Macht Feinstaub wirklich krank?: "Wer im Auto sitzt, atmet das Zeug auch ein"
Wie groß ist die Gefahr durch Feinstaub? Er erhöht das Herzinfarkt-Risiko, warnt der Toxikologe Lohse in Interview. Eine Flucht aufs Land sei aber keine Lösung.
Der Humanmediziner Martin Lohse ist ein Spezialist für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Als Toxikologe erforscht er auch die Gefährlichkeit von Umweltgiften. Lohse ist Vizepräsident der Leopoldina und leitet das Max-Delbrück-Centrum Berlin.
Herr Lohse, fahren Sie Fahrrad?
Ja. Seitdem ich am Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch forsche aber nicht mehr so viel. Die Wege sind zu weit.
Können Sie als Arzt den Berlinern guten Gewissens empfehlen, zwischen den Autokolonnen zu radeln?
Dazu gibt es Untersuchungen, und die gute Nachricht ist: Radeln ist trotzdem gesünder, als Auto zu fahren – und zwar auch dann noch, wenn Unfälle eingerechnet werden. Wer im Auto sitzt, atmet das Zeug auch ein. Gegen Feinstaub helfen nicht mal die besten Filter. Und der Radler bewegt sich wenigstens.
Einige tragen Staubmasken. Sollte man?
Nein, der Feinstaub dringt durch diese Filter hindurch. Er ist eben fein. Der bleibt nur in aufwendiger Filtertechnik hängen.
Bisher war Feinstaub in Umweltdebatten nicht so gegenwärtig wie Stickoxide. Weil man Staub nicht sehen kann?
Kann man schon. Die Dunstglocke, die man vom Berg aus über der Stadt München hängen sieht, das ist Feinstaub. Wenn dagegen Regen die Partikel aus der Luft gewaschen hat und dazu der Wind sie wegpustet, ist die Luft wieder rein.
Macht uns der Staub krank oder ist der Zusammenhang nicht belegt?
Auf jeden Fall kann Feinstaub Herz-Kreislauf-Krankheiten verursachen. Das ist Konsens und ergibt sich aus der großen Mehrheit der Studien. Feinstaub erhöht das Risiko von Herzinfarkt, Schlaganfall und belastet die Blutgefäße. Feinstaub kann Lungenkrebs auslösen.
Sind die Geschichten wahr, wonach sich die Lungen von Kindern in der Stadt wegen des Feinstaubs nicht richtig ausbilden und dass es mehr Fälle von Demenz gibt, weil der Feinstaub ins Gehirn eindringt?
Nach Ansicht von Epidemiologen gibt es da Zusammenhänge. Aber wir wissen noch nicht, ob der Feinstaub wirklich die Ursache ist. Denn wo viel Feinstaub ist, haben die Menschen oft außerdem einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status. Es gibt mehr Lärm, sie bewegen sich weniger, ernähren sich schlechter. Jeder dieser Faktoren birgt für sich genommen ein Risiko für die Gesundheit.
Eine echte kausale Beziehung zwischen manchen Krankheiten und Feinstaub zu beweisen, wäre sehr aufwendig. Dazu müsste man 10.000 Menschen ein Jahr lang in einen Raum sperren, gleichmäßig mit Staub bepusten und den Krankheitsverlauf abbilden. Und 10 000 weitere müsste man in einen gleichen Raum sperren – ohne Staub. Klar ist aber: Möglichst viel von der Belastung muss weg. Deshalb brauchen wir eine Verkehrswende.
Was sind das überhaupt für Partikel und was wird aus ihnen?
In unseren Körper dringen sehr viele Kleinstpartikel ein, deren Weg wir nicht verfolgen können. Das meiste geht höchstwahrscheinlich wieder raus. In manchen Berufen, etwa bei Bergarbeitern, kannte man früher das Krankheitsbild der Staublunge. Das ist seltener geworden, dank des Arbeitsschutzes.
Aber wir wissen noch wenig über den ultrafeinen Staub, der durch die Lungenbläschen ins Blut gelangt und sich im Körper verteilt. Wir wissen nicht, ob es einen Unterschied macht, ob die Staubteilchen organisch, metallisch oder aus Plastik sind.
Also messen wir das Falsche?
Jedenfalls unterscheiden wir bisher beim Feinstaub nur nach Größe. Viele Forscher nehmen an, dass Feinstaub hauptsächlich deshalb schädlich ist, weil der Körper mit bestimmten Arten von Partikeln nichts anfangen kann. Die Abwehrzellen fressen die Fremdkörper zwar, spucken sie aber wieder aus, weil sie sie nicht verdauen können. Dann entsteht eine Entzündung, die sich etwa in Herz-Kreislauf-Krankheiten manifestieren kann.
Sie schreiben auch, dass nicht mal mehr die Abgase der Autos die wichtigste Quelle von Feinstaub sind, sondern ...
... der Abrieb von Reifen und von Bremsen verteilt mehr Feinstaub in der Luft als der Auspuff. Pellet-Öfen, die vor Jahren noch als ökologisch gepriesen wurden, emittieren viel Feinstaub. In guten Wohnlagen ist die Luft abends oft schlecht, weil die Menschen am Kaminofen sitzen, Holz verbrennen und so Feinstaub produzieren.
Aufs Land ziehen ist auch keine Rettung?
Da gibt es sekundären Feinstaub, der sich aus Gasen bildet. Stickstoffdioxid verbindet sich mit Ammoniak, das zu über neunzig Prozent aus der Landwirtschaft kommt, aus Ställen und von der Gülle. Dieser Feinstaub entsteht bei der Zersetzung abgestorbener Pflanzen und tierischer Exkremente.
Sollte der Gesetzgeber mit Verboten eingreifen oder mit Geboten?
Pellet-Öfen sollten nur noch mit Filter verkauft werden. In Ställen könnte das Ammoniak herausgefiltert werden. Das könnte man vorschreiben und durch eine Umweltabgabe auf die Milch kompensieren, die Bauern zugutekommt. Die Kontrolle der Emissionen ist besser als die Festlegung eines weiteren Grenzwertes.
Wir sind aber auf dem richtigen Weg, oder?
Ja, wir haben bei der Reinhaltung der Luft viel Gutes erreicht. Vor allem die Belastung durch Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Benzol und Blei ist stark zurückgegangen. Auch jene durch Stickstoffdioxid ist drastisch gesunken – das ist am stärksten reguliert, obwohl es relativ wenig macht. Dagegen haben wir keine Grenzwerte für CO2 und nur sehr lockere für den Feinstaub.
Die gute Nachricht ist, gemessen an den ganz frühen Daten aus den 1970er Jahren im Ruhrgebiet und um 1990 aus Bitterfeld, der Industriehochburg der DDR, sank die Belastung um den Faktor 10. Und einen guten Hinweis, dass noch mehr zu schaffen ist, gibt uns der Vergleich mit den USA. Dort ist die Belastung niedriger als in Europa, auch in dicht besiedelten Wirtschaftsregionen. Die haben schon früh mit dem Einbau von Filtertechnologie begonnen.
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