Salafismus in Berlin: Was gegen Radikalisierung hilft
Schüler müssen dazu befähigt werden, selbstständig zu denken. Ein Beratungsprojekt für muslimische Jugendliche fordert mehr Engagement an Schulen.
Thomas Mücke weiß natürlich, dass in der Al-Nur-Moschee in Neukölln eine „demokratiedistanzierte“ Ideologie gepredigt wird. Das hat der Geschäftsführer von Violence Prevention Network (VPN) schon vor zwei Jahren bemerkt. Da hatten er und seine Mitarbeiter Jugendliche getroffen, die in der Al-Nur-Moschee den salafistisch geprägten Predigten gelauscht hatten. Diese Jugendlichen tauchten ja später ein paar Meter weiter in der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm auf. Die Sehitlik-Moschee galt zu der Zeit noch als liberal, Violence Prevention Network (VPN) hatte dort 2015 für seine Beratungsstelle „Bahira“ Räume gemietet. „Bahira“ kümmert sich um muslimische Jugendliche und Erwachsene, die Gefahr laufen, in radikale Gruppen abzudriften.
Die Jugendlichen aus der Al-Nur-Moschee suchten natürlich nicht zielgerichtet „Bahira“ auf, aber sie kamen in Kontakt mit VPN-Mitarbeitern. „Da haben wir gesehen, dass sie ein geschlossenes Weltbild hatten. Ein paar konnten wir noch abfangen und mit anderen Sichtweisen vertraut machen“, sagt Mücke.
Klare Signale aus der Politik
Das ist eine der beiden Hauptaufgaben von Violence Prevention Network: Der Verein will frühzeitig verhindern, dass Jugendliche oder junge Erwachsene, sozial nicht gefestigt, empfänglich für radikale Botschaften von Islamisten werden. Die andere: IS-Mitläufer, die im Kriegseinsatz waren und aus dem Kampfgebiet zurückgekehrt sind, wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Inzwischen hat die Sehitlik-Moschee eine neue Führung, die liberale Ausrichtung ist Vergangenheit, VPN kündigte als Konsequenz daraus 2018 die Büroräume. Also fehlt dort ein Korrektiv zur Al-Nur-Moschee. Die ist für den Berliner Verfassungsschutz ein Salafistentreff. Dass Kinder und Jugendliche dort Unterricht ohne Einfluss durch die Behörden erhalten, erschwert die Arbeit zusätzlich.
Mücke fordert klare Signale durch die politisch Verantwortlichen. „Der Staat muss einen gewissen Druck aufbauen und schauen, was da los ist. Er muss diese Erkenntnisse auch öffentlich machen. Jeder muss wissen: Wenn ich in diese Moschee gehe, höre ich demokratiedistanzierte Predigten.“ Allerdings werde in der Moschee „nicht zu Straftaten“ aufgerufen.
Natürlich könne der Staat damit drohen, den Moscheeverein der Al-Nur-Moschee zu verbieten. So eine Maßnahme bringe „kurzfristig auch Unruhe“, sagt Mücke, aber als alleinige Antwort auf salafistische Propaganda reiche das nicht. „So eine Maßnahme muss immer von einem Gegenangebot begleitet werden.“
Propagandaansätze infrage stellen
Gegenangebot, das heißt für Mücke, dass den Jugendlichen alternative Angebote gemacht werden, weg von der einseitigen Ideologie mit ihren radikalen Botschaften. „Man muss sich mit den Gegenangeboten auf die Schulen fokussieren, da hat man sie alle“, sagt Mücke. „Viele der Jugendlichen kommen ja außerhalb der Schule gar nicht mehr aus ihren Communitys raus. In der Schule kann man sie mit anderen Gedanken vertraut machen, damit sie nicht bloß einseitig zugetextet werden.“
Schulen also, eine bewährte Strategie. Violence Prevention Network praktiziert sie ausgiebig. VPN organisierte viele Workshops an Schulen, im vergangenen Jahr allein an 110 Tagen. An den Workshops nehmen Schüler ab der 9. Klasse teil. Unterrichtet wird vor allem an Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern mit palästinensisch-libanesischen Wurzeln. Die VPN-Mitarbeiter regen die Schüler zu selbstständigem Denken an. Sie sollen die Propagandasätze, die sie übernommen haben, infrage stellen. Die Trainer des VPN sind Christen, Muslime und Juden. Sie erzählen den Schülern, die oft wenig über den Islam wissen, vieles über ihre Religion. Ein wichtiges Thema ist auch die Rolle der Frau im Islam.
Wer sich dagegen lieber bei „Bahira“ beraten lassen möchte, auch kein Problem. Das Projekt ist ja nicht aufgelöst. Es sitzt jetzt in der Bergmannstraße in Kreuzberg.
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