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Polizisten begleiten die Abgeschobenen am Flughafen Tegel aus dem Flugzeug.
© Christoph Soeder/dpa

Die Ankunft der Salafisten: Was mit den IS-Anhängern aus der Türkei in Berlin geschah

Kein normaler Flug aus Istanbul: Am Donnerstag landete eine Salafisten-Familie in Tegel. Was tun die deutschen Behörden – und was sagen andere Passagiere?

Kurz nach 17 Uhr, Terminal E des Flughafens Berlin-Tegel. Plötzliche Aufregung. „Gehen Sie mal zur Seite, das ist immer noch ein Flughafen“, bittet ein genervter Sicherheitsmann die umstehenden Personen. Ein halbes Dutzend Fotografen, ein Kameramann und eine Frau mit Blumen weichen ohne Widerstand von der Lichtschranke. „Am Ende ist es doch ein ganz normaler Flug“, murmelt der Flughafen-Aufpasser noch seinem Kollegen zu.

Ein normaler Flug ist es dann wohl doch nicht, der am frühen Abend aus Istanbul in Berlin erwartet wird. Als die ersten Fluggäste um 17.24 Uhr mit ihrem Gepäck den Sicherheitsbereich verlassen, blicken sie ungläubig in die entgegengestreckten Kameras. Offenbar haben nur wenige mitbekommen, dass der Turkish-Airlines-Flug TK1723 aus Istanbul ein hochpolitischer ist.

Sechs mutmaßliche Anhänger des "Islamischen Staates", des IS, sind an Bord, und mit ihnen ein Kind. "Salafistische Mörderfamilie", sagt ein Beamter am Abend - obwohl die deutschen Geheimdienste nicht wissen, was diese Männer und Frauen im Nahen Osten getan haben.

Die Familie B. stammt aus dem Irak und lebte in Hildesheim. Unklar ist, ob und wie lange sie im einstigen IS-Gebiet in Syrien gewohnt hatte. Das türkische Innenministerium bezeichnete sie als "ausländische Terroristenkämpfer". Doch Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen oder Terrorismus' liegen gegen die Familienmitglieder in Deutschland nicht vor. Allerdings könnte dem Vater, hieß es am Abend, wegen eines völlig unpolitischen, kleineren Delikts womöglich U-Haft drohen. Offiziell bestätigt wird am Donnerstag nichts.

Einer derjenigen, die auf dieser Flugreise dabei waren, ist Jakob Kraft, 50 Jahre, Audioingenieur aus Schöneberg. Schon am Flughafen in Istanbul sei plötzlich Aufregung zu spüren gewesen, berichtet er dem Tagesspiegel. Kurz vor dem Abflug hätten sich türkische Fotografen an die Fenster des Boardingbereichs gedrückt, als draußen ein weißer Bus mit getönten Scheiben vorgefahren sei.

„Sich davor zu drücken, ist nicht richtig“, sagt der Ingenieur

Vier Frauen mit schwarzen Ganzkörperschleiern, zwei Männer und ein Kleinkind stiegen als erste ins Flugzeug, später die anderen Passagiere. Im Flieger hätten sich die besonderen Passagiere unauffällig verhalten, Polizei oder Sicherheitskräfte habe er an Bord nicht gesehen. Ohnehin sei das Flugzeug nur zu zwei Dritteln gefüllt gewesen. Er selbst, sagt der Berliner, habe in der Mitte gesessen, die siebenköpfige Familie hinten.

Beeindrucken konnten die politisch umstrittenen Fluggäste den 50-jährigen Berliner, der nach eigenen Angaben gerade aus Dubai kam, jedoch nicht: "Wenn man in der arabischen Welt unterwegs ist, sind Frauen mit schwarzen Gewändern nicht ungewöhnlich."

Dass die Bundesrepublik die Salafisten-Familie aus Deutschland wieder zurücknimmt, hält er für angemessen: „Wenn sie einen deutschen Pass haben, ist die Bundesrepublik auch verantwortlich. Sich davor zu drücken, ist nicht richtig", sagt der Ingenieur. "Wenn das unsere Bürger sind, müssen wir das hier hinkriegen. Sechs Leute dürften den Staat wohl nicht überfordern."

Die Rolle der türkischen Regierung sieht Kraft kritisch: "Da ist schon viel Willkür im Spiel, dass die jetzt so kurzfristig zurückgeschickt werden. Es ist doch offensichtlich, dass die Türkei taktiert."

Uniformierte Polizisten holen die Islamisten von Bord

Ganz so gelassen bewertet Toby J. den Flug nicht. Der 35-Jährige sagt, er habe mit seiner Begleitung direkt neben den Abgeschobenen in einer Reihe gesessen. "Wir hatten die Plätze A und B, die Gruppe saß daneben und vor uns." Was es mit ihnen auf sich hatte, ahnten die beiden Berliner jedoch erst nach der Landung, als uniformierte Polizisten an Bord kamen.

Flug TK 1723 von Turkish Airlines setzt auf der Rollbahn des Airports TXL auf.
Flug TK 1723 von Turkish Airlines setzt auf der Rollbahn des Airports TXL auf.
© Christoph Soeder/dpa

Die beiden Männer der Islamistenfamilie hätten sich verbal gewehrt, ehe sie mit den Händen am Rücken aus der Tür begleitet worden seien. Anschließend sei die Gruppe getrennt in zwei blau-weißen Vans der Polizei vom Rollfeld gebracht worden. Erst danach kam der Bus für die übrigen Passagiere.

