SPD und CDU in Berlin: Was bedeutet Müllers Rede für die Koalition?
Die Stimmung war schon schlecht, nach der Rede des Regierenden Bürgermeisters ist sie noch schlechter. Wie steht’s um die Zukunft der Koalition in Berlin? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
In einer fulminanten Rede hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstag die Flüchtlingsunterbringung zur Chefsache erklärt – und zugleich seinen Koalitionspartner hart kritisiert. Seitdem ist die Stimmung in der Berliner großen Koalition schlechter denn je. Unklar ist allerdings, ob Müllers Rede eine Strategie zugrunde liegt.
Was bedeutet Müllers Attacke auf den Regierungspartner für die Koalition?
So wie am Donnerstag kann sich eine Koalition nur aufführen, wenn das Ende absehbar ist – auch wenn man noch zehn Monate durchhalten muss. Während der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in seiner Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik nicht mit harscher Kritik an seinem Koalitionspartner CDU spart, sitzen die Abgeordneten der Union starr und rühren nicht eine Hand zum Applaus. Genauso war es im Sommer bei der Debatte zur Homo-Ehe. Immer wieder haben sich in den letzten beiden Jahren Konfliktfelder aufgetan. Eines davon war die Besetzung des Kreuzberger Oranienplatzes durch afrikanische Flüchtlinge. Der Innensenator Frank Henkel (CDU) wollte räumen, der damals Regierende Klaus Wowereit und seine SPD pfiffen ihn zurück. Die Folge war monatelange Untätigkeit. Genauso düpierte Wowereit Henkel beim BER-Flughafenneubau, indem er ihn immer wieder in Unwissenheit bleiben ließ. Ein Ungleichgewicht bestand vor allem in den Anfangsjahren: Da war die Union vor allem damit beschäftigt, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, statt eigene Akzente zu setzen. Später verbuchte sie auch eigene Erfolge und setzte sich beispielsweise in der Bildungspolitik – obwohl nicht ihr Ressort – bei der Abschaffung der Früheinschulung durch. Auch wenn man nicht mehr von einem konstruktiven Verhältnis sprechen kann: Es rechnet keiner damit, dass diese Koalition vorzeitig aufgekündigt wird. Gerade laufen die Beratungen für den Doppelhaushalt. Und fürs kommende Jahr gibt’s eh keine großen Pläne mehr. Dann beginnt der Wahlkampf.
Wie verhalten sich die Sozialdemokraten in Partei und Fraktion?
Der Zeitpunkt für Müllers Kraftrede war wieder einmal gut gewählt. Am heutigen Samstag ist Landesparteitag. Da kommt es gut an, vorher klare Kante gegenüber dem Koalitionspartner gezeigt zu haben. Beim Streit um die Homo-Ehe war es genauso: Donnerstag starker Auftritt im Plenarsaal, zwei Tage später vor den Parteitagsdelegierten. Vielleicht hilft es Müller auch dabei, den am Dienstag vom Senat beschlossenen Kompromiss zum Umgang mit den Strom- und Gasnetzen der Partei zu verkaufen. Teile der SPD-Basis wünschen sich eine komplette Rekommunalisierung. Als ein starkes „notwendiges Signal“ sieht Landeschef Jan Stöß Müllers Rede. Es müsse ein Ende haben, dass die CDU in der Flüchtlingpolitik dringende Entscheidungen blockiert: „Wir erwarten, dass die CDU mitzieht.“ Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit noch die restliche Legislaturperiode hält, sagte Stöß: „Ja, wir haben noch dringende Aufgaben zu bewältigen.“ So ähnlich sagt es auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider. Die Zusammenarbeit mit der Unionsfraktion sei zwar schwieriger geworden und es gebe „dunkle Wolken am Horizont“, aber dennoch sei die SPD bereit, „ihre Verträge zu erfüllen“. Jetzt sei vor allem die Stunde der Exekutive, die Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik zu bewältigen.
Was will Müller mit seiner Rede erreichen?
