Vom Anschlag „kalt erwischt“: Was Berlins Behörden aus dem Breitscheidplatz-Attentat gelernt haben
Zum vierten Jahrestag des Attentats auf den Weihnachtsmarkt legt Innensenator Geisel ein Anti-Terror-Konzept vor. Nicht alles darin ist neu.
Andreas Geisel war erst wenige Tage im Amt, als Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen polnischen Fahrer tötet, eine Lkw kapert und diesen in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Charlottenburg steuert und weitere elf Menschen ermordet. Nichts hat die bisherige Amtszeit des Innensenators mit SPD-Parteibuch so sehr geprägt, wie dieser Anschlag.
Am Freitag, einen Tag vor dem vierten Jahrestag des Anschlags, stellte Geisel ein neues Anti-Terror-Konzept für Berlin vor. Eine höhere zweistellige Zahl an Gefährdern, denen jederzeit ein Anschlag zuzutrauen ist, zählen die Behörden in Berlin. Hinzu kommt eine mittlere zweistellige Zahl an Rückkehrern und ihren Familien aus den Kampfgebieten der Terrormiliz Islamischer Staat.
Geisels neuer Anti-Terror-Plan heißt „Save“, der Name steht für „Schützen, Aufklären, Vorbeugen und Eindämmen“. Im Mittelpunkt stünden eine intensivere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, eine bessere Ausstattung der Polizei, die genauere Beobachtung von Islamisten, schnellere Abschiebungen, aber auch Programme zur Deradikalisierung und das abgestimmte Vorgehen von Polizei und Rettungsdiensten im Terrorfall.
In verschiedenen Behörden wie Polizei, Verfassungsschutz, Einwanderungsamt und Justiz sei ein langfristiges Umdenken nötig: „Bis heute tauschen die Sicherheitsbehörden ihre Informationen noch nicht ausreichend aus“, sagte Geisel.
Der Anschlag habe Berlin damals „kalt erwischt“ und schonungslos offengelegt, dass die Behörden „nicht gut aufgestellt“ waren und über zu wenige Ressourcen verfügt hätten. Seitdem sei vieles verbessert, mehrfach seien Anschlagspläne vereitelt worden. Doch die Gefahr vor allem durch radikalisierte islamistische Einzeltäter sei weiterhin hoch, sagte Geisel. In den vergangenen Jahren sei es darum gegangen, Versäumnisse aufzuarbeiten.
LKA richtet neues Anti-Terrorzentrum ein
Das Konzept bündelt bereits vollzogene Veränderungen: darunter mehr Personal, neue Technik, neue Waffen, neue Trainingszentren und der Umbau des Landeskriminalamtes, wo in einer neuen Abteilung Islamismus-Ermittler und Spezialkräfte gebündelt werden. Im August 2021 beginne der Umzug in das neue Anti-Terrorzentrum an der Ringbahnstraße. „Auswertung, Analyse, Umsetzung an einem Ort in engem Austausch“, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik.
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Zugleich ist das neue Konzept nur ein Anfang, es soll weiterentwickelt werden. Geisel sprach von einem „Meilenstein“ auf einem längeren Weg. Norbert Cioma, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezeichnete das Konzept als „sehr gute Schablone, die vieles zusammenfasst, was die beteiligten Behörden bereits praktizieren“. Sie müsse „nachhaltig mit Leben gefüllt werden“. Der Innensenator habe das aufgeschrieben, „was schon seit Jahren hätte bestehen müssen“.
Opposition hält das Konzept für mangelhaft
CDU-Fraktionschef Burkard Dregger beklagte, es sei „völlig unverständlich, warum der vollmundig angekündigte Anti-Terror-Plan nichts Neues enthält“. Er warf Rot-Rot-Grün einen sicherheitspolitischen Blindflug vor: Trotz knapp hundert Gefährdern in Berlin seien die Überwachung der mobilen Kommunikation, des Aufenthalts per elektronischer Fußfessel oder eine Schleierfahndung nicht möglich.
FDP-Innenexperte Paul Fresdorf bezeichnete das 44-seitige Konzept als „blumiges Papier“, Geisels bisherige Arbeit könne bestenfalls mit „stets bemüht“ bewertet werden.
Elektronische Daten sollen besser ausgewertet werden
Geisel betonte, dass es nicht allein um Repression gehe. Mittel- und langfristig sei Prävention wirksamer und wichtiger. Bei der Beobachtung islamistischer Rückkehrer aus Syrien und dem Irak habe sich die intensive Betrachtung jedes Einzelfalls mit Konferenzen aller Behörden bewährt. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einer „ganzheitlichen Betrachtung“ von islamistischen Gefährdern.
Eine Herausforderung sei der „Ausbau bei der Auswertung von Massendaten“. Der größte Teil der Beweise seien Daten auf Handys, Tablets und Laptops, sagte Slowik. Mit einer neuen Software soll dies nun schneller geschehen. Hinzu kommt, dass immer mehr Täter aus der ersten Welle der islamistischen Kämpfe wieder aus den Gefängnissen kommen. Auch sie müssten beobachtet werden.
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Verfassungsschutz-Chef Michael Fischer sagte: „Diese Anschläge früh zu erkennen, wird immer schwieriger, weil sich Radikalisierung, aber auch die Anleitung von Akteuren über die dunklen Kanäle des Internets vollzieht.“ Künftig gehe es nicht mehr nur darum, Informationen zu sammeln. „Wir wollen Informationen auch ernsthaft nachjagen.“ Sie sollen „schnell und verwertbar“ an die Polizei sowie andere Behörden wie das Einwanderungsamt, die Waffenbehörde oder die Justiz weitergeleitet werden.
Geisel bereitet auch ein Veranstaltungs-Sicherheitsgesetz vor. Genehmigungen und Sicherheitsaspekte für Großveranstaltungen sollen künftig zentral gebündelt und die teils überlasteten Bezirke entlastet werden. Per Gesetz soll auch die psychosoziale Hilfe für Opfer nach Anschlägen klar geregelt werden.
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