Nach dem Landesparteitag: Was die Berliner SPD jetzt tun muss
Stillstand und Machtkämpfe kann sich Berlin nicht leisten, die SPD erst recht nicht. Potenzial für einen Neustart gibt es aber durchaus. Ein Kommentar.
Es geht nicht um den Stuhl, der bei Fraktionschef Raed Saleh zu häufig leer bleibt, es geht nicht um zu viele Stühle, die Partei- und Senatschef Michael Müller gleichzeitig besetzt. Es geht um das Überleben der stolzen Partei Willy Brandts nach historisch schlechten Ergebnissen bei der Bundestagswahl und der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016.
Ein beispielloser Verfall der SPD, die seit 28 Jahren Berlin regiert. Werden wir noch gebraucht?, fragt die ratlose Parteibasis, die deshalb wenig Interesse an den aktuellen Machtspielchen hat – mit wechselseitigen Rücktrittsforderungen an Müller und scharfer Kritik am Fraktionschef.
Jetzt braucht es neue Antworten. Auf dem Landesparteitag aber wird viel über Fehler der Bundespartei und die Verluste der SPD in allen Großstädten geredet, um nicht über die miserable Performance des Senats sprechen zu müssen. Eine erprobte sozialdemokratische Realitätsausblendung.
Es gibt keine rot-rot-grüne Aufbruchstimmung
Schon nach der Berlin-Wahl gab es keine konsequente Aufarbeitung: Die Koalition wechselte, doch das Führungspersonal in Senat und Partei blieb fast unverändert. Es gibt keine rot-rot-grüne Aufbruchstimmung, der Senatschef gilt als blass und Berlin hat die bundesweit unbeliebteste Landesregierung. Und in der SPD geht betonhartes Lagerdenken vor innovativen Ideen.
Dabei weiß auch die SPD, was Menschen bewegt: marode Schulen, eine dysfunktionale Verwaltung, ein stotternder Wohnungsbau und ein schwindendes Sicherheitsgefühl. Dort erwarten die Berliner Besserung – Rot-Rot-Grün aber betreibt Klientelpolitik. Wie groß die Wahrnehmungsstörung ist, zeigt das Thema Videoeinsatz, wo der Partei nach der Pleite beim Tegel-Volksbegehren die absehbar nächste Niederlage droht. Stattdessen liegt dem Parteitag ein Antrag über staatlich geförderte feministische Pornos vor.
Wie schafft man Identifikation? Klaus Wowereit gab frei von Parteiämtern den unangefochtenen Zuchtmeister am Senatstisch – ob Rot-Rot oder Rot-Schwarz. Müller, der neben dem SPD-Vorsitz auch als Bundesratspräsident amtiert und bald ins SPD-Präsidium aufrücken wird, steht nicht für klar praktizierte Richtlinienkompetenz, sondern ist vor allem oberster Moderator.
Der Machtkampf zwischen Müller und Saleh lähmt
Zugleich lähmt der Machtkampf zwischen Müller und Saleh die Kooperation von Senatskanzlei und Fraktionsführung. Auch wenn es auf dem Parteitag nicht den erwarteten direkten Schlagabtausch gab, kann sich Müller gestärkt fühlen. Der kämpferische Parteichef gestand eigene Fehler zu und demonstrierte durch die von der SPD-Fraktion geforderte Solidarität seine Stärke gegenüber dem klar in die Schranken gewiesenen Saleh.
Wechsel zu fordern, ist leicht; ihn zu gestalten, viel schwieriger. Den Parteiapparat beherrscht Müller meisterlich; er kann sich durch die Ämterfülle aber nicht darauf konzentrieren, dass die SPD neue Stärke entwickelt. Dies zu organisieren, ist die zentrale Aufgabe.
Potenzial für den Neustart gibt es durchaus. Berlins SPD konnte in diesem Jahr 2300 Neumitglieder begrüßen – besonders viele nach der Schulz-Niederlage. Auf dem Parteitag 2018 wird der Vorsitzende neu gewählt – bis dahin muss sich Saleh erklären. Die schwelende Machtfrage verheißt nichts Gutes für die SPD-Fraktion, die in der SPD-CDU-Koalition das impulsgebende Machtzentrum war, auch für die Senatsarbeit.
Stillstand kann sich Berlin nicht leisten – die SPD erst recht nicht. Falls sie sich nicht rasch erneuert, sitzt sie bald nicht auf, sondern zwischen allen Stühlen.
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