Vergabe öffentlicher Aufträge: Warum niemand in Berlin Kitas bauen will
Der Senat will die Regeln für Unternehmen bei Ausschreibungen sozialer gestalten. Doch nun findet er noch seltener Firmen, die Bauaufträge übernehmen wollen.
Erst diese Woche musste eine Berliner Behörde wieder feststellen, dass sich private Unternehmen nicht um Aufträge der Öffentlichen Hand reißen. Im Gegenteil: Eine europaweite Ausschreibung zum Bau von 27 Kitas mit insgesamt 3300 Plätzen ist in einem ersten Anlauf gescheitert: Zwar hatten 30 Firmen zunächst Interesse gezeigt, sechs davon prüften die Bedingungen intensiver.
Am Ende war aber keine einzige Firma bereit, den Auftrag anzunehmen. Jetzt wird die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Kriterien anpassen müssen und eine zweite Ausschreibungsrunde starten. Der Bau und die Fertigstellung der eigentlich dringend benötigten Kitas verzögert sich so um mehrere Monate. Stand heute vom zweiten auf das dritte Quartal 2020.
Angesichts der guten Konjunkturlage fällt es Auftraggebern von Bund, Ländern und Kommunen seit Jahren zunehmend schwer, Aufträge zu platzieren. Bau- und Handwerksfirmen finden auch so genügend Aufträge von privaten Investoren, denen man eine bessere Zahlungsmoral nachsagt – und die ihre Aufträge nicht mit komplizierten Kriterien einschränken (müssen).
Laut einer Einschätzung der Industrie- und Handelskammer (IHK) bemühen sich sieben von zehn Berliner Firmen derzeit gar nicht an öffentlichen Ausschreibungen.
Das Risiko, dass künftig noch mehr Privatfirmen das Land Berlin bei wichtigen Projekten ignorieren, könnte noch steigen. Denn der Senat überarbeitet derzeit die Ausschreibungsregeln, die im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) festgelegt sind.
Diesen Schritt hatten SPD, Linke und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag von 2016 angekündigt. Demnach wollen sie die Vergabe öffentlicher Aufträge nutzen, um eine „nachhaltige, an ökologischen, sozialen und geschlechtergerechten Kriterien ausgerichtete wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen“.
Die Regelung ist überholt
Aus Sicht von geringverdienenden Arbeitnehmern war es ein fortschrittliches Gesetz damals. So wurde 2012 zum Beispiel festgelegt, dass Firmen, die sich an Ausschreibungen des Landes beteiligen wollen, ihren Mitarbeitern mindestens 8,50 Euro die Stunde zahlen müssen – zweieinhalb Jahre bevor die SPD den gesetzlichen Mindestlohn auf Bundesebene durchsetzen konnte.
Mittlerweile ist diese Regelung aber überholt: Seit Januar 2019 müssen alle Unternehmen bundesweit den Mindestlohn von 9,19 Euro zahlen. Die Wirtschaftsverwaltung von Ramona Pop (Grüne) will das Mindestentgelt in Berlin laut Gesetzentwurf nun auf 11,30 Euro anheben – was SPD und Linken noch nicht weit genug geht.
Für Baufirmen wäre das kein großes Problem, da die Branche heute mindestens 11,75 Euro zahlt. Sobald das Land aber per Ausschreibung eine Reinigungsfirma für die neuen Kitas sucht, dürften viele örtliche Firmen abwinken. So sieht das Berliner Handwerk den Entwurf zum neuen Vergabegesetz auch skeptisch
Es sollte „möglichst keine zusätzlichen Hürden aufbauen, die öffentliche Aufträge unattraktiver machen“, wünscht sich Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer – und verweist auf ein Problem, das offenbar auch einige Interessenten von besagtem Kita-Auftrag abgeschreckt hatte: Oft sind die Aufträge zu groß.
So war der Bau der 27 Kitas auf nur zwei Lose verteilt – was zwar den Bürokratieaufwand reduziert hätte, aber viele kleinere Betriebe von vornherein ausgeschlossen hatte. Also wird dieser Auftrag nun doch gestückelt, „in Hinsicht auf das Volumen und die zeitlichen Komponenten reduziert“, wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt.
Fachgemeinschaft Bau: Ziele müssen realistisch sein
Pops Gesetzentwurf sieht nun ausdrücklich eine „Berücksichtigung mittelständischer Interessen“ vor, was Handwerk und Baufirmen im Prinzip begrüßen. Auch soll das Vergaberecht mit der Novelle insgesamt „verständlich und praktikabel“ werden. Diese Ziele würden aber verfehlt, klagen einzelne Verbände, die dieser Tage ihre Stellungnahme zum Entwurf zurück an den Senat schicken.
„Es steht zu befürchten, dass mehr Bürokratie entsteht“, meint Manja Schreiner, Chefin der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg. Sie fordert, dass Regelungen zur Beschaffung, zu den Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UN), zur Frauenförderung und dergleichen abgebaut werden. „Die gesellschaftspolitischen Ziele des Senats können nur dann auch tatsächlich erreicht werden, wenn sie realistisch sind“, meint Schreiner. Unternehmer hätten weder Einfluss auf die Herstellungsprozesse von Baustoffen in Asien, noch könnten sie sich „Frauen zaubern, die auf dem Bau arbeiten wollen“.