Zumindest die Fraktionschefs der Opposition haben es so verstanden: Müller hat für das Problem Flüchtlingsunterbringung ein hohes Maß an Verantwortung bei Sozialsenator Mario Czaja abgeladen. Udo Wolf, Fraktionschef der Linken, und sein Kollege bei den Piraten, Martin Delius, legten Czaja dann auch gleich den Rücktritt nahe. In der CDU erinnerten sie am Freitag daran, dass Müller ganz andere Möglichkeiten hätte, wenn er Czaja tatsächlich für eine Fehlbesetzung hielte: Der Regierende, so sagt ein führender CDU-Mann, „kann auch Senatoren entlassen!“ Ansagen der ganz harten Art hatte der Regierende allerdings vermieden. Und nach seiner Rede interpretierte er diese im rbb-Fernsehen, indem er darauf hinwies, dass dem Senat „gemeinsam sehr viel gelungen“ sei. Dann sagte er: „Ich habe nicht eine Anforderung bezogen auf eine Person oder eine Verwaltung formuliert. Ich erwarte von den Senatoren in ihrer Ressortzuständigkeit tatsächlich auch, dass sie diese Verantwortung übernehmen und Dinge verbessern und verändern. Und da spielt nun mal das Lageso auch eine besondere Rolle." Dem wird der Sozialsenator gewiss zustimmen. Allerdings braucht er mehr Geld, wenn er mehr Personal einstellen soll – und da wäre wieder Müller mit seiner Richtlinienkompetenz gefordert. Ein CDU-Finanzexperte erinnert daran, wer für die Stellensituation im Lageso verantwortlich ist: Rot-Rot habe 500 Stellen in zehn Jahren im Lageso gestrichen.
Wie reagiert die CDU auf Müllers Attacke?
Die Vormänner der Partei und der Fraktion halten sich bedeckt, doch macht niemand einen Hehl daraus, dass die Stimmung in der Koalition eher düster ist. Zwar fühlt man sich von Müller nicht direkt getäuscht. Doch sachlich weist man darauf hin, dass ein Regierender seinen Neun-Punkte-Plan, den er am Donnerstag im Abgeordnetenhaus dargestellt hat, am Dienstag zuvor im Senat schon mal hätte vorstellen können. „Die Stimmung wird schlecht bleiben“, vermutet ein CDU-Mann. Müller habe halt vorgeführt, wie er in den Monaten bis zur Wahl im September 2016 mit der großen Aufgabe Flüchtlinge umgehen wolle: so, dass er Zuständigkeiten und Verantwortungen bei anderen abgeben könne. Ein anderer CDU-Mann kritisiert: „Ich erwarte schon, dass er nicht einfach nur Probleme beschreibt.“ Der Regierende habe viel von Verantwortung gesprochen, sagt er – und verweist darauf, dass Sozialsenator Czaja die meisten von Müllers Ideen schon im Januar vorgeschlagen habe. Womöglich habe sich Müller auch vor dem SPD-Parteitag am Wochenende „in Rage reden wollen“, sagt ein CDU-Stratege, der sich an die innerkoalitionäre Auseinandersetzung um die Homo-Ehe erinnert fühlte. Da sei es genauso gewesen: Müller habe am Donnerstag im Abgeordnetenhaus Front gegen die Union gemacht, am Wochenende sei er auf dem SPD-Parteitag gewesen.
Welche Optionen hat die CDU?
Nur eine: weitermachen und Punkte sammeln. Ein Bruch der Koalition widerspricht den Überzeugungen der CDU-Strategen – und ihren Hoffnungen auf ein Wahlkampfklima, das der Union günstiger ist als das gegenwärtige. Der Vorsprung, den die CDU in Zeiten des Wowereit-Niedergangs hatte, ist dahin. In Umfragen liegen die Christdemokraten mal bei 23, mal bei nur 22 Prozent – die Sozialdemokraten indes führen mit rund 29 Prozent. Zu den Überzeugungen der CDU-Führung gehört in Anbetracht einer linken Mehrheit in Berlin, dass man solide Arbeit machen, das Vertrauen der Bürger stärken, Machtspielchen aber unterlassen solle. Dazu gehört auch, dass man in der Flüchtlingspolitik beides im Blick behalten will – Hilfe für die Schutzbedürftigen genauso wie die Abschiebung derer, die kein Recht auf Asyl haben. Ein Union-Vormann wundert sich, dass Müller Henkel vorwerfe, dieser rede sich „besoffen“ am Thema Abschiebung. Wäre Müller in einer Koalition mit der Linken, sagt der Unions-Mann, „hätte er doch jede Woche eine Koalitionskrise, wenn jemand abgeschoben würde“.