Abschied von Tempelhof: Ende der Legende
Tränen und Regen am Tag der Schließung, drinnen wurde gefeiert und auf der Straße protestiert – so verlief die letzte Nacht des ältesten Verkehrsflughafens der Welt.
- Klaus Kurpjuweit
- Jan Oberlaender
Welche ist die letzte Maschine? Die „Tante Ju“ oder der Rosinenbomber? Am Ende heben sie gleichzeitig ab. Um fünf vor zwölf, von parallelen Startbahnen aus. Dann gehen die Flutlichter aus.
Etwas früher am Abend steht Klaus Wowereit auf der großen Bühne in der Abflughalle und wird ausgebuht. Als er sagt, dass es keine Alternative zur Schließung gegeben habe. Aber kurz darauf sind sich alle wieder einig: „Jetzt müssen wir sehen, wie man die Anlage entwickeln kann“, sagt der Regierende, dem man die Anspannung anmerkt. Dafür bekommt Wowereit viel Applaus.
Mit einer großen Gala in der Abflughalle haben am Donnerstagabend 800 geladene Gäste vom Flughafen Tempelhof Abschied genommen. In seiner Rede dankt Wowereit noch einmal den Alliierten ausdrücklich für ihre Luftbrücke in den Jahren 1948 und 1949. Und weist darauf hin, dass man „bei aller Wehmut über die Aufgabe des Flugbetriebes“ nicht vergessen dürfe, dass das Gebäude und sein enormes Potential erhalten bleibe.
Das ist den Demonstranten draußen auf dem Vorplatz zu wenig. 300 Menschen haben sich bereits am frühen Abend versammelt, um gegen die Schließung des Flughafens zu protestieren. Sie zünden Grabkerzen an, haben Schilder und Trillerpfeifen dabei. Was sie am meisten ärgert: „Dass die sogenannte Elite drinnen Champagner trinkt und wir nicht reindürfen.“ So sieht es Joachim Kiau von der Initiative „Be 4 Tempelhof“. Es sei eine „echte Geschmacklosigkeit“, dass nun ausgerechnet diejenigen feierten, die den Flughafen schließen wollten. Mitstreiter Helmut Zermin freut sich, dass trotz Dauerregens und Kälte viele Protestler gekommen sind. „Die Schließung tut uns wahnsinnig weh“, sagt er. „Und nicht nur uns: Die ganze Welt schaut doch zu.“
Die Initiative der Flughafen-Freunde will weiterkämpfen: Sie haben sich ein neues Volksbegehren ausgedacht – das fordert, den Flughafen offen zu halten und vor allem als „Regierungs-, Rettungs- und Ausweichflughafen zu nutzen“. Außerdem soll das Areal von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt werden. Die Polizei muss immer wieder Demonstranten zur Seite bitten, die Menschenmasse droht den Eingang zur Feier zu versperren. Geladene Gäste werden auf ihrem Weg zur Abflughalle ausgebuht. „Wenn Wowereit Mut hat, soll er rauskommen“, fordert der Mann am Mikro. Doch der Regierende kommt nicht raus.
Im Innern sitzt inzwischen Andrej Hermlin am Piano, spielt seinen Swing. Der Musiker hatte sich lange vehement für die Offenhaltung des Flughafens ausgesprochen. Heute ist er froh, „beim Abschied dabei zu sein, auch wenn ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht hätte.“ Dann stellt Hermlin einen Vergleich an, den viele im Saal nachvollziehen können: Bei der Wiedervereinigung 1990 hätten eine Menge Ostdeutsche das Gefühl gehabt, „überfahren worden zu sein“, sagt er. „So ähnlich geht es jetzt auch im Westen den Anhängern des Flughafens.“ Diese Worte hat Hermlin nicht mit dem Veranstalter abgesprochen. Später gibt es eine Versteigerung: Es sind noch zwei Tickets für den allerletzten Flug kurz vor Mitternacht zu haben. 2500 Euro werden geboten.
Die anderen Gäste drängt es auch raus aufs Rollfeld. Sie wollen die Maschinen von Nahem sehen. Die „Tante Ju“ und den Rosinenbomber. Und natürlich Ricardo Marinello zuhören. Der Sänger hat den passenden Titel einstudiert: „Time To Say Goodbye“.