Experte warnte vor Privatisierung von Wohnungen: „Es hieß: Weg mit den Häusern!“
Es gab zu viele Wohnungen, zu wenig Geld. Doch schon damals warnte Wolf Schulgen davor, kommunales Eigentum zu verkaufen.
Wolf Schulgen war bis 2014 Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Herr Schulgen, als vor 18 Jahren das Land tausende kommunale Wohnungen privatisierte, sprachen Sie sich dagegen aus. Warum?
Im Wohnungssektor gibt es unheimlich lange Brems- und Beschleunigungsphasen. Fehlt es an Wohnungen, dauert es sehr lange, bis neue gebaut sind. Peter Strieder war damals Bausenator und sah das ähnlich. Er wollte hat den Verkauf der landeseigenen GSW erst mal verhindert. Finanzsenator Thilo Sarrazin wollte die GSW für 200 Millionen Euro plus Schulden hergeben.
Am Ende wurde die GSW für 400 Millionen verkauft.
Ja, Sarrazin und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit setzten sich durch. Verkaufen lag damals im Trend. Nicht nur in Berlin. Dresden verkaufte seinen kompletten städtischen Bestand. Die Wohnungsbauunternehmen waren hoch verschuldet. Der Staat sei nicht leistungsfähig, hieß es, alle kommunalen Firmen standen zum Verkauf.
Warum war der Druck so groß?
Wegen Berlins Milliardenschulden. Ein großer Teil davon kam aus der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus: fast die Hälfte der Schulden des Landes. Und damals lagen die Zinsen bei sechs bis acht Prozent, wodurch sich die Schulden binnen sieben Jahren verdoppelten. Da mussten wir dringend runter.
Sarrazin zog die Notbremse und stoppte die weitere Wohnraumförderung. Die richtige Entscheidung?
Nein, weil durch diesen radikalen Bruch alle neu gebauten Sozialwohnungen ab 1987 verloren gingen. Sarrazin lag auch sozialpolitisch falsch, weil nach dem Ausstieg aus der Förderung und dem Anstieg der Mieten Initiativen wie Kotti & Co entstanden, die zu Recht auf die sozialen Verwerfungen hinwiesen.
Soll man die Wohnungen jetzt zurückkaufen?
Wenn es sich rechnet, ist es okay. Es reicht aber nicht aus, weil das die Menge der bezahlbaren Wohnungen in Berlin nicht erhöht.
Oft ist es aber viel zu teuer, oder?
Das behauptet vor allem die FDP. Dabei hatte sie die erste Privatisierungswelle ausgelöst, weil sie in das Altschuldenhilfegesetz hineinschreiben ließ, dass alle Gesellschaften im Osten 15 Prozent ihrer Wohnungen privatisieren mussten, um Anspruch auf staatliche Hilfen zu bekommen. Darunter sind auch die Wohnungen in Alt-Glienicke im Kosmosviertel, über die zurzeit gestritten wird. Natürlich können Wohnungen im Einzelfall zu teuer sein. Andererseits können sich die Unternehmen zurzeit für ein Prozent verschulden und diese niedrigen Zinsen 20 Jahre lang festschreiben. Das ist beherrschbar.
Wie haben Sie weitere Privatisierungen verhindert?
Nach den In-sich-Geschäften unter städtischen Wohnungsbaugesellschaften waren schwierige Unternehmenskonstruktionen entstanden. Die haben wir strikt neu geordnet. Damals gab es 18 Firmen teilweise mit bis zu drei Geschäftsführern je Firma. Und die WBM hatte eine undurchsichtige Konstruktion von Tochterfirmen, Fonds und spekulativen Gewerbebauten. Der IHZ-Neubau, das Parkhaus am Alexanderplatz, das Russische Haus – jedes für sich war ein kleiner Skandal. Die „Stadt und Land“ war nach der Integration der leerstandsbelasteten Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf in ihrer Existenz gefährdet. Die haben wir für einen Euro an die Degewo verkauft und zugleich die Wohnungsmodernisierung im Norden des Bezirks mit Darlehen unterstützt. Damit war der letzte Versuch, durch In-sich-Geschäfte rund 200 Millionen Euro zur Haushaltssanierung abzuziehen, gestoppt. Danach konnten die Bestände der Gesobau in Buch durch einen Verkauf an die Howoge vor einer Privatisierung gerettet werden.
Der Abriss von Wohnungen war nicht zu verhindern?
Wir haben einen Rückbau vorgeschlagen, also Zwölfgeschosser auf vier Etagen stutzen. Die Ahrensfelder Terrassen sind so entstanden. Allerdings kostete das Geld und es war im Parlament umstritten. Weg mit den Wohnungen, hieß es, wir haben zu viele! Danach war Schluss mit der Förderung, jahrelang.
Ein großer Fehler. Wie viele landeseigene Wohnungen gab es damals?
Um die 500.000. Wir waren der Meinung, 400.000 müssten es schon sein, wenn man mietenregulierend auftreten will. Aber dann ging es auf 300.000 runter. 100.000 Wohnungen weniger sind sieben Prozent des Berliner Bestandes von 1,8 Millionen Wohnungen.
Sie haben das alles kommen sehen?
Nein, wer hätte erwartet, dass massenhaft Flüchtlinge nach Berlin kommen oder dass noch viel mehr Studenten die Innenstädte wiederentdecken. Als ich in der Bauverwaltung anfing, standen Tausende von Wohnungen leer. Und auch kurz vor der Wende herrschte in West-Berlin ein Überangebot. Da mussten die Landesfirmen sogar sonntags öffnen, um Mieter zu finden. Als Volkswirt war mir aber bewusst, dass es Zyklen am Markt gibt und sich Wohnungen nicht über Nacht vermehren lassen. Deshalb war es mein Wunsch, was wir einmal haben, sollten wir halten und gut bewirtschaften, dann lässt sich das auch steuern.
Wem gehört Berlin? Im Rahmen unserer Langzeitrecherche beschäftigen wir uns damit, wem die Häuser gehören, in denen wir leben. Und welche Lösungen es für den Berliner Wohnungsmarkt geben könnte. Alle Texte dazu finden Sie auf unserer Sonderseite.
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