SPD-Landesparteitag in Berlin: Andrea Nahles erwartet von Jamaika-Koalition Klientelpolitik
Die Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag wirft der FDP einen "verkürzten Liberalismus" vor. Beim Landesparteitag äußert sie sich auch zum Machtkampf zwischen Müller und Saleh.
Noch gibt es keinen Durchbruch bei den Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition. Die Stimmung ist verhalten, weitere Themen wie Flüchtlinge, Klima und Verkehr bleiben nach wie vor umstritten. Die Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Andrea Nahles, nutzte diese Hängepartie am Samstag, um das mögliche Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen zu attackieren.
Nahles griff sich die Liberalen heraus. „Wir wollen größtmögliche Freiheit für jeden“, sagte sie beim Landesparteitag der Berliner SPD im Hotel Interconti. Aber die gebe es nicht ohne Solidarität. „Einen verkürzten Liberalismus braucht Deutschland nicht“, sagte Nahles an die FDP gerichtet. Die Digitalisierung sei eine Möglichkeit zum selbstbestimmten Leben. Aber diese müsse in „gute Arbeitsplätze und Mitbestimmung“ umgewandelt werden. Und das sei in Silicon Valley nicht der Fall.
Die Jamaika-Parteien würden sich am Ende nur noch zu einem Minimalkompromiss durchringen. „Wenn am Ende durchscheint, dass jeder etwas für seine Klientel bekommt, ist das schlecht.“ Wenn Jamaika eine Koalition der Überschriften werde, sei das eine „Koalition des Stillstands“.
Nahles nannte als Beispiel die Einwanderung. „Wir brauchen klare, transparente Regeln und eine Steuerung in Deutschland. Wir bleiben ein Einwanderungsland unabhängig von den Flüchtlingen.“ Asyl sei aber ein Grundrecht, an dem nicht „gerüttelt werden darf“. Eine „Scheinlösung Obergrenze“ könne es nicht geben. Denn beides ließe sich nicht in Einklang bringen. Integration müsse mit Realismus angegangen werden. „Mit Realismus ohne Ressentiments“, ergänzte sie. Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh und der Landesvorsitzende Michael Müller applaudierten und nickten ihr zu.
SPD-Niedergang: "Der Knacks sitzt tiefer"
„Alle zusammen haben wir einen Vertrauensverlust der Politik“, sagte Nahles. Warum gerade die SPD, die immer das „Primat der Politik in der Vordergrund“ gestellt habe, so in die Kritik geraten sei? Die SPD müsse für einen handlungsfähigen Staat kämpfen. „Erste Voraussetzung ist gerechte Steuerpolitik, die Mehreinnahmen sichert, um investieren zu können“.
Die Partei habe eine schwere Wahlniederlage erlitten, die „weh getan“ habe. Auch für sie als Arbeitsministerin sei das bitter gewesen. „Der erste Impuls war, sich erst einmal zu verkriechen. Aber wir gehen raus“, sagte Nahles und verwies auf Aktionswochen mit Bürgern ab der kommenden Woche. „Nicht verkriechen, sondern raus. Wir müssen wie ein trockener Schwamm das aufnehmen, was die Leute sagen“, sagte Nahles. Der Applaus war verhalten.
30 Prozent der Bürger glaubten, die SPD sei die Partei der sozialen Gerechtigkeit. „Wie zufrieden waren wir mit unserem Parteiprogramm“, sagte Nahles. Das Vertrauensproblem sei zwar nicht ganz neu. „Aber wir dachten, wir machen das jetzt anders. Und das haben wir gemacht.“ Und das Ergebnis? „Der Knacks sitzt tiefer. Die Leute haben gar nicht mitbekommen, was wir gemacht haben.“
Typischerweise komme bei der Analyse eine Vergangenheitsdebatte. „Das ist Gift. Wir brauchen eine Zukunftsdebatte über unsere sozialen Sicherungssysteme“, forderte Nahles. Die SPD brauche keine Schuldzuweisungen untereinander. „Wir brauchen einen symbolischen Aufbruch und eine symbolische ernstzunehmende Debatte in der SPD. Wir müssen uns für die Zukunft neu aufstellen.“ Das solidarische Grundeinkommen, das SPD-Landeschef Michael Müller erwähnt hatte, sei ein „guter Denkansatz“ ebenso wie das Pflegekonzept der Gesundheitssenatorin Dilek Kolat.
In der Sache streiten - aber bitte nicht persönlich
Die Frage sei, ob die SPD es schaffe, Brücken zu bauen und einen Weg des Umgangs miteinander zu finden. „Ich finde es ziemlich merkwürdig, manchmal mit Blick auf die Berliner SPD. Es gibt begründete Interessenkonflikte. Solange die in der Sache begründet sind, ist das okay. Aber mir gefällt nicht, dass sachlich begründete Auseinandersetzungen in Binnenkonflikten kleinklein ausgetragen werden“, sagte Nahles in Anspielung auf den Machtkampf zwischen Müller und Saleh. Die SPD brauche nun Debatten und Papiere. „Ich rede aber nicht über Personalsachen.“ Die Mitglieder sollten „selbst auch wieder mehr Spaß an der SPD haben“.
Die Berliner SPD habe das Potenzial als Volkspartei in einer Großstadt, betonte die frühere Generalsekretärin. „Nutzt es.“ Die großen Fragen wie Liegenschaftspolitik müssten in den Kiezen ankommen. Es könne nicht sein, dass der Bund den Ausbau von Luxusappartements in Berlin zulasse. Politik auf die Kieze herunterzubrechen, sei „die große Chance für die SPD“.
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