In der Ankunftshalle zwischen Flughafenpersonal, Touristen und Rollkoffern gelingt es drei Zivilpolizisten nur schwer, sich zu verstecken. Zumal der Knopf im Ohr - die Funkverbindung - doch zu erkennen ist.

Ankunft am Gate E: Die Turkish-Airlines-Maschine traf zeitig in Tegel ein.
Ankunft am Gate E: Die Turkish-Airlines-Maschine traf zeitig in Tegel ein.
© Jan Petter

Nach Tagesspiegel-Informationen warteten in Tegel nicht nur für den Transit zuständige Bundespolizisten und Berliner Staatsschützer, sondern auch Ermittler des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Diese LKA-Beamten sollten die Männer und Frauen nach Hildesheim begleiten – am Abend war nicht bekannt, ob einige von ihnen in Berlin zu bleiben beabsichtigten. Zudem waren Jugendamtsmitarbeiter aus Niedersachsen vor Ort. Sie sollen sich um die Kinder der Salafisten kümmern.

Die islamisch-konservative Regierung von Recep Tayyip Erdogan wird dieser Tage weitere Islamisten aus der Türkei abschieben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt eine harte Linie.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt eine harte Linie.
© imago images/Depo Photos

25 Beamte überwachen einen Gefährder

Sollten diese in Deutschland als Gefährder gelten – also als Personen, denen die Sicherheitsbehörden einen Anschlag zutrauen –, wird das in Deutschland einen massiven Personaleinsatz zur Folge haben: Um einen Verdächtigen dauerhaft zu überwachen, ist ein Team von 25 Polizisten nötig.

In Berlin lebt schon heute eine „hohe zweistellige Zahl“ von islamistischen Gefährdern, dazu kommen Schwerkriminelle aus anderen Milieus, die ebenfalls observiert werden müssen. Insgesamt stehen dafür beim Berliner LKA nicht mehr als 280 Observationskräfte zur Verfügung.

Etwa die Hälfte der islamistischen Gefährder sollen keine deutschen Staatsbürger sein. Man müsse davon ausgehen, sagt der Berliner Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Carsten Milius, dass die Rückkehr der IS-Dschihadisten weniger einer geistigen Kehrtwende als vielmehr der Angst ums Überleben geschuldet sei.

Hoch gefährlich dürften die noch zu erwartenden Rückkehrer sein. „Diese Männer sind - zusätzlich zu ihrer ideologischen Einstellung - gewaltaffin und kriegserfahren und müssten noch enger als die Frauen überwacht werden“, sagt Milius. „Dies wird von den Sicherheitsbehörden kaum zu leisten sein.“ Die Kollegen bemerkten schon jetzt, dass traumatisierte Rückkehrer und Rückkehrerinnen wiederholt durch Gewalt- und Propagandadelikte aufgefallen sind, die viele Staatsschutzbeamte binden.

Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte am Donnerstag, man sei auf den Umgang mit IS-Rückkehrern vorbereitet. Die Innenverwaltung binde dazu das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Polizeistellen, Bezirksämter und Sozialeinrichtungen ein. Wie berichtet, kehrte im Oktober eine IS-Anhängerin mit ihrem Kind nach Berlin zurück.

Wer kümmert sich um die Kinder?

Da nun immer mehr Rückkehrer kommen, müssen Politik und Ämter klären, wie es mit ihnen weitergeht. Das Kindeswohl soll dabei an oberster Stelle stehen. Was Senator Geisel mit "vorbereitet sein" meint, sind die Fallkonferenzen. In diesen Runden sitzen Vertreter des Jugendamts, des Kindernotdienstes, des Landeskriminalamtes, aber auch von Violence Prevention Network, einem Sozialträger, der sich intensiv um Deradikalisierung kümmert.

Die erste, entscheidende Frage lautet: Muss die Mutter oder muss der Vater in Untersuchungshaft? Dann ist erstmal die Polizei für die wichtigsten Punkte zuständig. „Es gibt ja auch Gefängnisse, in denen Mütter mit Kleinkindern sitzen“, sagt VPN-Geschäftsführer Thomas Mücke.

Gegen die Erwachsenen liegen keine Haftbefehle vor

Aber nach jetzigem Stand liegen gegen die Erwachsenen, die am Donnerstag aus der Türkei gekommen sind, keine Haftbefehle vor. Geklärt werden diverse Fragen: Muss das Kind in eine Kita? In die Schule? Ist die Mutter in der Lage, ein Kind angemessen zu erziehen? Hängt die Mutter, hängt der Vater noch der IS-Ideologie an?

Das Jugendamt begutachtet zunächst den körperlichen und (wenn möglich) seelischen Zustand des Kindes. Eng damit verbunden ist die Frage, ob die Mutter ein Problembewusstsein für die Situation ihres Kindes besitzt, zudem wird das soziale Umfeld geprüft. Möglich, dass die Großeltern in die Betreuung der Kinder einbezogen werden. Da greift dann auch VPN ein. „Wir stärken dann vor allem die Großeltern“, sagt Mücke.

Und so wird ein Fahrplan entwickelt, wie die Mutter und gegebenfalls der Vater, falls er nicht im Gefängnis sitzt, in den Alltag integriert werden. VPN-Mitarbeiter beobachten durch intensiven Kontakt zur Familie, ob Vater oder Mutter noch IS-Ideologien vertreten, und alarmieren notfalls das Jugendamt. Ein Problem ist der Mangel an Möglichkeiten für eine Traumatherapie. Betroffene warten oft Monate, und im Fall der IS-Rückkehrer kann es sein, dass man Arabisch oder Türkisch sprechende Therapeuten benötigt. Und die sind selten.

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