Mord-Urteil: Was die Ku'damm-Raser vom Hamburger Fall unterscheidet
In Hamburg wird ein Raser wegen Mordes verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigt das Verdikt – anders als zuvor im Fall aus Berlin. Wie kann das sein?
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat ein Mordurteil gegen einen Autoraser bestätigt – erstmals überhaupt. Es geht um einen Fall um Hamburg. In Berlin dagegen erinnert man sich noch gut daran, dass die Richter in Karlsruhe ein Mordurteil gegen zwei Raser aufgehoben hatten.
Der Fall wird derzeit erneut vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Nun steht die Frage im Raum: Was kann in Hamburg Mord sein – in Berlin aber nicht? Das Erstaunen in der Hauptstadt ist groß. Klar ist aber auch: Jeder Fall ist anders, Gerichte entscheiden stets im Einzelfall.
Blick zurück: In Berlin hatten sich zwei Sportwagenfahrer, Hamdi H. und Marvin N., damals 24 und 27 Jahre alt, in der Nacht zum 1. Februar 2016 ein illegales Rennen auf dem Ku’damm geliefert – über 20 Querstraßen und elf Ampeln hinweg. Hamdi H. war mit seinem Audi A6 TDI mit 225 PS unterwegs, Marvin N. in einem Mercedes AMG CLA 45 mit 381 PS. In der Tauentzienstraße war es mit dem Rennen vorbei – es kam zu einem tödlichen Unfall. Ein unbeteiligter Mann kam ums Leben.
Die Ampel für Jeep-Fahrer Michael W. zeigte Grün, er fuhr auf die Kreuzung. Dann rammte sich der Audi von Hamdi H. in die Fahrerseite des Geländewagens. Mehr als 70 Meter weit wurde der Jeep durch die Wucht des Aufpralls geschleudert. Michael W., 69 Jahre alt, starb in seinem Wagen. Die Raser, die beide bereits mehrfach wegen Delikten im Straßenverkehr aufgefallen waren, konnten mit leichten Blessuren aus ihren total demolierten Fahrzeugen aussteigen.
Eine Strafkammer des Landgerichts Berlin hatte ein Jahr später, im Februar 2017, die beiden angeklagten Männer deutschlandweit zum ersten Mal in einem Raser-Fall wegen Mordes verurteilt und lebenslange Haftstrafen verhängt. Sie hätten aus Sicht des Gerichts durch die Raserei und das Rennen den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen. Die Sportwagen seien zu Tatwaffen und zum „gemeingefährlichen Mittel“ geworden.
Bundesrichter: Vorsatz in Berlin nicht ausreichend nachgewiesen
Hamdi H. und Marvin N. legten jedoch Revision vor dem BGH ein, der hob das Urteil im März 2018 auf, das Landgericht Berlin muss den Fall neu verhandeln. Aus Sicht der Bundesrichter hatten die Berliner Richter in ihrem Urteil den Tötungsvorsatz nicht ausreichend nachgewiesen und begründet.
Nun könnte es also auf fahrlässige Tötung hinauslaufen, die mit Geldstrafe bis maximal fünf Jahren Haft belegt ist. Die Staatsanwaltschaft hält jedoch an dem Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes fest. Die erste Neuauflage des Prozesses im August 2018 platzte recht bald – weil die Verteidigung mit einem Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter der Strafkammer erfolgreich war. Die hatten entschieden, dass die Angeklagten in Untersuchungshaft bleiben müssen, zogen dafür aber das erste, vom BGH aufgehobene Urteil heran.
Seit November wird der Fall nun von einer anderen Kammer verhandelt. Und die beide Angeklagten sitzen immer noch in Untersuchungshaft. Erst am Dienstag lehnte das Gericht den Antrag eines Verteidigers auf Aufhebung des Haftbefehls ab. Die Richter gehen immer noch davon aus, dass weiter ein dringender Tatverdacht auf ein vorsätzliches Tötungsdelikt besteht.
Immerhin will einer der Angeklagten am nächsten Verhandlungstag, am Dienstag – drei Jahre nach dem tödlichen Autorennen – erstmals vor Gericht aussagen und damit sein bisheriges Schweigen brechen, wie sein Anwalt angekündigt hat.
In Hamburg hat der BGH den Mordvorwurf bestätigt
Im Gegensatz zum Berliner Fall hat der BGH beim Angeklagten aus Hamburg den Mordvorwurf bestätigt. Das dortige Landgericht hatte nach einem tödlichen Autounfall einen bedingten Tötungsvorsatz festgestellt, im Februar 2018 erging der Schuldspruch gegen einen Litauer wegen Mordes, zweifachen versuchten Mordes und zweifacher gefährlicher Körperverletzung. Der zur Tatzeit 24-jährige Mann wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Revision des Litauers hat der BGH nun als unbegründet verworfen.
Der Mann hatte in den frühen Morgenstunden des 4. Mai 2017 ein Taxi gestohlen. Betrunken und ohne Licht am Fahrzeug raste er anschließend auf der Flucht vor der Polizei durch die Stadt. Im Zentrum von Hamburg steuerte er schließlich den Wagen mit hohem Tempo auf die Gegenfahrbahn – dort kam es zum Zusammenstoß mit einem anderen Pkw. Der 22 Jahre alte Fahrer des Autos kam ums Leben.
Die Bundesrichter haben nie ausgeschlossen, dass es beim gefährlichen Umgang mit einem Auto einen Tötungsvorsatz geben kann. In der Vergangenheit hat es deswegen schon Verurteilungen gegeben. Diese sind jedoch nicht als „Raser-Fälle“ bekannt. Insofern ist auch der Hamburger Fall eher untypisch. Verurteilt wurde ein Straftäter auf der Flucht, dem nach Feststellung des Landgerichts das Leben anderer wie auch sein eigenes egal geworden war – er war bereit zum Suizid.
Die rechtspolitische Diskussion kreist jedoch eher um illegale Autorennen, die den Straßenverkehr unsicher machen. Hier sind wohl auch die Ku’damm-Raser zu verorten, bei denen bisher keine Indizien dafür bekannt wurden, dass sie ihr eigenes Leben riskieren wollten. Sie wollten ein „Stechen“ fahren – aus Lust an Triumph und Geschwindigkeit. In der Bestätigung des Hamburger Mordurteils liegt daher keine Vorentscheidung für das Berliner Verfahren.
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