65 Jahre Luftbrücke: Weltgeschichte mit Happy End
Ab dem 26. Juni 1948 versorgten britische und amerikanische Piloten die Bewohner West-Berlins. Kurz zuvor hatten die sowjetischen Besatzer alle Wege blockiert.
Mit Rosinen-Drohnen wäre das so nicht passiert. Bei den knapp 280 000 Flügen der Berliner Luftbrücke, die heute vor 65 Jahren begann, verunglückten 39 Briten, 31 Amerikaner und 13 Deutsche tödlich. Namen und Dienstgrade der verstorbenen Soldaten stehen auf einem Metallband am Fuß des 1951 errichteten Denkmals von Eduard Ludwig, das der Berliner Hungerharke nennt. Die Krallen des himmelwärts greifenden Betonbogens, der bei Regen von Feuchtgebieten eingedunkelt wird, bezeichnen jene drei 32 Kilometer breiten Luftkorridore, über die eine Versorgung Westberlins mehr als 14 Monate lang stattfinden konnte: One-Way-Flugbahnen – Hinflug via Hamburg oder Frankfurt, Rückflug über Hannover. Nur so waren die Landungen im Drei-Minuten-Takt durchzuführen.
Das Monument zur Erinnerung an diesen logistischen und humanitären Kraftakt zweier Siegernationen befindet sich, gerahmt von ausladend hohen Kiefern, vor dem Tempelhofer Flughafengebäude: verborgen in einer überraschend gepflegten, saftig grünen Parkanlage. Über zwei Scheinwerfern, die für nächtliche Illumination im Schmuckbeet eingelassen wurden, wölben sich dicke Schutzgitter. Das Ensemble scheint auf Zukunft und solide installiert, doch sein Thema verblasst derzeit im Geschichtenwettstreit des kollektiven Gedächtnisses. Der pathetische Widmungstext auf dem Metallband lautet: „Sie gaben ihr Leben für die Freiheit Berlins im Dienste der Luftbrücke.“
Nach der Wende ist in dieser Stadt von genervten Westdeutschen, denen beim Realkontakt mit Frontstadt-Veteranen deren Insel-Scheuklappen auffielen, das Etikett vom „Luftbrücken-Berlin“ geprägt worden. Als Luftbrücken-Retros gelten manchen Neu-Berlinern heute noch jene Gestrigen, die das Am-Tropf-Hängen verinnerlicht haben und ihrem Abenteuerspielplatz im Mauerschatten nachtrauern. Aber auch ehemaligen Ostberlinern ist die Blockade-Ballade aus der frühen Zeit des Kalten Krieges nicht sehr positiv vertraut.
Die große Solidaritätsgeschichte vom bereitwillig ertragenen pausenlosen Flugverkehr und vom nebenher realisierten Bau eines Flughafens Tegel in 90 Tagen spielt außerdem, soweit man den Plot mit aktuellen lokalpolitischen Problemen vergleichen möchte, in einer fern entrückten Zeit. Mehl, Trockenkartoffeln, Getreide, Trockenmilch waren damals nach Berlin geflogen worden, Kohle zur Energiegewinnung und als Heizmaterial, Arzneimittel, Medizin. Es ging ums Überleben. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte es Belagerungen von Städten geben, die ungleich fürchterlicher verlaufen waren: Die Erzählung von der Luftbrücke, durch die 2,2 Millionen Westberliner Geiseln den sowjetischen Machtpoker glimpflich überstanden, hat ein Happy End.
Einbezogen in den eng getakteten Flugplan waren seinerzeit auch die Airports Gatow und der Neubau Tegel mit der zu jener Zeit längsten Landebahn des Kontinents. Es gibt seit 2007 eine Gedenktafel in der Friedenauer Handjery-Straße, wo im Juli 1948 zwei US-Piloten abstürzten. Für den Bilderspeicher der Öffentlichkeit bleibt dennoch vor allem Tempelhof, der 2008 geschlossene Flughafen, das markante Luftbrücken-Symbol.
Wer heute über das Gelände geht, befindet sich in einer Kulisse aus Mega-Baudenkmal, Gewerbepark und Spielwiese. Durch den Asphalt bricht Unkraut, über die Pfützen sprinten Jogger. Infotafeln präsentieren das Zukunftskonzept „Tempelhofer Freiheit“, Reflexion der historischen Schichten inklusive, der Rüstungsschmiede im Krieg, der Zwangsarbeiterlager. Die Luftbrücken-Episode war vergleichsweise kurz. Doch zur Idee von der „Tempelhofer Freiheit“ gehört wohl auch die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die bereit sind, für die Freiheit anderer einen physischen Preis zu zahlen. Per Onlinepetition oder Fernsteuerung reicht manchmal nicht.
Thomas Lackmann