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Wolfgang Thierse scheidet 2013 nach 22 Jahren aus dem Bundestag aus.
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Update

Prenzlauer Berg: Thierse verteidigt sein Geläster über Schwaben

Nach der Aufregung über die Schwabenschelte von Wolfgang Thierse legt der Bundestagsvize nach und spricht davon, die Aufregung sei "lächerlich". Er gibt sich überrascht, dass manche Schwaben so ernst auf seine "freundlich-heiteren" Bemerkungen reagierten - und befindet, Berliner hätten mehr Witz.

Die Aufregung über seine Äußerungen sei "lächerlich", sagte Thierse dem Tagesspiegel. Dass sich die "organisierte Schwabenschaft" so über seine "freundlich-heitere Bemerkung" mokiere, "forciert eher Vorurteile, als dass es sie abbaut". Der in Prenzlauer Berg lebende SPD-Politiker fügte hinzu: "Dass Schwaben so ernst reagieren, überrascht mich. Berliner haben mehr Witz."

Thierse hatte sich darüber geärgert, dass in Prenzlauer Berg Brötchen inzwischen nach schwäbischer Art als „Wecken“ und nicht berlinerisch als „Schrippen“ verkauft werden. „Wenn man beim Bäcker ist und plötzlich steht da nicht mehr 'Schrippen soundsoviel', sondern da steht 'Wecken', da denke ich, das können die doch woanders sagen, in Berlin sagt man 'Schrippen'“, sagte Thierse am Montag im Deutschlandfunk. Ähnlich sei es, wenn statt „Pflaumenkuchen“ neuerdings „Pflaumendatschi“ gesagt werde.

Thierse hob hervor, er persönlich habe nichts gegen Schwaben, doch seien schwäbische Zuwanderer zum Sinnbild für die Veränderungen am Prenzlauer Berg in den vergangenen 20 Jahren geworden. Im südlichen Teil des Viertels seien rund 90 Prozent der jetzt dort lebenden Menschen seit 1990 zugezogen „und das heißt doch zugleich, da müssen andere verdrängt worden sein“. Auch wenn gegen Veränderung nichts einzuwenden sei, gebe es eben auch eine „unfreundliche Rückseite“. Dafür sei der Schwabe der Inbegriff geworden, denn „man erkennt ihn halt so schnell, wenn er den Mund aufmacht“.

"Ich habe gegen das Schwäbische und Bayerische nichts, dass soll da gesprochen werden, wo sie wohnen, hier in Berlin möchte ich gerne, dass das Berlinerische noch eine Chance hat“, bekannte sich der 69-jährige Thierse zu einer „ein bisschen lokalpatriotischen“ Gesinnung. Sprache sei für ihn eben „auch ein Ort von Heimat“. Das bedeute jedoch nicht, dass er „eine Käseglocke über den Prenzlauer Berg stülpen“ wolle.

In Baden-Württemberg kamen die Aussagen Thierses - wie zu erwarten war - gar nicht gut an. Verdi-Landeschefin und SPD-Landesvize Leni Breymaier sagte am Montag in Stuttgart über die Schelte ihres Parteifreundes: „Wir in Baden-Württemberg profitieren sehr von unseren Migranten. Auch beim Essen. Das tut den Berlinern auch gut.“

Grünen-Chef Cem Özdemir, gebürtig aus dem schwäbischen Bad Urach, äußerte sich ebenfalls: „Berlin war schon immer ein Schmelztiegel. Gerade ein selbst erklärter Urberliner wie Wolfgang Thierse sollte sich dieser Tradition bewusst sein“, sagte Özdemir dem Tagesspiegel. Manche nähmen es auch mit der Geografie nicht so genau: „Irgendwie sind alle Wessis Schwaben. Und was den Berliner Dialekt angeht, hat sicher kein Schwabe etwas dagegen, dass er gepflegt wird. Wir pflegen unser Schwäbisch ja auch.“

Linken-Chef Bernd Riexinger sah die Sache politisch. Dem Tagesspiegel sagte er: „Das größte Problem von Thierse und Genossen kommt derzeit gebürtig aus Hamburg, nicht aus Schwaben.“ Gemeint war Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Riexinger, selbst Schwabe, fügte hinzu: „Wenn man die Aussetzer von Thierse und Steinbrück zusammenzählt, fragt man sich, ob bei der SPD jemand den Selbstzerstörungsknopf gedrückt hat.“

Der EU-Energiekommissar und Ex-Regierungschef in Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), erklärte: „Ohne die Schwaben wäre die Lebensqualität in Berlin nur schwer möglich. Denn wir zahlen da ja jedes Jahr viel Geld über den Länderfinanzausgleich ein.“ Auf diesen Punkt werden die Berliner nicht so gern angesprochen.

Seit 2001 ziehen jährlich im Durchschnitt 6250 Menschen aus Baden-Württemberg nach Berlin, in den vergangenen Jahren sogar um die 8000. Aus anderen Bundesländern kamen viel mehr, aber sie fallen weniger auf.

Der derzeitige Bundestagsvizepräsident Thierse gehört dem Bundestag seit 22 Jahren an, kandidiert im kommenden Herbst aber nicht erneut. Er wohnt seit 40 Jahren am Kollwitzplatz und hat alle Veränderungen des Viertels miterlebt.

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