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Sauber! BSR-Mitarbeiter beim Großreinemachen Unter den Linden zum Jahresbeginn 2014.
© dpa

Müll in Berlin: Was schert mich mein Dreck!

Die Stadt, der Müll und das Lob: Keine Metropole Europas wird von ihren Bewohnern so ohne Not beschmutzt und so aufwendig gereinigt wie Berlin. Die Leute von der BSR sind unsere wahren Urbanisten.

Die Saubermänner sind derzeit schwer unterwegs. Kaum haben sie die Raketenreste und Schaumweinscherben der Silvesternacht auf Berlins Straßen halbwegs entsorgt, sind zwischen Schnee und Matsch die nadligen Ruinen der (legal) abgelegten Weihnachtsbäume dran, die der gemeine Berliner oft genug noch am Straßenrand mit ausrangierten Kaffeemaschinen oder Sofateilen dekoriert.
Die Müllmänner, sie haben irgendwann die Trümmerfrauen als Helden des Alltags abgelöst. Lange Zeit aber eher unmerklich.

In der alten Bundesrepublik und in West-Berlin waren es zunächst die Türken. Sie standen als Saubermacher auf der untersten Stufe der Gastarbeiterleiter, weit entfernt noch von den eigenen Dönerbuden oder Gemüsemärkten. Und ihre Frauen putzten derweil unsere Klos, weil die Wirtschaftswundergesellschaft sich nicht mehr die Hände schmutzig machen wollte. Heute indes erscheinen zumindest auf den Straßen, vielleicht ist das ein multikultureller Fortschritt, die reinigenden Kräfte wieder gesellschaftlich gemischt.
Zuständig für den Großputz in unserer kleinen Hauptstadt ist bekanntlich die Berliner Stadtreinigung (BSR). Und obwohl es ja üblich ist, über Berlins öffentliche Verwaltungen und Dienstleistungen zu meckern, auch über zu träge von Blättern und Schnee geräumte Straßen und Gehwege, will ich gestehen: Vor der BSR habe ich ziemlich viel Hochachtung. Nicht, weil Berlin so super sauber wäre, sondern weil es immer noch so dreckig ist. Weil Berlin schätzungsweise einige hunderttausend Wildschweine hat, die ohne Borsten, aber auch ohne Sinn für ihre Stadt – für eine schöne Stadt überhaupt – durchs Leben ziehen.

Die beispielsweise an Silvester die Plastikverpackungen fürs Feuerwerk und ihre Rotkäppchenpullen nicht wieder in die Rucksäcke packen, sondern als Müll einfach in die Gegend werfen. Wie sonst unterm Jahr ihre Zigarettenschachteln, Kippen, Crackertüten, Bierdosen. Oder auch mal die vor der Glotze durchgesessene Couch. Ab damit auf die Straße! Irgendwer, spätestens die BSR, wird’s dann aufräumen. Klar, jetzt hör’ ich schon die Stimmen: Der Herr von Becker ist sich zu fein fürs gemeine Berlin, in dem steckt selber der Saubermann, also: der anale Zwangscharakter! Wenn’s dem hier zu schmutzig ist, soll er doch zurückgehen, ins saubere... Reutlingen!

Die Haltung ist nicht cool, sondern feudal: Ich schmeiße zu Boden, andere sollen’s aufheben.

Nun war ich noch nie in Reutlingen, und erwarte auch nicht, dass das kleine Berlin so adrett aussieht wie das noch kleinere Tübingen oder Heidelberg (zwei tatsächlich wunderschöne Städte, aber halt auf Dauer nicht ganz so schön wie... Berlin!).

Doch dass zum Mythos der Großstadt der Müll auf den Straßen gehört, ist halt selbst ein Mythos. Keine Metropole Europas, nicht mal Neapel, wird von ihren Bewohnern noch immer so ohne Not und bedenkenlos beschmutzt und muss so vergleichsweise aufwendig auf Kosten der Allgemeinheit gereinigt werden wie Berlin. Das geschieht aus Wurstigkeit und Verachtung. Aus Verachtung nicht nur gegenüber jedwedem Schönheitssinn, sondern gegenüber einem Mindestmaß an Gemeinsinn.

Die menschlichen Dreckschleudern im Straßenalltag offenbaren nämlich keine coole, sondern eine feudale Haltung. Sie sind neoliberal auf der primitivsten Stufe. Man rede da bitte nicht von kulturellen Milieus, die sich nur gegen aseptische Gentrifizierung wehren. Nee, das Motto (oder Motiv, auch gedankenlos und unbewusst) lautet doch: Ich trete nicht nach unten, aber ich schmeiße zu Boden, was ich grad will. Denn hinter mir wird’s schon einer aufheben, wird sich für mich die Hände schmutzig machen! Ein Dümmerer, ein Schwächerer. Ich kehr mich einen Dreck um meinen Dreck, denn ich habe meine Diener, die neudeutsch Dienstleister heißen.

So machen’s mit ihren Kaugummipapieren und Pommesschachteln dann auch die Kinder und Jugendlichen, sie spielen es den Erwachsenen bloß nach. Von Charlottenburg bis Marzahn. Bis die BSR-Helden des Alltags eingreifen. Unsere wahren Urbanisten. In Fernost gäb’s da an jeder Ecke einen kleinen Altar: mit Kerzen und Kuchen für die Cityfanten und ihre treuen, ins buddhistische Orange gehüllten Wärter.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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