheit verbessern, um sich vor Verfolgung staatlicher Stellen in ihrer Heimat zu schützen.

Teilnehmer beim der Verleihung des "Newcomer Award 2018", bei dem im Dezember 2018 geflüchtete Unternehmer ausgezeichnet worden sind. Der Wettbewerb soll 2019 wiederholt werden.
Teilnehmer beim der Verleihung des "Newcomer Award 2018", bei dem im Dezember 2018 geflüchtete Unternehmer ausgezeichnet worden sind. Der Wettbewerb soll 2019 wiederholt werden.
© Singa gUG (Promo)

Einige der Geförderten wollen und müssen anonym bleiben. In jedem Fall ist dieses Journalistenprogramm extrem begehrt: Auf die nur vier Stellen gab es in der jüngsten Auswahlrunde rund 600 Bewerbungen aus aller Welt. Das gemeinnützige Unternehmen Singa, das sich 2015 auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingswelle formiert hatte und ein Labor betreibt, in dem Geflüchtete gemeinsam mit Einheimischen ihre Geschäftsmodelle entwickeln können, erhält Geld für den „Berlin Newcomer Startup Award“. Im Dezember 2018 erhielten die ersten Gewürdigten Preisgelder in Höhe von bis zu 20.000 Euro.

Kultursenator Lederer finanziert Fellowship-Programm

Die Verwaltung von Kultur- und Europasenator Klaus Lederer (Linke) will in diesem Jahr ebenfalls 500.000 Euro ausschütten. Das Geld soll „professionelle Kunst-, Medien- und Kulturschaffende, die ihre bisherigen Aufenthaltsländer verlassen müssen oder wollen, dabei unterstützen, eine berufliche Perspektive in der Kunst- und Kulturszene Berlins zu finden“, wie die Sprecherin der Kulturverwaltung sagt. Unter anderem wird mit dem Geld das maximal einjährige Fellowship-Programm „Weltoffenes Berlin“ finanziert. Das soll 18 Personen eine eigenständige künstlerische beziehungsweise kreative Tätigkeit ermöglichen.

So verteilen Senatsverwaltungen in der Summe 2,5 Millionen Euro im Jahr für die „Freiheit“: kein Riesenposten im Etat. Gleichwohl gibt auch Kritik an dem Programm: „Ich frage mich, ob bei all den Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit die dieser Senat gerade in Berlin vornimmt und damit den Ruf als attraktiven Wirtschaftsstandort gefährdet, ein solches Programm nicht völlig sinnfrei ist“, sagt zum Beispiel Christian Gräff, wirtschafts- und baupolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus. „Vielleicht sollte mit dem Geld lieber eine Rechtsberatung gegen Enteignung von Unternehmen bei Berlin Partner eingeführt werden“, spielt er auf die jüngste Debatte um den Rückkauf von Wohnungen an.

Wirtschaftssenatorin Pop rechtfertigt das Programm. „Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Vielfalt, Geschäftserfolg und Innovation.“ Berlin sei offen für Talente aus aller Welt. Ausgrenzung und Hass hätten in dieser Stadt der Freiheit keinen Platz. „Deshalb helfen wir Menschen dabei, ihre innovativen Ideen hier in Berlin in die Tat umzusetzen. Das kommt allen zugute.“

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Einstein-Stiftung würde Fördergeld an zwei andere Stiftungen weiterreichen. Das ist nicht korrekt. Die Stiftung finanziert damit zwei unterschiedliche Programme im eigenen Haus.

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