Erstklässler in Berlin: Wenn nicht einmal der Grundschulplatz in der Nähe sicher ist
Berlin kann nicht mehr allen Erstklässlern einen Schulplatz im Einzugsgebiet bieten. Die vom Senat als "kinderfreundlich" titulierte Stadt tut weiterhin alles, um Kredit bei den Eltern zu verspielen. Ein Kommentar.
Es gibt nur wenige Gewissheiten im Leben eines Berliner Schulkindes. Zu diesen wenigen Gewissheiten zählte bislang zwar nicht der Anspruch auf eine gute, aber immerhin auf eine gut erreichbare Grundschule.
Mit dieser Gewissheit ist es nun vorbei: Sechs von zwölf Berliner Bezirken können nicht mehr allen ihren Erstklässlern einen Platz an der Schule im Einzugsgebiet bieten. Noch schlechter fällt die Bilanz bei den Geschwisterkindern aus, die erst recht das Nachsehen haben: Vom Sommer an dürfte es Hunderte Berliner Familien geben, die morgens ihre Kinder zu unterschiedlichen Grundschulen bringen müssen, weil Senat und Bezirke zu knapp kalkuliert haben.
20 Jahre lang wurde gespart. Jetzt hat man das Ergebnis
Der schlechte Start der Erstklässler passt ins Bild, fast möchte man sagen: Er war überfällig. Nachdem 20 Jahre lang an den Schulgebäuden gespart worden ist und selbst für die Sanierung defekter Dächer das Geld fehlte, nachdem jede Besenkammer zum Schulraum umfunktioniert wurde, um noch irgendwie alle Kinder unterzubringen, war es eine Frage der Zeit, bis auch das nicht mehr klappen würde. Im Jahr 2017 ist es nun soweit.
Die Behörden werden einwenden, dass Elternwünsche, Flüchtlingsströme und sonstige Zuzüge schwer vorauszusehen sind, und dass es doch sowieso Tausende Familien gibt, die auf die Schule vor Ort gar keinen Wert legen, weil sie Sonderwünsche haben. Da haben sie Recht.
Der Senat verspielt den Kredit
Aber es ist nun einmal die Aufgabe des Staates, Vorsorge zu treffen. Dieser Aufgabe ist nicht damit Genüge getan, dass Erstklässler von Schule A nach Schule B verschoben werden, weil die zufällig noch Platz hat. Auch nicht damit, dass Erstklässler mit 27 weiteren Kindern zusammengepfercht werden. Und auch nicht damit, dass schrottreife Behelfsbauten aus den achtziger Jahren noch weitere fünf Jahre den Schülern als Obdach dienen sollen.
Das vom Senat gern als „kinderfreundlich“ titulierte Berlin tut weiterhin alles, um den Kredit bei den Eltern zu verspielen – und zwar ausgerechnet bei jener Hälfte, die sich auf die öffentliche Schule vor ihrer Tür verlassen hat: Die andere Hälfte ist längst zu den freien Trägern gewechselt oder sucht sich eine andere staatliche Schule, die besser zu den eigenen Erwartungen an die Fremdsprachenangebote oder an die soziale Mischung passt. Wenn sich jetzt herumspricht, dass auch der Platz an der offiziell „zuständigen“ Schule nicht mehr garantiert ist, könnten noch mehr Eltern auf die Idee kommen, ihr Glück auf eigene Faust zu suchen. Die Verteilung der Schulplätze wird dann noch weniger planbar.
Das Grundgesetz umreißt die staatliche Verantwortung
Demnächst will das Wissenschaftszentrum Berlin eine neue Studie vorlegen, bei der es um die soziale Entmischung der Schulen geht. Diesmal sollen die freien Schulen im Fokus stehen und die Höhe ihrer Elternbeiträge, die dazu führen, dass nicht alle Familien zu allen Schulen Zugang haben. Und es wird um Artikel 7, Absatz 4 des Grundgesetzes gehen, wonach Privatschulen nur genehmigt werden sollen, wenn dadurch die Trennung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.
Vielleicht sollte man erstmal drei Schritte zurück gehen und Absatz 1 befragen. Er lautet: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Wenn das erfolgreich umgesetzt würde, wäre Absatz 4 weniger wichtig, und die staatlichen Schulen wären nicht nur gut erreichbar, sondern auch gut.