Nach BGH-Urteil: Welche Strafe erwartet die Kudamm Raser?
Das Mordurteil gegen die zwei Raser wurde aufgehoben. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil des Bundesgerichtshofes.
- Ronja Ringelstein
- Jost Müller-Neuhof
Das Urteil des Berliner Landgerichts vor einem Jahr sorgte für Aufsehen: Zwei Raser wurden nach einem Straßenrennen auf dem Ku’damm wegen Mordes verurteilt. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Urteil jedoch wieder aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung an eine andere Kammer des Gerichts zurücküberwiesen. Auch in zwei weiteren Raser-Fällen hatte der BGH am Donnerstag geurteilt.
Was war in Berlin passiert?
Die beiden damals 24 und 26 Jahre alten männlichen Angeklagten Hamdi H. und Marvin N. lieferten sich am 1. Februar 2016 nachts am Kurfürstendamm und auf der Tauentzienstraße ein Autorennen. Sie fuhren nebeneinander über eine rote Ampel mit Geschwindigkeiten von rund 150 Stundenkilometern, später an der Kreuzung Tauentzienstraße und Nürnberger Straße sogar mit 170 Stundenkilometern. Hier prallte der auf der rechten Fahrbahn fahrende Hamdi H. auf einen Pkw, der bei Grün aus der Nürnberger Straße von rechts in die Kreuzung eingefahren war. Der Fahrer starb noch am Unfallort. Durch die Wucht des Aufpralls wurde Hamdi H.s Fahrzeug auf das neben ihm fahrende Fahrzeug des Mitangeklagten Marvin N. geschleudert, in dem dessen Freundin auf dem Beifahrersitz saß. Sie wurde bei dem Unfall erheblich, die Angeklagten leicht verletzt.
Wie beurteilt der BGH den Fall?
Das Landgericht Berlin hatte in erster Instanz einen „bedingten Vorsatz“ bejaht, also angenommen, die Raser hätten den Tod eines Menschen „billigend in Kauf genommen“. Knackpunkt in der Frage, ob es sich um einen Mord oder eine fahrlässige Tötung handelt, ist der Vorsatz. Der muss aber bei Beginn der Tat vorliegen. Das sah der Bundesgerichtshof allerdings nicht als erwiesen an. Der BGH ist in seinem Urteil an die Feststellungen des Landgerichts gebunden und überprüft ausschließlich die Rechtsfragen. Hier aber haben die Karlsruher Richter einige Rechtsfehler im Urteil des Landgerichts festgestellt.
Nach den Urteilsfeststellungen des Landgerichts hatten die Angeklagten die Möglichkeit, dass das Rennen tödlich enden könnte, erst erkannt und billigend in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren. Genau für diesen Zeitpunkt hat das Berliner Landgericht allerdings auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Möglichkeit mehr hatten, den Unfall zu verhindern. Sie seien „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“. Das Geschehen, das zu dem tödlichen Unfall führte, war also schon unumkehrbar in Gang gesetzt worden, bevor einer der beiden Raser einen Vorsatz zur Tötung entwickelt hat.
Außerdem schloss der BGH eine Mittäterschaft der beiden Raser aus. Dafür wäre erforderlich, dass beide einen auf die Tötung eines anderen Menschen gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen gemeinschaftlich, arbeitsteilig ausgeführt hätten.
Wie urteilte das Landgericht?
Das Landgericht hatte die Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verurteilt, wobei der Wagen als „gemeingefährliches Mittel“ und damit als Tatwaffe eingestuft wurde. Die Täter hätten sich auf ein spontanes Rennen geeinigt. Marvin N. habe sich nach erster Zurückhaltung darauf eingelassen. Die Richter verwiesen auf BGH-Rechtsprechung, wonach die Gleichgültigkeit gegenüber dem Erfolgseintritt bei Tötungsdelikten einen bedingten Vorsatz begründe. Immer wieder hoben sie auf die „besonderen Gegebenheiten“ ab und unterstrichen, dass ihr Urteil keine Präjudizwirkung habe.
