Wachstumsschmerzen: Was der Wirtschaftsstandort Berlin 2018 braucht
Das kommende Jahr wird für die Berliner Wirtschaft ein schwieriges. Der Senat muss deshalb besonders auf Tourismus, Einzelhandel und Industrie achten. Ein Kommentar.
Die Bilder von Deutschlands größter Silvesterfeier werden wieder um die Welt gehen. Wenn das Feuerwerk den Himmel über dem Brandenburger Tor bunt aufflammen lässt, wird bei manchem Zuschauer am Bildschirm der Wunsch aufkommen, Berlin zu besuchen – der Stadt, wo immer was los ist. „Berlin zieht Menschen und Unternehmen aus aller Welt an“, freut sich deshalb der Regierende Bürgermeister Michael Müller in seiner Neujahrsansprache für 2018.
Tourismusbranche und Einzelhandel unter Druck
Tatsächlich aber könnte es ein schwieriges Jahr werden – besonders für die Tourismusbranche und den Einzelhandel. Ausgemacht ist auch nicht, dass Berlin 2018 – wie vom Senat erhofft – erneut das stärkste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer erreicht. Wachstumsschmerzen der attraktiven Metropole, die 2017 erneut rund 50.000 Menschen zum Leben und Arbeiten an die Spree lockte, sind dabei ein Punkt (hier geht es zum Checkpoint-Jahresrückblick).
Dem rot-rot-grünen Senat ist es noch nicht gelungen, den Wohnungsbau ausreichend anzukurbeln; von einem modernen Dienstleistungsangebot der Verwaltung zu schweigen. Der Mangel an Wohnraum wird deshalb die Mieten und damit die Lebenshaltungskosten weiter verteuern. Wenn Berlin seinen Vorteil verliert, dass man hier preiswert leben kann und auch Gewerbeflächen für Unternehmensgründungen spürbar teurer werden, kann dies zur Zuzugsbremse werden.
Auch an anderer Stelle ist der hart erarbeitete Erfolg gefährdet, der immerhin die Arbeitslosenquote auf 8,5 Prozent halbiert hat. Anlass zur Sorge gibt das Urteil gegen den Sonntagsverkauf. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die nächsten drei verkaufsoffenen Sonntage 2018 zu Fall gebracht. Hat das Urteil auch in der zweiten Instanz Bestand, dann droht der Stadt ein Attraktivitätsverlust. Schließlich hat sich Berlin in jüngerer Vergangenheit als attraktives Shoppingziel für Städtereisende fest etabliert.
Weltfremd erscheint, wenn Richter nun meinen, die Besucher der Berlinale, der Grünen Woche oder der Tourismus-Börse müssten ihre Einkäufe nicht an einem Sonntag tätigen. Schließlich sind die Messebesucher nicht nur für die Auslastung der hiesigen Hotels wichtig, sie sind auch die ausgabefreudigsten Berlin-Besucher.
Ladenöffnungszeiten: Mehr Freiheit für den Einzelhandel ist notwendig
„Will man die veränderte Lebenswirklichkeit zur Kenntnis nehmen oder will man sie ignorieren?“, fragte schon 2009 der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Anlass war die Niederlage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht, als die Kirchen wegen des Sonntagsverkaufs die Religionsfreiheit gefährdet sahen. Wowereits Frage ist heute drängender denn je und für den Einzelhandel inzwischen überlebenswichtig. Verdis Beharren auf einer überholten Schutzwürdigkeit des Sonntags kann sich für die Beschäftigten der Einzelhandels als Bärendienst erweisen.
Die Einzelhändler haben im aktuellen Weihnachtsgeschäft erfahren müssen, dass sie gegenüber dem Online-Handel ins Hintertreffen geraten. Viele Geschäfte meldeten Umsatzrückgänge. Die Öffnungszeiten der Läden einzuschränken, während der Online-Handel rund um die Uhr offen hat, kann den Verlust tausender Arbeitsplätze in Berlin bedeuten. Es stimmt: Vor veränderten Lebenswirklichkeiten die Augen zu verschließen, ist fatal.
Noch hat Berlin Deutschlands liberalstes Ladenöffnungsgesetz – eine deutliche Einschränkung des Sonntagsverkaufs passt deshalb nicht in unsere Zeit. Statt Abschottung sind neue Konzepte und attraktive Angebote nötig, um Kunden zu halten und neue Käufer zu gewinnen. Grundsätzlich benötigt Berlin mehr Freiheit für die Einzelhändler, selbst zu entscheiden, wann sie öffnen möchten. Dass es für Sonntagsarbeit Freizeitausgleich und Zuschläge geben muss, bleibt dabei selbstverständlich.
Der Senat muss die Industrie-Strategie schneller umsetzen
Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller mahnt für 2018, dass „wir weiter täglich für den Erhalt und Ausbau guter Arbeit kämpfen müssen“. Im Herbst hat sich gezeigt, dass Berlins wirtschaftlicher Erfolg nicht garantiert ist, sondern auf unsicherem Boden gedeiht. Die Pleite von Air Berlin bedeutet den Verlust tausender Jobs. Der Wegfall von Flugverbindungen hat zum Einbruch bei der Zahl der Besucher und Hotelbuchungen geführt.
Weil zudem Fernbus-Anbieter vom Markt verschwanden, steuern 50.000 Busse weniger Berlin an. Auch die Pläne von Siemens und General Electric, tausende Arbeitsplätze abzubauen, könnten Berlin zurückwerfen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit – zumal zusätzlich viele Dienstleister und Zulieferer betroffen sein werden. Nach Jahren des Stillstands unter CDU-Verantwortung kommt die Entwicklung einer neuen Industrie-Strategie des Senats nur langsam voran.
Mehr als 28 Jahre hat es nach dem Mauerfall gebraucht, um in Berlin die Narben der Teilung vergessen zu machen und bescheidenen wirtschaftlichen Wohlstand zu ernten. Ein Selbstläufer war das nicht – und Grund für Überheblichkeit, so gehe es weiter, gibt es erst recht nicht. Wird das in Berlin vergessen, könnte die Attraktivität und Prosperität Berlins bald so schnell verglühen wie das Silvesterfeuerwerk über dem Brandenburger Tor.