Schrippe oder Wecke: Was stimmt denn nun?
Für Wolfgang Thierse ist die Angelegenheit klar. Es heißt Schrippe statt Wecke. Aber stimmt das auch? Oder heißt es doch eher Weckla? Gar nicht so einfach, darauf eine Antwort zu finden – vor allem in Berlin.
Wolfgang Thierse hat die Kehrwochenschwaben satt, die seine Prenzlberger Wohlfühlwelt mit bäckereihandwerklichen Begriffen wie „Wecken“ und „Pflaumendatschi“ infiltrieren. Während die einen schaudern, weil der Schwabenhass inzwischen offenbar auch den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages erfasst hat, finden andere die verbalen Silvesterknaller des SPD-Politikers selbst ein bisschen datschi. „Bei uns in Schwaben gibt es höchstens ,Zwetschgakuacha’, schreibt ein Leser im Internetforum des Tagesspiegels. „Ond des senn ,Weckla‘ in der Mehrzahl.“
In dieser unübersichtlichen Lage hilft einmal mehr der Duden: „Datschi, der; Gebrauch: bayrisch“. Aus Berliner Ureinwohnersicht liegen Bayern und Schwaben zwar hinter demselben südwestlichen Horizont. Aber die Duden-Redaktion weiß es genauer: Schwäbisch sei eine Mundart aus der Gruppe der alemannischen Dialekte, weiß die Sprachexpertin Kathrin Kunkel-Razum. Ebenso gut könne man sagen, Schwäbisch gehöre zum Westoberdeutschen und lasse sich ganz grob zwischen Neckar und Donau lokalisieren. Die benachbarten Dialekte seien Nieder- und Hochalemannisch sowie Süd- und Ostfränkisch; außerdem Bairisch-Österreichisch. Allerdings gebe es Ausgleichsprozesse, weil Menschen beispielsweise zur Arbeit pendeln und hochdeutsche Medien konsumieren.
Während Sprachwissenschaftler auf Nachfrage auch in jene Tiefen hinabsteigen, in denen sich Nieder- und Oberschwäbisch sowie Allgäuerisch verzweigen, berichtet ein einschlägiger Immigrant, dass einst im Schulbus schon die Kinder aus den Nachbardörfern anders geredet hätten als er selbst. Nach dem Abitur sei er weggezogen aus seinem bei Heilbronn gelegenen Heimatort „in dem Glauben, ich sei Schwabe, aber tatsächlich bin ich Franke“.
Unscharf und auf kleinem Raum verliefen die Grenzen. Aber wer in Schwaben nur ein Brötchen von normaler Gestalt und Größe haben wolle, kaufe bestimmt keine Wecke, sondern ein Weckle, berichtet der Mann, der sich in 40 Jahren Berlin zwar leidlich integriert, aber sprachlich keineswegs assimiliert hat. Im Übrigen finde er, wenn Herr Thierse den Fall der Mauer wollte, solle er nicht über neue Nachbarn klagen.
Aber zurück zum Gebäck, von dem das wahre Leben mehr weiß als die hohe Wissenschaft. Zumindest kann die Duden-Redakteurin im Nachschlagewerk „Wie sagt man anderswo?“ das mit dem Weckle so nicht finden. Wecke und Weckele seien demnach ebenso akzeptabel – als Synonym für „Semmel“, die allerdings in Berlin ein doppeltes Brötchen bezeichnet und demnach überhaupt nicht mit einer Schrippe zu verwechseln ist.
Jeder weitere Klärungsversuch macht die Lage nur unübersichtlicher. Der zugewanderte Frankenschwabe weiß, dass man in Reutlingen einen „Lkw mit Senf“ bestellen könne und anstandslos den gewünschten Leberkäsweck erhalte, während man in der nächsten Kreisstadt mit verständnislosen Blicken rechnen müsse. Letztlich gebe es „die Schwaben“ ebenso wenig wie „die Bayern“, über die sich ein kluger Mensch wie Gerhard Polt wohlweislich keine Pauschalurteile entlocken lasse. Oder auch „die Berliner“, über die Wolfgang Thierse pauschal sagt, sie hätten mehr Witz.
Bei der Kehrwoche allerdings muss sich auch die Duden-Redakteurin geschlagen geben: „Icke bin dran mit Straßefegen“, schlägt sie vor. „Soll doch die BSR machen“, möchte man als lebenserfahrener Berliner hinzufügen. Die Welt ist vielschichtig. Und Prenzlauer Berg manchmal ziemlich platt.
Stefan Jacobs
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