Welche Strafe erwartet die Raser?
Der BGH hat die Sache an eine andere Kammer des Berliner Landgerichts zurückverwiesen. Dort muss neu verhandelt werden. Der BGH prüft ausschließlich Rechtsfragen, legte für sein Urteil also die Tatsachen und Beweise des Landgerichts zugrunde. Das Landgericht kann allerdings in der erneuten Verhandlung durchaus aufgrund neuer Beweise wieder zur Feststellung eines bedingten Vorsatzes kommen und auf Mord erkennen. Dass das Landgericht erneut so entscheidet, ist aber wohl nicht wahrscheinlich.
Auch urteilten die Karlsruher Richter am Donnerstag in einem weiteren Raser-Fall aus Bremen auf fahrlässige Tötung und verneinten auch hier den bedingten Vorsatz. In der nächsten Verhandlung vor dem Landgericht könnte dieses Urteil den beiden Berliner Angeklagten von Vorteil sein. Während Mord zwingend mit lebenslanger Haft zu bestrafen ist, reicht der Strafrahmen der fahrlässigen Tötung „nur“ bis zu fünf Jahren Haft.
Worum ging es in dem Bremer Fall?
Der Angeklagte war laut Urteil an einem Abend Mitte Juni 2016 mit einem 200-PS-Motorrad im Bremer Stadtgebiet unterwegs, ohne den nötigen Führerschein Klasse A und mit bis zu 150 Kilometern pro Stunde. Als ein Fußgänger bei Rot über die Fahrbahn lief, fuhr er noch mindestens 97 Stundenkilometer. Da er nicht mehr bremsen konnte, rammte er den Mann, der noch im Rettungswagen an seinen schweren Verletzungen verstarb. Der Fahrer selbst wurde ebenfalls schwer verletzt. Bei zulässigem Tempo von 50 Stundenkilometern wäre der Unfall laut Gericht vermeidbar gewesen. Verurteilt wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Dazu gab es eine Führerschein-Sperrfrist von vier Jahren. Der BGH bestätigte dieses Urteil am Donnerstag und hatte die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten verworfen.
Worum ging es im Frankfurter Fall?
Der zur Tatzeit 20-jährige Angeklagte fuhr im April 2015 mit einem 300-PS-Mietwagen im Bereich einer Autobahnauffahrt über eine rote Ampel. Auf dem Tacho hatte er etwa 142 Stundenkilometer, erlaubt waren 70. Der Fahrer kollidierte mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, das seinen Weg querte, um auf die Autobahn zu fahren.
Der 43-jährige Fahrer des anderen Autos war sofort tot. Verurteilt wurde der Angeklagte als Heranwachsender nach Jugendstrafrecht wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren. Ferner wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und für die Wiedererteilung eine Sperrfrist von zwei Jahren angeordnet. Weil der Angeklagte nicht angeschnallt war, hatte das Landgericht daraus geschlossen, ein Vorsatz könne nicht vorliegen, weil der Fahrer sonst seinen eigenen Tod ebenfalls in Kauf genommen hätte. Dem folgte er BGH nicht und hob das Urteil wegen fahrlässiger Tötung auf. Hier muss eine andere Kammer des Landgerichtes eine vorsätzliche Tötung erneut prüfen.
Müssen Raser Novellen fürchten?
Nein. Ende Juni 2017 hatte der Bundestag zwar das Gesetz verschärft und bereits die Teilnahme an Straßenrennen, also auch wenn alles gut geht, unter Strafe gestellt. Dies gilt aber erst für Fälle nach Inkrafttreten der neuen Regelung und kann nicht rückwirkend für die Berliner Ku’damm-Raser gelten. In Zukunft aber kann der, der bei einem verbotenen Straßenrennen einen Menschen tötet, schwer verletzt oder eine größere Anzahl von Menschen verletzt, bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe bekommen, also mehr, als mit der fahrlässigen Tötung möglich ist.